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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Nun?“ fragte der Capitain, „an wen ist dieser Zettel gerichtet?“

„Geben Sie mir die Freiheit … dann gebe ich Ihnen die Adresse! Mein Ehrenwort darauf … gegen Ihr Ehrenwort!“

„Gut denn,“ versetzte Lesaillier, „ich will zum General gehen und ihn entscheiden lassen. Sind Sie damit einverstanden?“

„Völlig! Aber eilen Sie!“

Der Capitain ging. Nach wenigen Minuten kam er zurück. Auf die Schwelle des Zimmers tretend, winkte er Wilderich zu sich. Dieser trat auf ihn zu.

„Kommen Sie,“ sagte Lesaillier, „die Adresse … dann können Sie gehn, wohin Sie wollen!“

„Ihr Ehrenwort, daß mich Niemand hindern wird?“

Lesaillier wandte sich durch die offene Thür zum Flur zurück und sagte laut zu den zwei Soldaten, welche als Posten sich davor aufgestellt hatten:

„Ihr könnt gehen, Leute, der Mann hier ist frei.“

„Also … die Adresse!“ wandte er sich dann an Wilderich zurück.

„Uebergeben Sie den Zettel an Fräulein Benedicte Vollrath!“ antwortete Wilderich.

„Die Briefe sind in ihren Händen?“

„So ist es, Herr Capitain … und nun auf Wiedersehen!“

Wilderich grüßte leicht und schritt davon. Der Capitain eilte mit seinem Zettel zum General hinauf, den er umdrängt von Menschen und Geschäften oben in seinem Zimmer und wie einen zornigen Löwen dazwischen auf- und abrennend fand.




13.

Eine Viertelstunde später hatte Wilderich mit Hülfe des ehrlichen Sachsenhäusers seinen Braunen aus dem Stalle im „Grauen Falken“ gezogen und saß im Sattel, um heimwärts in seinen Spessart zu reiten. Hatte der arme Klepper bei dem Herritt sich scharf zusammennehmen müssen, so war es jetzt, bei der Rückkehr zehn Mal ärger. Die Wege waren durch den Marsch so vieler Truppencolonnen, Geschütze, Proviant- und Munitionswagen, und was Alles mit einer Armee sich dahinwälzt, in einen fürchterlichen Zustand gerathen. Nur gut, daß die Straße von diesen Zügen selbst freier war, als am gestrigen Tage und am Morgen – der weitaus größere Theil dessen, was von der Sambre- und Maas- Armee durch den Spessart gezogen, war rechtsab in die Wetterau marschirt oder hatte seinen nächsten Bestimmungsort, Frankfurt, erreicht … nur noch die Marodeurs und Nachzügler begegneten Wilderich, der in gestrecktem Trab, ohne sich viel um sie zu kümmern, meist mitten durch ihre Haufen hindurchsprengte. So erreichte er Hanau am tiefen Abend; er ließ dem Pferde in Wein getränktes Brod geben und es trug ihn weiter, unermüdlich, bis in die tiefe Nacht hinein, bis nach Aschaffenburg. Hier aber drohte es zusammenzubrechen. Wilderich mußte sich entschließen, abzusteigen und es über holpriges Pflaster am Zügel durch ein paar Straßen zu führen, bis er ein Wirthshaus entdeckte, vor dessen noch geöffnetem Einfahrtsthor eine Laterne brannte. Da fand es Stall, Streu und Rast. … Wilderich aber fühlte, daß an Rast und Ruhe für ihn nicht zu denken sei; er ging, nachdem er gesehen, wie sein Thier von einem verschlafenen Hausknecht versorgt worden, in das große gewölbte Gastzimmer neben dem Eingangsflur des Hauses.

Es war still und menschenleer, das weite Gastzimmer zum „Goldenen Faß“ in der Schmiedstraße zu Aschaffenburg. Auf der Bank am Kachelofen lag ein halbwüchsiger Junge, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, den Kopf auf die Brust gesenkt; er war nach des Tages Last und Mühen selig entschlafen. Nur ein verspäteter Gast war noch da – ein starker Mann mit einem dreieckigen Hut auf dem vollen, runden und stark blatternarbigen Gesichte, in dem die kleinen Augen fast ganz verschwanden, saß am Ende des langen Raumes, die beiden Ellenbogen auf den Tisch vor ihm stemmend und nachdenklich in sein halbgeleertes Bierglas blickend.

Er erhob den Kopf, als Wilderich eintrat, schob den dreieckigen Hut leise mehr auf den Hinterkopf zurück, als ob er so besser den Fremdling beobachten könne, und folgte ihm mit seinen blinzelnden Blicken, während dieser den schlafenden Burschen aufrüttelte und ihm auftrug, Wein und Brod zu holen.

Wilderich setzte sich dann in einiger Entfernung von dem andern Gaste an den Tisch.

Dieser nickte ihm freundlich zu.

„Nix deutsch?“ sagte er lächelnd.

„Ich spreche deutsch!“ antwortete Wilderich.

„Sieh, sieh,“ fuhr der Mann, indem er aufstand, sein Glas nahm und sich in Wilderich’s Nähe setzte, fort, „dacht’ mir’s gleich, trotz Eurer grünrothen Jacke … Chasseurs nennt Ihr Euch, denk’ ich? na, ja, dacht’ mir’s gleich, Ihr wäret Keiner von den Echten, sondern Einer von denen aus dem Elsaß, oder von denen vom Rhein drüben, die so mitlaufen … ’s sind ihrer wenig drunter so stattliche Leute, wie Ihr … also Ihr sprecht deutsch … da können wir ein wenig discuriren zusammen … es ist gar langweilig, wenn man so allein Nachts bei dem kalten Bier sitzt.“ …

„Und weshalb sitzt Ihr so spät allein hier?“ fragte Wilderich den geselligen Mann.

„Na ja, seht,“ versetzte dieser, „was soll man zu Bett gehen, wenn man weiß, man findet doch seine Ruhe nicht? Es ist von wegen des Geblüts, müßt Ihr wissen … von wegen des Geblüts! Wenn ich mich leg’, so ist’s just, als ob ich einen Tobel da hätte … hier und hier“ – der Mann deutete erst auf seine rechte und dann auf seine linke Schläfe – „just wie ein Tobel, sag’ ich Euch, wie ein kleiner Mühlenkolk, wenn die Räder am Drehen sind!“

„So müßt Ihr kein Bier trinken, sondern zur Ader lassen …“

„Ist schon wahr,“ versetzte der Mann gutmüthig lächelnd, „bin auch nicht faul mit dem Aderlassen … werden schon sehen, werden schon sehen … es ist viel zur Ader gelassen worden im Spessart in diesen Tagen … gar wüst und bös … es war eine wüste Geschichte … bin auf und davon gelaufen vor der wüsten Wirthschaft … konnt’s nicht mehr ansehen … das sakrische Bauerpack … ist doch eine gräuliche Sach’, wenn so der plumpe Bauer losbricht!“

„So habt Ihr nicht geholfen, mit den Anderen drauf zu schlagen?“

„Ich? Der Gaishofstoffel? Was denkt Ihr? Ich? Mich graust’s. Auf Euch Franzosen losschlagen? Das mögen die Kaiserlichen thun; denen ihre Sache ist’s! Das sind Soldaten. Und die Franzosen sind auch Soldaten … mögen sie’s mit einander ausmachen – was geht’s einen friedfertigen Bauersmann an?“

„Aber es ist doch arg gehaust worden von der französischen Armee im Frankenland!“

„Arg gehaust … nun ja … ein wenig arg schon ist’s hergegangen … geplündert und gebrannt, geraubt und geschändet … wie’s so im Kriege hergeht … die Kirchen besudelt und die Pfarrer gezwickt … dem in Strullendorf, dem Pfarrer Rük ist’s am schlimmsten ergangen … Ihr wißt wohl nicht davon? Sie haben ihn geplündert, mißhandelt, ihm mit einem Grabscheit in den Hals gehauen, ein Stück von der Nase abgeschlagen und ihn in den in Flammen stehenden Widum gestoßen; da hat der arme Teufel gemeint, im Keller kann er sich vor dem Feuer retten; und da hat man ihn denn am andern Tage gefunden – ganz ausgebraten! Ihr seid wohl nicht dabei gewesen?“

„Nein,“ sagte Wilderich trocken.

„Es ist eben der Krieg,“ fuhr der Mann mit seinem stereotypen gutmüthigen Lächeln fort, „und das muß man so hinnehmen, wie’s Gottes Wille ist … was geht’s einen armen Bauersmann an? … Ich habe gesehen, wie sie drei französische Officiere, die sie gefangen hatten, nackt auszogen und an drei Bäume hingen; im Wald, nahe beim Bessenbacher Schlosse war’s … ihre Kleider verbrannten sie – das Satanspack von Bauern.“ …

Der Mann hatte, während er so mit einem ganz eigenthümlichen Ausdruck von Harmlosigkeit diese Gräuelgeschichten vorbrachte, eine Bewegung mit dem rechten Arme unter dem Tische gemacht, die Wilderich nicht entging. Es war, als ob er aus der Seitentasche seines Beinkleides etwas hervorgezogen und damit unter die Tischplatte gedrückt … Wilderich glaubte die Bewegung zu verstehen … sie schien ihm in verdächtiger Verbindung mit einer Landessitte zu stehen, die weniger harmlos war, als des seltsamen Gastes gutmüthiges Lächeln dabei. Wilderich zog nach einer Weile, während der er seinen späten Gesellschafter nicht aus dem Auge verloren, einen Schlüssel aus seiner Tasche hervor, spielte damit und ließ ihn wie achtlos zu Boden fallen und bückte sich dann, um ihn aufzuheben.

Er sah dabei ein großes breites Messer zwischen den Knieen des Andern mit der Spitze in die untere Seite der Tischplatte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_582.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)