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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

sie ihn an, daß ihm unheimlich zu Muthe wurde … daß er die Brauen zusammenzog und gebieterisch sagte. „Nun, so rede doch endlich!“

„Du hattest nicht Recht!“ stieß sie kaum hörbar hervor. „Nein, bei Gottes rächendem Strafgericht nicht! Du der Verbündete dieser Benedicte, um mir den größten Schmerz meines Lebens zu bereiten!“

„Das war ich nicht – ich wahr nicht ihr Verbündeter …“

„Und wenn auch, Du konntest meine Angst, meine Qual sehen … und doch sagen, Du liebtest mich! O unerhört … unerhört … unerhört!“

Sie sank in ihren Sessel zurück, sie schlug ihre Hände vor’s Gesicht und brach in bittres Schluchzen aus.

„Gieb mir mein Kind,“ rief sie aus, „gieb mir mein Kind zurück … und dann, dann laß mich nie, nie wieder den Vater dieses Kindes sehen!“

„Marcelline!“

„Ich will mein Kind von Dir … nichts … nichts als das … gieb mir mein Kind zurück!“

„So fasse Dich doch … Du wirst mit mir kommen, wir werden zusammen es wiedersehen …“

„Mit Dir? Nie, nie – aber ich werde es mir holen … ich werde es zu suchen, zu finden wissen … ich werde barfuß gehen und mich von Thür zu Thür betteln, wenn es sein muß, um mein Kind wieder zu erlangen … ich werde seinetwegen Alles, Alles opfern, ich werde meinen Ruf mit Füßen treten lassen, ich werde Alles thun, was ein Weib thun kann – nur das Eine nicht, Dir Menschen ohne eine Seele und ohne ein Herz im Leibe zu folgen … bei Gott, dies scheidet uns auf ewig!“

„Marcelline!“ rief Duvignot leidenschaftlich aus, „mach’ mich nicht rasend, nicht toll – – dies ist nicht Dein letztes Wort, oder …“

„Es ist mein letztes … unwiderruflich!“

„Wenn ich Dir Alles auseinandersetzen könnte, was mich bestimmte, was mich zwang …“

„Was bedarf es dessen? Du sahst meinen Schmerz, meinen furchtbaren Schmerz und – schwiegst! Es ist genug, übergenug. Sprich mir kein Wort mehr, geh’, räche Dich, thue, was Du magst und kannst, tödte, erschieße, bade Dich in Blut, mich beugst Du nicht mehr! –“

„Zorniges, unvernünftiges, eigensinniges Weib!“ brauste jetzt Duvignot auf, „füge Dich in meinen Willen oder …“

„Niemals – Du kannst mich zerbrechen, aber nicht beugen!“

„Nun dann im Namen der Hölle!“ schrie Duvignot, „gebrochen sollst Du werden! Es ist Dein Trotz, der mich zwingt zu handeln!“

Er stürzte, den auf den Boden gefallenen Brief des Erzherzogs an sich reißend, davon und draußen einige Stufen der Treppe zum oberen Stock hinauf, bis ihm auf seinen Ruf der Capitain Lesaillier entgegen eilte.

„Der Schultheiß wird auf die Hauptwache abgeführt,“ befahl er diesem. „Dann bemächtigen Sie sich des Menschen in der Chasseur-Uniform; Beide werden strenge bewacht!“




12.

Wir sahen, wie die Befehle des Generals sofort ausgeführt worden waren. Der Capitain Lesaillier hatte zuerst den Schultheißen Vollrath abführen lassen. Dann hatte er sich der Person Wilderich’s bemächtigt. Dieser folgte jetzt den Soldaten; der Capitain schritt hinter ihm drein. In seiner furchtbaren Erregung, in seiner Erschütterung war es Wilderich schwer, die Besinnung zu bewahren, und doch hatte er alle seine Fassung nöthig, um den Gedanken, der wie ein Licht in seine Seele gefallen, festzuhalten – den Gedanken, der ihm in all’ dieser unsäglichen Aufregung nicht früher gekommen, der jetzt wie ein Blitzstrahl ihn bei Benedictens letzter Antwort durchzuckt hatte – und an dessen Ende die Rettung, sichere Rettung lag!

„Capitain,“ sagte er deshalb, sich, die Treppe hinabschreitend, zu Lesaillier umwendend, „Capitain, wenn Sie Ihrem General einen großen Dienst leisten wollen, so verstatten Sie mir, daß ich ein paar Worte mit Ihnen unter vier Augen rede!“

„Sie werden vor dem Kriegsgericht reden können … morgen!“ antwortete der Capitain.

„Nein,“ versetzte Wilderich, „des Generals Privat-Angelegenheiten und die der Dame dieses Hauses gehören nicht vor das Kriegsgericht.“

„Pst!“ rief Lesaillier aus, „und davon wollen Sie mit mir reden?“

Er maß ihn mit einem verächtlichen Blick von oben bis unten.

„So ist es … ich bitte Sie dringend darum … wenn Sie mich anhören, werden Sie Ihrem Vorgesetzten den größten Dienst leisten, den ihm ein Sterblicher in diesem Augenblick leisten kann!“

„Merkwürdig! Und was liegt Ihnen daran, ob ihm ein Dienst geleistet werde oder nicht? Ihnen … in Ihrer Lage?“

„An Ihrem General liegt mir nichts … aber an einer anderen Person, für die ich nicht handeln kann, ohne auch Ihrem General zu nützen.“

„Nun, so treten Sie,“ sagte Lesaillier zögernd, doch betroffen von dem Ernst, womit Wilderich sprach, „treten Sie dort ein.“

Sie waren unten auf dem Flur angekommen und Lesaillier deutete auf die Thür, die links von der Hausthür in einen Raum führte.

Wilderich trat ein, Lesaillier folgte ihm, während auf seinen Wink die Soldaten vor der Thür blieben.

„Also – was wollen Sie?“ fragte der Capitain herrisch und wie über seine eigene Nachgiebigkeit verdrossen, „reden Sie!“

Es standen im Hintergrund des Zimmers ein paar Officiere und einige Leute in Civil zusammen, Wilderich trat also in die erste Fensternische, wo er ungehört sprechen konnte.

„Was ich will,“ sagte er, „ist die Freiheit auf dreißig bis sechsunddreißig Stunden, gegen mein Ehrenwort, daß ich nach Verlauf dieser Zeit mich wieder zur Haft stellen werde.“

„Ah!“ rief der Capitain, halb verwundert, halb spöttisch aus.

„Und Sie werden mir die Freiheit geben,“ fuhr Wilderich fort, „wenn …“

„Wenn ich gesehen habe, daß Sie ein Narr sind, der unzurechnungsfähig ist und den man deshalb laufen läßt, wollen Sie sagen!“

„Nicht doch, Sie werden mir die Freiheit für so kurze Zeit geben, wenn ich Ihnen einen Preis dafür biete, den Sie nicht ausschlagen werden.“

„Und dieser Preis wäre?“ sagte achselzuckend der Capitain.

„Es ist die ganze geheime Correspondenz der Frau des Schultheißen mit Ihrem General.“

„Teufel … die hätten Sie?“

„Sie ist in meine Hände gefallen … mit dem im Spessart aufgehobenen Fourgon des Generals.“

„So werde ich sie Ihnen einfach abnehmen lassen …“

„Das können Sie nicht, denn ich trage sie nicht bei mir.“

„Wo ist sie?“

„Sie werden das erfahren nach meiner Freilassung.“

„Ich soll Sie freilassen auf Ihr bloßes Wort hin, daß Sie diese Briefe besitzen, an deren Wiedererlangung allerdings dem General gelegen sein dürfte …“

„Sie werden das,“ fiel Wilderich ein, „diese Briefe werden sonst veröffentlicht werden und die Welt wird erfahren, daß die Verfolgung des Schultheißen Vollrath durch den General eine Handlung der allerniedrigsten und verächtlichsten Privatleidenschaft war … wenn sich der General daraus am Ende nichts machen sollte, so wird die Frau, um deren Ruf es sich handelt, desto mehr Werth darauf legen, nicht so bloßgestellt zu werden!“

Der Capitain sah Wilderich eine Weile nachdenklich an.

„Aber was wollen Sie denn eigentlich, daß geschehe?“ sagte er dann. „Sie können doch unmöglich begehren, daß man Sie so ohne Weiteres und auf das gütige Versprechen hin, daß Sie jene Briefe ausliefern wollen, laufen lasse?“

Wilderich unterbrach ihn, indem er zu dem Tische im Hintergrunde des Raumes, auf welchem sich Schreibmaterialien befanden, schritt und ein Blatt nahm, um hastig einige Worte darauf zu schreiben.

„Was schreiben Sie da?“

Wilderich gab das Blatt an den Capitain. Dieser las die Worte:

„Geben Sie die Briefe, welche ich Ihnen anvertraute, an den Ueberbringer dieser Zeilen. Wilderich Buchrodt.“     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_580.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)