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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Du sprichst dies Alles nicht, um mich wirklich glauben zu machen, daß Du ein solcher Unmensch, ein so verabscheuenswürdiger Schurke sein würdest …“

„Ruhig, ruhig, Marcelline – zornige Worte bringen uns nicht weiter – höre mich an. Ich werde das Leben Deines Gatten schonen, ich werde diesen Brief dann zerreißen, wenn Du es willst … dagegen wird Dein Gatte einwilligen, Dir all das Deine herauszugeben, Dich friedlich ziehen und mir folgen zu lassen! Geh’ zu ihm und stelle ihm die Bedingung …“

„Um Gott, ich soll zu ihm gehn, ich soll ihm in’s Gesicht mein Verbrechen bekennen … ich soll seine Einwilligung in einen schmachvollen Handel verlangen …“

„Wenn Du mich liebtest, wie Du so oft geschworen, würde ich diese hochtönenden Worte nicht zu hören brauchen,“ rief Duvignot, zornig mit dem Fuße stampfend, aus – „nimm die Dinge einfach, wie sie liegen! Blicke der Nothwendigkeit mit mehr Ruhe und Vernunft in’s Gesicht, laß die Worte und handle … Du stehst vor einem Entweder-Oder … und kein Gott rettet Dich vor einer Entscheidung!“

„Daß kein Gott den rettet, der einmal in Deinen Händen, scheint in der That! Etienne, Du bist entsetzlich, es graut mich vor Dir!“

Er zuckte mit düsterem Stirnrunzeln die Achsel.

„Entscheide Dich und geh’!“ sagte er, sich an’s Fenster stellend und seine Stirn an eine der Scheiben beugend.

„Aber glaubst Du denn, glaubst Du in der That,“ rief Marcelline, „daß Vollrath in einen solchen schmachvollen Vertrag einwilligt? Daß er mich gehen heißt, wenn ich ihm als Preis dafür jenen Brief dort biete?“

„Ich denke doch!“ stieß Duvignot zornig hervor.

„O, Du irrst … Du irrst gewaltig – der alte Mann wird nie in etwas einwilligen, was wider seine Ehre ist, nie … und er liebt mich … wahrhaft … mehr vielleicht als Du, der im Stande ist, mich so zu quälen … weißt Du, was seine Antwort sein wird?“

„Was wird sie sein?“ fragte Duvignot mit kaltem Hohn. „Er kann Dich nicht mit in’s Grab nehmen, dieser Mann, der Dich mit so heißer Liebe liebt, wie Du sagst!“

„Nein, aber er kann über’s Grab hinaus mich vor Unglück, vor dem Untergang behüten wollen. Er wird sagen: ich darf mir das Leben nicht erkaufen wollen mit dem sicheren Unglück Deines Lebens – willigte ich ein, so wärst Du ein verlorenes Geschöpf, Du würdest grenzenlos unglücklich werden an der Seite eines Mannes, der solche Mittel gebraucht, um Dich zu besitzen … Deine Zukunft, das ganze Elend Deiner Zukunft steht vor mir und – ich will Dir nicht das Thor öffnen zu dieser Zukunft … lieber geh’ ich in den Tod, der mich nicht entehrt, wie es das Leben nach solch einem Handel thun würde!“

„Welchen Heroismus Du ihm zutraust, welche rührende Liebe zu Dir!“ erwiderte Duvignot verbissen und doch von Marcellinens Worten erschüttert. Aber dies Gefühl wurde nicht Herr über ihn. Die Leidenschaft, die ihm die Trennung von dem geliebten Weibe als etwas Unmögliches, etwas ganz Undenkbares erscheinen ließ, die Kränkung seiner Eigenliebe, die in ihrem Widerstande lag, das Stachelnde dieses Widerstandes selbst, alles das durchwühlte ihn und höhnisch rief er aus:

„Ihr Weiber seid Egoisten, Alle – Alle – Du denkst bei dem Allen nur an Deine Zukunft und die Sicherheit Deines Glücks darin …“

„Ihr Männer seid wohl nicht Egoisten? … Du bist es nicht in dieser Stunde?“

„Wenn Du es nicht bist, nun wohl, so geh’, denk’ zuerst an Deinen Mann und wie Du ihn rettest – denk’ an ihn und nicht blos an Dein Schicksal, das Dir so entsetzlich scheint, wenn Du mir folgst, wenn Du mir es anvertraust!“

„Ich kann Vollrath nicht retten … er wird es nicht wollen … nur Du kannst es – gieb Deinen schrecklichen, schurkischen Vorsatz, Deinen teuflischen Willen auf …“

„Reize mich nicht mit solchen Worten – es ist genug, daß Du sagst: ‚Ich will nicht‘! Wohl denn, so höre: Du bist es, die Deines Mannes Todesurtheil unterschreibt, und – nachher folgst Du mir dennoch …“

„Dem Mörder meines Mannes? Nimmermehr!“

Duvignot wandte sich und schaute eine Weile auf die furchtbar erregte, verzweifelnde Frau nieder.

Der Anblick schien ihn zu erweichen; er fuhr mit der Hand über die Stirn und sagte halblaut. „Suchen wir Frieden, Marcelline; höre mich an. Ich dürste nicht nach dem Blut dieses armen alten Mannes – bei meiner Ehre nicht! Mag er leben! Aber auch wir wollen leben, zusammen leben, denn anders fasse ich das Leben nun einmal nicht! Laß uns darüber einig werden, einig noch in dieser Stunde, damit Alles abgethan sei, was neuen Streit zwischen uns entbrennen lassen könnte! Du fürchtest für das Glück Deiner Zukunft, für Dein Loos, wenn Du es mir anvertraust … das ist bitter, es ist demüthigend für mich. Liebtest Du mich, so wie ich Dich, so würde kein Raum für solche Bedenklichkeiten in Deinem Herzen sein. Du würdest in einer Zukunft, die uns die Freiheit gäbe, uns ganz anzugehören, nur das höchste Glück erblicken und vertrauend dem Manne folgen, von dem Du weißt, daß Du seine ganze Seele besitzest. Sei es drum – wenn ich Deine ganze Seele nicht besitze, wie Du die meine, so giebt es ein Wesen wenigstens, was sie besitzt, und dieses Wesen wird die Macht haben, Dich zu dem zu bestimmen, was Du mir abschlägst …“

„Was willst Du sagen?“ rief Marcelline aus.

„Ich sagte Dir vorhin, daß ich die Macht habe, Dich zu zwingen, mir zu folgen. Ich drückte mich verkehrt aus. Nicht in meiner Hand liegt diese Macht – es ist ein anderes Wesen, das …“

„Wen … o mein Gott, wen kannst Du meinen? …“

„Brauche ich es Dir zu sagen? ich meine Leopold!“

„Leopold!“ fuhr Frau Marcelline empor, sich strack aufrichtend und die Hand nach Duvignot ausstreckend, … „Leopold … was ist mit meinem Kinde … was weißt Du von meinem Kinde … rede, rede, was ist mit ihm … wo ist es?“

„Es ist in Frankreich!“

„In Frankreich? In Deinem Lande?“

„In meinem Lande, in meiner Heimath, in der Bretagne, wohlgehütet, wohl aufbewahrt!“

„In Deinem Lande … und da ist Leopold … und das sagst Du mir erst heute … erst jetzt … o Du belügst mich, Du entsetzlicher Mensch!“

„Ich spreche die Wahrheit!“

„Es kann nicht wahr sein … es kann nicht sein … wie könnte Benedicte, nachdem sie das Kind entführt, es nach Frankreich, in Deine Gewalt gebracht haben?“

„Behaupte ich das? Aber könnten meine Nachforschungen nach dem geraubten Knaben nicht rastloser und glücklicher gewesen sein als die Deinen? Könnte es mir nicht gelungen sein, ihn aufzufinden, ihn, meinen Sohn, mein Eigen, das nach allen Gesetzen der Natur mir gehörte, in meiner Heimath in Sicherheit zu bringen und mir als einen theuern Schatz, als mein Liebstes da zu bergen?“

„Das … das sollte die Wahrheit sein, das behauptest Du?“

„Ich behaupte es, ich schwöre es Dir, daß das Kind in meinen Händen ist. Giebt es einen Schwur, der Dich überzeugt, so nenne ihn mir, ich will ihn leisten. Bei meiner Ehre? Das genügt Euch Weibern nicht, Ihr wißt nicht, was einem Manne seine Ehre ist … bei der Asche meiner Mutter – ist Dir das genug?“

„Aber wie war es Dir möglich …“

„Ich habe das Kind Grand de Bateillère anvertraut; ich habe es ihm auf die Seele gebunden, er hat es in die Nachbarschaft von Rennes geführt, zu einer seiner Tanten, die auf dem Lande lebt. Ich hörte lange nichts von ihm … aber sein letzter Brief sagte mir, daß das Kind wohl sei.“

„Und mir, mir verschwiegst Du das?“

„Ich verschwieg es Dir – vielleicht in der Voraussehung einer Stunde, wie diese für uns ist … einer Stunde, wo ich die Demüthigung erlebe, zu sehen, daß meine Bitte: verlaß mich nicht und folge mir, machtlos an Dir abgleitet, wo ich Dir sagen muß: Folge mir denn zu Deinem Kinde, Du wirst sonst Dein Kind nie wieder sehen.“

„Hatte ich Recht,“ fuhr, als Marcelline nicht antwortete, Duvignot mit Bitterkeit fort, „hatte ich Recht, als ich Dir sagte: ich könne Dich zwingen?“

Marcelline stand wie erstarrt, wie versteinert. Sie war todtenbleich geworden. Nur in ihren unheimlich vergrößerten Augen, die auf ihm ruhten, schien noch Leben zu sein. So blickte

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