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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Zwei schwedische Schriftstellerinnen.

Von Robert Byr.

Wie still ist Schweden geworden, wie schweigsam! So dachte ich, als ich am Tage nach meiner Landung in der Heimath der Wikinger vor den beiden unweit von einander gelegenen Buchhandlungen Jönköpings nach meiner alten Gewohnheit stehen blieb und die Bücher in den Auslagen musterte. Nicht ein deutsches war darunter, aber merkwürdig! ich fand auch nur einen einzigen schwedischen Autor vertreten. Von Starbräck – der Name klang mir vollkommen unbekannt – war ein in Stockholm erschienener historischer Noman „Engelbrecht Engelbrechtson“ ausgelegt, die Geschichte also jenes muthigen Dalarner Bauers, der 1435 mit Hülfe seiner Genossen die Tyrannei Dänemarks brach.

Außerdem hörte ich in der Romanliteratur kaum noch von neuen Erscheinungen. Der alte in Linköping lebende Wetterbergh, der Schöpfer so vieler trefflicher Genrebilder, ist gleich andern verstummt, er ist des Schreibens müde geworden, wie Flygare-Carlén; Marie Sophie Schwarz aber – die einzige fleißig fortarbeitende Schriftstellerin Schwedens, seit Friederike Bremer starb – scheint beinahe mit ihren Landsleuten zu schmollen und veröffentlicht ihre neuen Werke volle drei Jahre früher in deutscher Uebersetzung, ehe dieselben in schwedischer Ausgabe erscheinen. Ich glaubte sie sogar nach Angabe ihres deutschen Verlegers in Berlin auf einer längern Reise durch Süddeutschland begriffen und war nicht wenig überrascht, als mir gelegentlich die Auskunft wurde, daß sie ebenso wie Frau Flygare-Carlén in Stockholm wohnhaft und momentan auch da anwesend sei.

Herr B., der Besitzer des größten Bücherverlags in Stockholm, gegen den ich den Wunsch äußerte, daß ich die beiden Frauen, deren Werke ich ja fast alle kenne, nun auch sehen möchte, schaffte dazu in der freundlichsten und dienstfertigsten Weise Rath.

Als wir einige Tage später, bald nach der Mittagsstunde, zu dem angesagten Besuche aufbrachen, meinte B. mit gutmüthig spöttischem Lächeln: „Nur machen Sie mir keinen Krakeel, wie dies schon einmal mit Theodor Mügge passirte, den ebenfalls ich zu Frau Carlén brachte, und der im höchsten Grade ungehalten darüber war, daß sie weder seinen Namen, noch ein Buch von ihm kannte. Er verhehlte ihr durchaus nicht, daß er ihr das gewaltig übel nehme, und es kam darüber zu sehr lebhaften Auseinandersetzungen, die für mich noch weit komischer gewesen wären, hätte ich dabei nicht das peinliche Gefühl des Einführenden gehabt.“ – „Mügge,“ fuhr er fort, nachdem ich eingeschaltet hatte, daß derselbe ja erst später und hauptsächlich durch seine Erzählungen aus Norwegen berühmt geworden sei – „Mügge verlangte nichts desto weniger schon damals große Aufmerksamkeit, wiewohl seine Arbeiten noch gar nicht in’s Schwedische übersetzt waren, und da er gerade in jene Zeit kam, wo der Skandinavismus hier hohe Wellen schlug und die Deutschen nicht besonders beliebt waren, fühlte er sich zurückgesetzt, zu wenig beachtet, während er erwartet haben mochte gefeiert zu werden, und so ging er denn voll Groll und wußte über Schweden kein gutes Wort zu sagen, indeß er Norwegen hoch in den Himmel erhob. Dort war alles gut und schön, Natur und Menschen, Anlagen und Einrichtungen. Ich hoffe,“ schloß Herr B. halb ernstlich, halb scherzhaft mißtrauisch, „Sie werden mich nicht ebenfalls in eine derartige Verlegenheit bringen. Man darf auch Frau Carlén dafür nicht zur Verantwortung ziehen, daß sie nicht deutsch spricht; sie kennt blos ihre Muttersprache.“

„Dann wird das eine eigenthümliche Conversation zwischen uns geben,“ mußte ich unwillkürlich ausrufen; doch die Bereitwilligkeit, mit der Herr B. sich zu unserm Dolmetscher erbot, flößte mir wieder Zuversicht ein, und so betraten wir denn, da wir mittlerweile an Ort und Stelle gelangt waren, das Haus, welches in Ladugardslandet (ein Stadttheil von Stockholm), wenn ich nicht irre, in der Kaptensgata liegt.

Auch die schwedischen theilen das Loos der deutschen Schriftsteller und wohnen drei Treppen hoch, um dem Himmel näher zu sein, der ihnen ja, so oft sie kommen, offen ist, indeß sie ihren glücklicher situirten Collegen in Frankreich und England das schöne Vorrecht überlassen müssen, in der eigenen Villa oder Cottage fürstliche Gastfreundschaft zu üben.

Die Wohnung, in welche wir geführt wurden, war mit einer gewissen alterthümlichen Pracht ausgestattet. Beide Salons enthielten Möbeln, wie man sie in der Regel nur in Fürstenschlössern findet, von vergoldetem Holzwerk mit reichen Seidendamastüberzügen. Es blieb uns nicht lange Zeit, die ungewöhnliche Einrichtung zu mustern, denn die Dame des Hauses war uns alsbald nach unserm Eintritt auf das Freundlichste entgegengekommen und hatte uns mit einem etwas ceremoniösen Knix empfangen, der aber von einem so liebenswürdigen Lächeln begleitet war, daß er durchaus nicht den Eindruck gezwungener Steifheit machte. Im Gegentheil man fühlte sich der zierlichen alten Frau gegenüber sogleich behaglich, um so mehr, als unser Besuch früher angemeldet und daher die Vorstellung rasch vorüber war.

Die berühmte Schriftstellerin gemahnt in ihrem Aeußern durch nichts an ihren Beruf, aber auch das Hausmütterliche, das man, in Erinnerung an ihre Schriften, zu finden erwartet, tritt in ihrer Erscheinung nirgends hervor. Sie ist eine nette kleine Dame von matronenhafter Fülle, aber zarten Gliedern, besonders die Fingerchen an den kleinen weißen Händen sind winzig fein. Das freundliche runde Gesicht mit den klugblickenden schönen dunkeln Augen trägt noch einen stattlichen dunkeln Scheitel, der, nur von wenigen Silberfäden durchzogen, des darüber fallenden Spitzenschleiers eigentlich nicht bedarf. Sie trug ein glattes schwarzes Seidenkleid, und zu der einfachen Nettigkeit ihrer Erscheinung stimmte die ruhige Vortragsweise und ihre wohllautende Stimme. Sie sprach so langsam, mit genauer deutlicher Betonung einer jeden Silbe, daß ich ganz gut ihren Worten zu folgen vermochte. In keiner Weise machte sie den Eindruck einer schon zweiundsechszigjährigen Frau, und doch ist sie im August 1807 geboren. Ihr Vater, Roger Smith, war Kaufmann in Strömstad, und die eigenthümliche Lage dieses kleinen Badeorts in den Scheeren der Westküste Schwedens blieb nicht ohne Einfluß auf die Phantasie des kleinen lernscheuen Mädchens, das sich – zu jung, um mit den erwachsenen Geschwistern Arbeit und Erholung zu theilen – träumerisch an dem kleinen Hafen und zwischen den kahlen Felsen, an denen sich die brandende Woge bricht, wie eine verscheuchte Möve herumtrieb. Das Leben der Fischer, Schiffsleute und das kleine trauliche Familienleben im warmen engen Holzhause prägte sich dem jungen empfänglichen Gedächtniß ein und dieses brachte all’ die treu beobachteten, lebenswahren Bilder hinterher wieder und stattete damit so manche von den später erschienenen Geschichten reich und glücklich aus. Bevor es aber dazu kam, hatte die kleine Möve einen eigenthümlichen Lebens- und Bildungsweg zurückzulegen, der ihr den Mangel der Schule ersetzen mußte. Mit zwanzig Jahren wurde sie die Gattin des Doctor Axel Flygare und zog mit ihm nach Smaland, wo er die Stelle eines Bezirksarztes bekleidete. Ein Sohn und eine Tochter waren die Frucht dieser glücklichen Ehe, die aber schon nach sechs Jahren durch des Gatten Tod ihr Ende fand.

Das Schicksal schien die junge Wittwe zu verfolgen, denn eine zweite Verbindung wurde kurz vor deren Abschluß durch den plötzlichen Tod des Bräutigams – des Rechtsanwalts Reinhold Dalin – unmöglich gemacht. Der Umgang mit diesem ausgezeichneten Mann, den Frau Carlén selbst „überaus geistreich, wenn auch excentrisch“ nennt, war, wie sie selbst zugiebt, ungemein fördernd für ihr geistiges Leben und ihre literarische Entwickelung. Bald nach diesem Unglücksfall traf sie noch ein neuer Verlust, der ihrer geliebten Tochter.

Nun suchte sie Trost und Milderung ihres Leides in der Arbeit. Ihr Roman „Waldemar Klein“ erschien und wurde vom Publicum wie von der Kritik begeistert aufgenommen. Dieser leichte und rasche Erfolg bewog sie zur Uebersiedelung nach Stockholm, und hier schloß sie endlich die Ehe mit ihrem zweiten Manne, dem jetzt noch lebenden Schriftsteller Johann Gabriel Carlén. Ihr Autorname vereinigt die Namen beider Gatten.

Eine lange Reihe von Büchern ist das Ergebniß ihrer Thätigkeit. Jedes Jahr beinahe erschienen zwei ihrer mehrbändigen Romane, und trotzdem könnte ihnen auch der strengste Kritiker gerade Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit nicht zum Vorwurfe machen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 585. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_585.jpg&oldid=- (Version vom 17.9.2022)