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auch von einem großen Theile ihrer eigenen Nation versichert sein. Sie ist die einzige noch arbeitende Schriftstellerin Schwedens, und was man auch gegen weibliche Autoren vorbringen mag, das Eine wird ihnen selbst der schärfste Gegner lassen müssen, daß sie das Anknüpfen und Weiterspinnen der Herzensangelegenheiten so feinfühlend und scharfbeobachtend auszumalen verstehen, wie dieses einem Manne niemals gelingen wird. Das Gefühlsleben ist das Terrain, auf dem sie vorzügliche Führerinnen sind, und selten dürfte ein Autor mit so geringen Mitteln, in so engen Grenzen, eine so wohlthuende Spannung hervorrufen, wie dies in der schönen Eigenthümlichkeit einer Schriftstellerin liegt, die nicht mit verletzender Emancipationssucht über diese streng gezogenen Grenzen hinaus will. Große Schritte und heftige Geberden lassen den Damen einmal nicht gut. Und gerade die schwedischen Schriftstellerinnen zeigen ganz besonders diesen natürlichen Tact, diese unbestreitbare weibliche Anlage auf’s Ansprechendste entwickelt. Was aber Marie Sophie Schwarz noch überdies auszeichnet, das ist die lobenswerthe klare sittliche Tendenz, die all’ ihren Arbeiten zu Grunde liegt. Sie sucht in jedem Werke mit redlichem Willen und klarem Geist eine sociale oder ethische Frage zu lösen, und das Ergebniß ist ein gesundes tüchtiges, während man den Versuchen der verstorbenen Friederike Bremer nicht dasselbe nachsagen kann. Diese, wie so manche andere, in ihren spätern Jahren bigott gewordene Dame hat als schönste Blüthe am Baume des Glaubens und des sittlichen Lebens die Entsagung gepriesen. Das Aufopfern der irdischen Liebe für ein Hingeben an die Menschheit und eine himmlische Mission war der Text ihrer Predigten in Romanform. Als Ideal eines Mädchens galt ihr dasjenige, welches die Vereinigung mit dem Geliebten aufgiebt, um als Lehrerin in einer Schule zu wirken, und dieses krankhafte Ideal übertrug sie an einen weiten Kranz theils schon für die Freuden der Welt und für thatkräftiges Eingreifen abgestorbener, theils noch sentimental in den Kinderschuhen einherwandelnder Leserinnen. Bei letzteren vornehmlich bewirkte sie viel Unheil, sie leitete die empfänglichsten Gemüther in schiefer Richtung und trug die Schuld an viel Ueberspanntheit und falscher Schwärmerei. Ich zähle solche Bücher, die sich im Gewande der Moral und eines bestechenden Styls in die Familien schleichen und als patentirte Mädchenlecture betrachtet werden, zu den allergefährlichsten.

Die Romane von Marie Sophie Schwarz darf aber so wie die der Flygare-Carlén jede Mutter ungescheut ihrem Kinde in die Hand geben. Das Leben wird hier nicht unter einem die Strahlen der Wahrheit beugenden Prisma gezeigt, und Geist und Charakter bildet sich daran nicht für eine verschrobene ideale, sondern für die Welt, wie sie ist.

Und nun ziehen wir die Glocke, um die Frau, von der wir so viel sprachen, auch von Angesicht zu Angcsicht kennen zu lernen.

Ein hübscher, eleganter junger Mann öffnete uns die Thür der Wohnung und wies uns in das Besuchzimmer, wo er uns allein ließ, um seiner Mutter – wie ich vermuthe – unsere Ankunft mitzutheilen. Ich erschrak fast, als Frau Schwarz nun eintrat, daß ich ihr einen so erwachsenen Sohn zugeschrieben hatte, so wenig machte sie mir den Eindruck einer ältern Frau. In ihrem einfachen Hauskleide, mit ihren schlicht geordneten Haaren und den wohl nicht schönen, aber ansprechenden Zügen, erschien sie mir kaum vierzigjährig.

Doch ist sie schon über dies Alter hinaus. Marie Sophie Birath wurde 1819 zu Bovas in Westgothland geboren und schon in früher Jugend Waise. Bald darauf starb auch ihr Oheim, der für ihre Erziehung gesorgt hatte, und ließ seine Wittwe mit dem zehnjährigen Pflegekind in großer Dürftigkeit zurück. Da es sich für die Kleine darum handelte, einen Beruf zu wählen, der ihre Existenz sicher stellte, entschied sie sich für die Malerkunst, und die Aufmunterung und Hülfe einiger Freunde der Familie machten ihr es möglich, ihrem Wunsche zu folgen, zu welchem sie ein ausgesprochenes Talent berechtigte. Sie malte Landschaften, und Schwedens kunstsinniger König selbst hat einige aus späterer Periode stammende Bilder von ihr angekauft, die in der kleinen Galerie nordischer Maler im Schlosse ihren Platz fanden. Doch schon früher, als die junge Künstlerin erst siebenzehn Jahre zählte, ging in Folge einer schweren Krankheit mit ihrem Gemüthe eine merkwürdige Wandlung vor sich. Das früher heitere Mädchen wurde schwermüthig und träumerisch, und um die bedrückte Seele zu erleichtern, gewissermaßen um sich von den unaufhörlich auftauchenden, durch die Farbe nicht wiederzugebenden Bildern zu befreien, griff das kaum zur Jungfrau gereifte Kind zur Feder und schrieb – aber ganz für sich allein im Stillen und Verborgenen.

Im Jahre 1840 verheirathet, mußte die junge Frau für einige Zeit all’ ihren gewohnten Beschäftigungen entsagen, denn ihr Mann, der in Stockholm lebende Professor G. Schwarz, hegte trotz seiner großen Gelehrtheit und geistigen Bildung einen eigenthümlichen Widerwillen gegen die schönen Künste, vor Allem aber gegen die öffentliche Bethätigung derselben von Seiten der Frauen. Es kostete dem schaffensfreudigen Geist einen schweren Kampf, bis dies Vorurtheil soweit beseitigt war, daß nach elf Jahren die erste Novelle von Marie Sophie Schwarz gedruckt erscheinen durfte, und da diese allgemeine Anerkennung fand, legte ihr der Gatte keine Hindernisse mehr in den Weg, jedoch waren diese Werke blos mit den Anfangsbuchstaben ihres Namens oder mit einem Pseudonym gezeichnet; erst nach dem im Jahre 1858 erfolgten Tode des Professors, als auch die Beschränktheit ihrer Lage eine erhöhte schriftstellerische Thätigkeit nöthig machte, trat sie mit ihrem vollen Namen in die Oeffentlichkeit.

Seither erschienen in rascher Folge ihre Arbeiten, deren Zahl nicht mehr weit hinter den gesammten Werken ihrer Vorgängerin Emilie Flygare-Carlén zurückbleiben dürfte, und es macht sich noch kein Nachlaß ihrer erstaunlichen Productivität fühlbar. Dank derselben genießt die fleißige Schriftstellerin jetzt einer gewissen Wohlhabenheit, die sich auch in der hübschen Wohnung, in der einfachen, aber netten Ausstattung widerspiegelt. Wir fanden die Frau vom Hause halb und halb zum Aufbruch gerüstet, sie theilte uns mit, daß sie einen Ausflug nach Norwegen beabsichtige, wo sie einen reichen Genuß für ihr künstlerisches Auge zu finden hoffte. Dies Auge, tief und sinnig, verräth aber auch die ungewöhnliche Begabung. Sein weicher Blick mildert den sonst fast zu herben Ernst der etwas männlichen Züge und giebt ein schönes Zeugniß für ein reichbegabtes Gemüth, wie das kräftig vorgeschobene harte Kinn auf Festigkeit des Willens und charaktervolle Ausdauer schließen läßt.

Nach den gewöhnlichen Fragen, welche der ersten Begrüßung folgten, führte unser freundlicher Begleiter die Unterhaltung, die hier ebenfalls schwedisch geführt werden mußte, obwohl Frau Schwarz deutsch wenigstens versteht, wieder auf das Thema zurück, welches uns auf der Straße so sehr beschäftigt hatte. Er nannte Fräulein Marlitt, deren Goldelse kurz nach dem Erscheinen in der „Gartenlaube“ bei ihm selbst in schwedischer Uebersetzung aufgelegt wurde und auch jenseits der Ostsee viele Leser fand. Ich sah da ein merkwürdiges Phänomen, und hätte ich es nicht schon aus ihren eigenen Büchern herausgelesen, dies Phänomen hätte mich von dem guten neidlosen Herzen der schwedischen Autorin überzeugt.

Ehrlich und rückhaltslos lobte da eine Schriftstellerin die andere, ja sprach mit Begeisterung von ihren literarischen Erzeugnissen, an denen sie alle Vorzüge in ein helles Licht zu setzen bemüht war. Ein freundliches Lächeln verschönte dabei ihre Züge und ein Blick der lebhaftesten, aufrichtigsten Freude und Anerkennung leuchtete aus den früher gewiß scheuen Augen. Das war kein erkünsteltes Lob, mit dem man sich selbst das größere zu ertheilen gedenkt, das war das glückliche Aufjauchzen einer edlen Seele, die eine Schwester gefunden zu haben glaubt, mit der sich zu verständigen ihr vielleicht nur das Mittel einer gemeinsamen Sprache fehlt.

Ich ging mit der Empfindung, an einem Tage zwei Schriftstellerinnen kennen gelernt zu haben, die – was auch das Urtheil über ihre Wirksamkeit sein mag – nicht aus Eitelkeit, sondern mit warmem, redlichem Willen schufen und dabei das Wichtigste nicht vergessen haben, daß sie Frauen sind. Sie haben sich das Schönste gewahrt: die echte Weiblichkeit.



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