Seite:Die Gartenlaube (1869) 600.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Seite des Bootes komme und uns dem sichern Verderben überliefere.

Endlich, plötzlich liegen wir still und vor uns rollt der Wal in den brandenden Wellen; jetzt rasch das Boot heran zum letzten Angriff! Wir halten uns dicht am Ungethüm, das ermattend bald auf der Seite, bald auf dem Rücken liegt, und nahe hinter der Finne begräbt der Mann (Moment unserer Abbildung) seine Lanze vier bis fünf Fuß tief, wieder und wieder wird sie hineingesenkt in den bebenden Riesenleib, und jetzt entsteigen dunkle Strahlen dem Blasloche: Blut. Der Wal ist zum Tode getroffen. „Stern Alle! Stern!“ Vorsichtig fliehen wir die gefährliche Nähe.

Welch furchtbare Convulsionen! Welch ungeheure Kraft! Nach und nach tobt sich der Wal aus, eine kurze Ruhe tritt ein; er versucht zu tauchen, erscheint aber gleich darauf wieder an der Oberfläche und eilt nochmals in rasender Flucht gegen Wind und Wellen davon. Vergebens! Wir folgen ihm wie das böse Verhängniß. Noch kurze Zeit und die Kräfte schwinden ihm, die Schnelligkeit läßt mehr und mehr nach; als wir endlich herankommen, rollt er auf die Seite – das Leben ist entflohen, eine tode unbehülfliche Masse liegt das gewaltige Thier in der wogenden See.

Die Aufregung der Jagd ist vorüber und wir haben Zeit uns nach dem Schiffe umzuschaun; die Dunkelheit läßt nichts erkennen. Zerrissene Wolken jagen über uns entlang und lassen einzelne Sterne niederblinken, geisterhaft leuchten die Schaumkronen der See; der Wind trifft uns arme Durchnäßte mit empfindlicher Kälte, das Rauschen der Wogen ist schaurig monoton. Mit seemännischer Leichtigkeit fügen wir uns in das Unvermeidliche, eine solche Nacht, allein und festgeankert am todten Wal, zuzubringen; wie wenig brauchen wir doch, um uns beinahe behaglich zu fühlen; wie, wenn das Boot zertrümmert worden wäre? Nach der Wetterseite zu das kleine Segel über uns ziehend, hocken wir im Stern beisammen; Hunger und Durst werden beschwichtigt, es findet sich auch noch ein wenig trockener Tabak, und nun wandert eine kärgliche Friedenspfeife als willkommenes Labsal von Hand zu Hand, von Mund zu Mund. Die Laterne erleuchtet noch unsre kleine Welt und durch den einsamen Lichtkreis flattern und huschen zahllose Vögel; wie schön, wie natürlich erscheint uns doch jetzt der Glaube, daß sie die Geister sind der Todten im Meere!

Auf und ab, auf und ab schwingt das Boot Stunde für Stunde in den steigenden, fallenden Wogen; stetig ostwärts rollt die Erde und endlich verkündet ein grauer Dämmerschein den kommenden Tag. Wie hoffnungsvoll begrüßen wir den sich immer vergrößernden Halbkreis des wiederkehrenden Lichts! Von dem herrlichen Grün der Wellen heben sich endlich blendende Schaumflocken wie duftiges Gewebe ab, goldiges Licht überfluthet Alles und jetzt trifft uns mit zauberischem Glanz die Sonne. Groß und ruhig steigt sie empor, jeden verirrten Wassertropfen belebend, Freude und Erquickung bringend zu Allem. –

Weit von uns im Lee schwankt das Schiff, Masten und Tauwerk zeichnen sich klar am Horizont ab, ehe es sich aber zu uns heraufarbeiten kann, mögen noch Stunden vergehen; doch sind wir bemerkt und einige Boote kommen zum Beistand herüber.

Mit jauchzendem Zuruf begrüßen uns unsere Cameraden, haben wir doch nun wenigstens einmal Erfolg gehabt; im wirren Durcheinander wird gefragt und erzählt; eine traurige Nachricht trübt unsere Freude: der Tod hat zwei unserer Cameraden ereilt. Der eine wurde vom Schwanz des Wals erschlagen, er liegt, eine Leiche, im Schiffe; der Andere, von den Leinen erfaßt, ist verschwunden auf Nimmerwiedersehen. Die Leute arbeiten nur scheu und schweigend, als endlich das Schiff zur Stelle ist; der Wal, an dasselbe herangezogen, wird um die Schwanzwurzel mit starker Kette und dann am Bug befestigt, so daß der ganze Leib längs der Seite des Fahrzeugs schwimmt, mit dem Kopf nach dem Stern zu liegend. So drehen wir bei, bis eine ruhigere See das Abspecken erlaubt.

Am nächsten Morgen beginnt die fröhliche Arbeit. Ein breiter Rahmen wird an der Seite des Schiffes niedergelassen und schwebt horizontal über dem Riesenleibe; die festen Planken, mit einem leichten Geländer versehen, dienen den Officieren zum Gangweg, von welchem aus sie mit kunstgerechten Stößen der langgestielten scharfen Spaten dem Lostrennen der dicken Speckumhüllung vorarbeiten. Am Hauptmaste sind zwei ungeheure Flaschenzüge befestigt und die dreizölligen, laufenden Taue derselben sind mit den Enden um die Ankerwinde gelegt. Die Hauptluke ist weit geöffnet, zum Aufnehmen der emporgewundenen Speckstreifen. Die den ganzen Leib des Potwals einhüllende Fettlage ist sechs bis zwölf Zoll dick, manchmal auch noch stärker. Einer der Flaschenzüge wird nun an der Finne befestigt und dieselbe so abgetrennt, daß ihr ein vier bis fünf Fuß breiter Streifen „Blubber“ folgt, der Zoll für Zoll zum Mast aufgewunden wird. Das Gewicht des riesigen Körpers und die Gewalt des Zuges zwingen, mit einiger Nachhülfe des Spatens, das zähe Speckband sich vom Fleische abzulösen; der Wal muß sich dabei natürlich um seine Längsachse drehen. Im günstigen Augenblick läßt sich dann ein Mann, durch eine Leine gesichert, auf den Rumpf hinab und trennt die lange schmale Unterkinnlade mittelst einer Axt los; dieselbe wird an Bord genommen, um die großen und schönen Zähne auszubrechen, da sie wie das Elfenbein verarbeitet werden. Dann wird der eigentliche ungeheure Kopf in zwei Stücke zerlegt; das eine derselben besteht aus einem schräg nach vorn zu abgelösten Fettpolster, – dasselbe Polster, welches den Wal befähigt, gleich einem Widderschiff gegen seinen Feind anzurennen, – das andere Stück ist der eigentliche Schädelknochen. Beide werden durch Taue einstweilen im Wasser gesichert.

Das vorher schon theilweise aufgewundene Speckband wird nun bis zum sogenannten Mastkorb aufgezogen, dann wird in gleicher Höhe mit dem Deck der zweite Flaschenzug daran befestigt und über diesem Punkte das Band abgeschnitten. Während nun dieses zweite Stück wieder aufgewunden wird, läßt man das am ersten Flaschenzug hängende durch die Luke in das Zwischendeck hinab, in den sogenannten „Speckraum“, in welchem die Zuschneider es in ungefähr zwei Fuß lange und sechs Zoll breite Kuchen zerlegen. Der ganze Blubber des Wals wird in einem einzigen langen Stück ungefähr so abgewunden, wie man das Deckblatt von einer Cigarre abwickelt. Der Schwanz wird nicht gebraucht, man löst die Kette und der alles Werthvollen beraubte Cadaver treibt langsam vom Schiff hinweg, ein willkommener Schmaus für die vielartigen Reinigungscommissare der See. Nach vier- bis achtstündiger Arbeit, je nachdem das Wetter günstig ist oder nicht, ist alle Arbeit gethan und das Auskochen beginnt. Dicht hinter dem Fockmast ist ein Feuerplatz, der zwei große Kessel enthält, aufgemauert; an den vorderen Ecken desselben stehen noch zwei andere Reservekessel. Auf der einen Seite steht noch ein Kühler von dünnem Kupfer, in welchem der kochende Thran erkalten muß, ehe er in die an Deck befestigten Fässer gefüllt wird; auf der andern Seite befindet sich die Schneidemaschine, durch welche die aus dem Speckraum heraufgereichten Kuchen laufen, mit scharfem Messer eingekerbt werden und dann in die Kessel wandern. Sind sie ausgekocht und schön braun gebraten, „Schraps“, so läßt man sie abtropfen und gebraucht sie sofort als Heizungsmaterial; ein Punkt von größter Wichtigkeit auf hoher See.

Die Zeit des Auskochens, je nach Quantität und Qualität des gewonnenen Speckes zwei bis vier Tage betragend, ist ein großes Fest für die „Speckjäger“, – denn im selben Maße, wie sich die Fässer mit Thran füllen, füllen sich auch bei der Abrechnung im Hafen die Taschen der Leute mit Geld – und da während solch fröhlicher Beschäftigung sich die strenge Disciplin etwas lockert, so überschreitet der Uebermuth des wilden Volkes oft alle Grenzen. Ist der Thran aber einmal unter Deck gebracht, so kommt alles wieder in die frühere Ordnung; das Schiff wird gewaschen und gescheuert, die Leute thun mit sich dasselbe, – alles mit Ausnahme der schwarzgeräucherten Segel erscheint bald wieder ziemlich schmuck und sauber. Jedoch nicht lange, neue erfolgreiche Jagden bringen auch neuen Schmutz, der sich endlich gar nicht mehr wegscheuern läßt; er wird aber gern geduldet, weil die seltsam schmierige und verwetterte Erscheinung eines nach langen Jahren zurückkehrenden Walfischfängers immer eine glückliche Kreuzfahrt verräth. –

Die ungefähren Maße des gefangenen Wals waren: Länge dreiundsechszig Fuß, Schwanzbreite neunzehn Fuß, das abgehauene Stück der unteren Kinnlade, welche allein die großen Zähne enthält, acht Fuß bei einer Breite von dreizehn Zoll; in ihr fanden wir, außer mehreren verkümmerten, fünfundvierzig gute bis sieben Zoll lange Zähne. Es war ein alter magerer Bulle, wir gewannen aus ihm ungefähr zehntausendfünfhundert Quart Thran; Ambra, die bekannte krankhafte, fettwachsartige Absonderung des Potwals, wurde nicht bei ihm gefunden.



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_600.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2022)