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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

und Metternich nicht betreten dürfen. Desto höher stand der Mann angeschrieben beim gesammten deutschen Volk. Es lag daher nahe, daß das deutsche Parlament von 1848, als man sich weder für die Republik noch für das Kaiserthum entscheiden konnte, in der Reichsverweserschaft des volksthümlichen Johann die beste Auskunft zu finden glaubte. Dieser Schritt führte zur Täuschung, und zwar zu gegenseitiger. Johann kam gewiß mit dem redlichen Willen, Völkern und Fürsten zu Einigkeit, Recht und Frieden zu verhelfen. Begrüßungsworte, wie die seinen in Frankfurt: „Wenn das Vaterland ruft, so ist es Pflicht, seine letzte Kraft, seine letzten Jahre demselben zu weihen. Da habt Ihr mich, ich gehöre zu Euch!“ – solche Worte sind keine gemachte Kammerrede, sondern strömen aus dem Herzen. Aber welche Rolle hatte man ihm übergeben! Ohnmächtiger als die letzten deutschen Kaiser stand er den Fürsten ohne Armee, den Völkern ohne Geld, dem Ausland ohne Autorität gegenüber, vor sich einen Reichstag voll endlosen Parteigezänks, hinter sich fahnenweihende Bürgerwehren und ringsum die auf die sichtlich nahende neue Volksohnmacht lauernden Throne. Wenn in dem greisen Mann mitten in diesem Wirrwarr der Fürst und der Oesterreicher über den bloßen und entblößten deutschen Patrioten die Oberhand gewann, so soll wegen der natürlichen Wandelung rein menschlichen Gefühls Niemand Steine auf ihn werfen. Es war sein Loos, stets politisch mißbraucht und abgenutzt zu werden, und mit dem Schmerz über diese letzte bittere Erfahrung ging er von der Bühne, um bei seinen Alpenvölkern, in Steiermark und Tirol, den letzten Trost und die letzte Ruhe zu finden.

Ein Tiroler Schriftsteller, der ihm näher stand, theilt uns darüber das Folgende mit: Ein eigenthümlich romantischer Zauber verklärte den „Hansel“, wie der Bauer den Erzherzog meist nannte, in den Augen des Tiroler Volkes. Dieses zeigte sich am mächtigsten, als der Erzherzog wieder zum ersten Mal das Land betrat, denn allüberall ward ihm der treuherzigste und festlichste Empfang bereitet. Ohne officielle Weisung krachten die Böller und spielten die Musikbanden und zogen die festlich geschmückten Schützen mit flatternden Fahnen ihm entgegen. Das schönste Fest spielte aber in Meran, als der Prinz mit seiner Frau und seinem einzigen Sohne das Burggrafenamt besuchte, um Besitz vom jüngst angekauften Schlosse Schönna zu ergreifen. Die schönsten, glänzendsten Tage der alten Landeshauptstadt schienen wiedergekommen zu sein. Seitdem besuchte der Erzherzog oft Tirol und hielt auf seiner Burg Schönna, die er neu herstellen ließ, bescheidenen Hof. Nicht vornehme Herren bildeten dann seine Umgebung, sondern alte Bauern, die Anno Neun mitgefochten hatten, wurden zur Tafelrunde berufen. In der Mitte dieser biedern Landleute fühlte sich der Prinz am wohlsten, und bei Tisch, wo auch Tiroler Landesgerichte, z. B. Nudelsuppe mit Würsten, Speckknödel mit Ragout, eine Hauptrolle spielten, wurde von alter Zeit und der Gegenwart, vom Schützenwesen und von der Hebung des Feldbaues in schlichter Weise gesprochen. Dieses patriarchalische Zusammenleben, dieses liebevolle Entgegenkommen gewann das Volk in unbeschreiblicher Weise. Einen glänzenden Beweis für diese Liebe des Volkes zum Prinzen gab das Pfingstfest 1851 zu Meran, an dem der Erzherzog sein „Hausnudelschießen“ in freigebigster Weise gab. Es war ein Volksfest, wie es Meran nie gesehen hatte, ein Volksfest in der schönsten Bedeutung des Wortes. Der Prinz trug sich fortan mit weitgreifenden Plänen für seine Lieblingsburg Schönna. Sein reiches, auch für die Tiroler Geschichte so werthvolles Archiv sollte dahin übertragen, eine vollständige Bibliothek aller Tirol und die Tiroler Geschichte betreffenden Werke sollte errichtet, ein Tiroler Museum angelegt werden. Im September 1858 stieg der Erzherzog zum letzten Male über den Jaufen nach Passeier hinunter, um dem Kaiserschießen in Meran beizuwohnen und selbst ein Festschießen auf Schönna zu geben. Beides mußte wegen des in Monza plötzlich erfolgten Todes der Erzherzogin Margaretha unterbleiben, wie der projectirte großartige Schützenzug über den Jaufen. Der Prinz verlebte dafür mehrere stille gemüthliche Tage in der Mitte alter Veteranen aus dem Burggrafenamte und Passeier auf seiner Burg, und er sprach damals auch seinen Entschluß aus, seine letzte Ruhestätte in Schönna zu finden.

Dies blieb sein letzter Wunsch, und nachdem er in der schönen Steiermark am 10. Mai 1859 sein Leben beschlossen hatte, wurde auf einem Hügelvorsprung von Schönna nach dem Plan des Professors Moritz Wappler in Wien seine Grabcapelle an einem Punkte erbaut, der die Lieblingsgegenden des Heimgegangenen, Passeier und das Burggrafenthum, weithin überblickt.

Schönna, Burg, Capelle und Kirchdorf, gehört zu den näheren und lohnendsten Ausflügen von Meran, das als klimatischer Curort europäische Berühmtheit erlangt hat. Ueber die Passerbrücke zum Stifterbauer, dann nördlich etwas ansteigend gelangen wir nach etwa fünf Viertelstunden zu dem von der stattlichen Burg hoch überragten Unter- und Oberdorfe von Schönna. Der Grund und Boden für die Grabcapelle hat mit Mühe erst dem Oekonomiehofe und dem Gottesacker abgewonnen und durch feste Strebemauern gegen die Gefahr der Bergrutschung gesichert werden müssen. Dort erhebt sich nun im reinsten gotischen Styl der kühnaufstrebende Bau. Eine breite umgitterte Granittreppe führt im Doppelaufgange zum Portal, über dessen Spitzbogen zwischen zwei spitzen Thürmchen eine farbige Fensterrosette einen prächtigen Anblick gewährt. Von Strebepfeilern in dreifacher Verjüngung begrenzt steigt dann die Façade, dem sonnigen Süden zugekehrt, zu beiden Seiten von je drei Pfeilerspitzthürmchen (Fialen) begleitet zum Giebel mit dem Mittelthurm und seinem steinernen Kreuz empor. Die beiden Seitenwände sind zwischen den hohen, dreifachgegliederten Fenstern von schlanken Strebepfeilern in ebenfalls dreifacher Verjüngung gestützt, die gleichsam als Fortsetzung über die zierlich durchbrochene Galerie des hohen Dachs hinaus ihre Fialen erheben. Einen besonderen Schmuck verleiht dem Ganzen die verschiedene Farbe des Baumaterials, indem der Grund- und Gruftbau aus hellgrauem Granit, der Oberbau aus blaßrothem Sandstein und die Bedachung aus violettem Schiefer besteht.

Treten wir durch die Flügelthür aus ungarischem Eichenholz in’s Innere, so umfängt uns ein säulenfreier, aber von einem kühnen Gewölbe mit kräftigen Gurten und Rippen überspannter Raum, in welchen das Tageslicht nur durch teppichartig bemalte Fenster dringt; die werthvollste Farbenpracht zeigen die Malereien der drei Fenster des Chors, die sich über dem blüthenweißen Marmor des Altartisches mit seinem goldschimmernden Aufsatze erheben. Der Fußboden besteht aus weißen und dunkelgrauen Marmorquadraten.

Hinter dem Altar schließt ein vergoldetes Bronzegitter einen Raum ab, von welchem aus eine Thür in eine kleine Sacristei, eine andre in die Gruft hinabführt. Diese Krypta ist, wie die Capelle, sechsunddreißig Fuß lang und zweiundzwanzig Fuß breit, ihr Gewölbe wird von vier Granitpfeilern getragen, und achtzehn Fenster mit halbzölligen Glastafeln geben ihr ein feierliches Dämmerlicht. Und hier ruht, in drei Särgen verwahrt, der gute Herzog Hannes des Volks, der Erzherzog Johann des Kaiserhauses. Wer kann vor diesem Sarge stehen, ohne an das seltsame Verhängniß zu denken, das dieses Kaiserhaus sich selbst bereitet dadurch, daß es von jeher seine begabtesten Söhne mit dem widrigsten Schicksal verfolgte und die besten Kräfte am wenigsten zur Geltung kommen, zum Heil des Staates thätig sein ließ. Erzherzog Karl’s Kriegsruhm ist dem Hofkriegsrath erlegen, Erzherzog Stephan ist fern von seinem geliebten Ungarn gestorben, Erzherzog Max hat fern von Pola und Miramare einen tragischen Kaisertod gefunden, Erzherzog Johann hat seine Volksliebe mit kaiserlicher Ungnade gebüßt, und sein ebenbürtiger gleichgesinnter Neffe, Erzherzog Heinrich, lebt in der Verbannung! – Schlaf wohl, Herzog Hannes! Das deutsche Volk wird dir es nie vergessen, daß du in seiner schlimmsten Zeit das Herz hattest, seinen innigsten Wunsch laut und ehrlich auszusprechen.

Hinauf zum Licht! Da vor dem Portal geht dem Auge ein herrliches Stückchen der lieben Welt auf. Zu unseren Füßen braust die Passer mit weit ausgespannten Armen durch ihr berge- und burgengekröntes Thal, das dort, gleichsam Meran zu Liebe, in die blühende Etschebene sich verliert und der Sehnsucht den Weg nach Italien zeigt, den einst Hunderttausende von Deutschen zu ihres und ihres Reiches Unglück gezogen sind. Wie hell glänzen dort die Berge – und wie finster ist’s noch immer in den Thälern, aus welchen, wie unser Dichter so deutungsvoll klagt – „die Nacht nur langsam weicht“! Möge endlich auch über Tirol die Sonne des Geisteslichtes aufgehn, das dem armen Volke sein wahres Glück nicht mehr blos in einer Anweisung auf den Himmel, sondern auch schon in seiner schönen irdischen Heimath zeigt und giebt! H. v. C.     

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