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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Zimmer, zündete die Lampe an, machte sich’s im Hauskleide bequem und rückte, nachdem er die Pfeife in Brand gesetzt, in der Absicht, in die Winternacht hinein zu studiren, seinen bücherbeladenen Arbeitstisch an den warmen Ofen.

Einige Male hatte er rauchend und von der Zerstreuung der Abendstunden sich sammelnd das Zimmer durchmessen; schon war der abgerissene Faden des Studiums wieder angeknüpft, und, in eine Makame des Hariri vertieft, zogen die Gedanken des Nordländers aus dem heimischen Winternebel über Land und Meer hinaus nach dem sonnigen Arabien, da unterbrach sein Sinnen ein äußerst trivialer Gedanke: der Gedanke an das während der Tageszeit offen stehende und auch jetzt noch nicht geschlossene Schlafkammerfenster.

H. trat in die Kammer, schloß das Fenster und kehrte schleunigst in die warme Stube zurück. Da blieb er, den Griff der Kammerthür noch in der Hand, wie angewurzelt stehen. Er sah sich selbst, – sein leibhaftiges zweites Ich sich gegenüber stehen. Da war sein rothcarrirter Schlafrock, da die in der linken Hand gehaltene Pfeife, die offene Weste, der selbst im Winter entblößt getragene schlanke Hals, das hervortretende Kinn mit dem noch dünnen Bärtchen, die schmalen Wangen, doch, wie es ihm scheinen wollte, bleicher als die seinigen. Augen und Stirn seines unheimlichen Gegenübers wurden von ihm nicht gesehen, da er, im Augenblicke des Eintretens in seinen Stoff auf’s Neue vertieft, den Blick etwas gesenkt gehalten hatte.

Drei, vier Secunden stand der Spuk, dann zerrann er in Luft, aus der er entstanden zu sein schien. Mechanisch schloß H. die Kammerthür. Dem sonst außerordentlich jugendkräftigen und durchaus nicht zu nervösen Zuständen hinneigenden jungen Manne bebten die Kniee. Still setzte er sich auf dem Sopha nieder, und wenn er auch nicht, wie weiland Chamisso, der Dichter, dem Gespenste Platz machte und „zu weinen in die Nacht hinausschlich“, so war’s doch für dieses Mal mit dem Arbeiten vorbei. Die ausgegangene Pfeife in der Hand, saß er, wie er mir am andern Morgen gestand, anfänglich in einem Zustande dumpfen Hinbrütens, dann aber grübelnd bis tief in die Nacht hinein in seiner Sophaecke. Ein noch nie gekanntes Gefühl der Furcht war über ihn gekommen. Er fürchtete sich, sein nächtliches Lager aufzusuchen, er fürchtete sich aber auch, das Zimmer zu verlassen, um etwa unter fröhlichen Commilitonen Vergessenheit im edlen Gerstensaft zu suchen. Konnte das Spukgebilde nicht wiederum dastehen, wenn er um Mitternacht heimkehrte?

Selbstverständlich suchte der erschütterte Geist meines Freundes seine Sammlung in dem beharrlichsten Nachspüren nach irgend einer Erklärung der Erscheinung, die er nicht wegleugnen, nicht zur optischen Täuschung stempeln konnte. Nach stundenlangem Grübeln glaubte er endlich die Ursache des sonderbaren Phänomens gefunden zu haben. Er theilte sie mir am folgenden Tage mit und ich erlaube mir, den Erklärungsversuch meines Freundes H., dem ich meinen Beifall nicht versagen kann, den Lesern der Gartenlaube zur freundlichen Beurtheilung vorzulegen.

Als H. in das Zimmer zurückkehrte, drang aus der von außen mit Nebelluft gefüllten Kammer ein durch den Rand der geöffneten Thür scharf begrenzter feuchtkalter Luftstrom in senkrechter Lage in die warme und trockene Stubenatmosphäre. Auf diese von Wassertheilchen erfüllte Luftschicht fielen die Strahlen der am Ofen stehenden Lampe. Zwischen beiden – nämlich der Lampe und der feuchtkalten Luftschicht – stand einige Secunden lang, während er die Kammerthür schloß, Freund H., den Rücken der Lampe, das Gesicht dem eindringenden Nebel zugewendet. Die Erscheinung, die ihn schreckte, scheint nun nichts Anderes als sein eigenes Spiegelbild auf der senkrechten, durch das etwas schräg von hinten einfallende Lampenlicht erhellten Nebelwand gewesen zu sein.

Sollte wohl nicht manche „wirklich passirte“ Schauergeschichte vom „zweiten Gesicht“ ähnlichen, sehr natürlichen Vorkommnissen ihren Ursprung verdanken?

Zusatz der Redaction. Ob sich durch die Eigenschaft der Netzhaut unseres Auges, daß das Bild eines wenigstens eine bestimmte Zeit lang betrachteten Gegenstandes sich ihr einprägt und daß sie den Eindruck desselben lange genug festhält, um ihn, namentlich wenn der Blick rasch von dem hell beleuchteten Gegenstande auf eine im Dunkel stehende Wand fällt, dort auf Secundenlänge wieder erscheinen zu lassen, – nicht auch bisweilen dieses sogenannte „zweite Gesicht“ erzeugen könne, darüber würde von einem Fachmann eine Auskunft willkommen sein. Erinnert wurden wir an diese „Trugbilder“ durch ein gleichbetiteltes Werkchen von Dr. A. Besell (Stuttgart, bei Rieger), welches eine Anleitung, Erscheinungen, auf optischer Täuschung beruhend, nach Belieben hervorzurufen und eine wissenschaftliche Erklärung derselben giebt.




Rollwenzelei. Jeder Reisende, der Baireuth und seine Umgebung, insbesondere die Eremitage zu besuchen Gelegenheit hatte, wird nicht unterlassen haben, auf dem Wege zur letzteren auch das als Jean Paul’s in Nr. 1 der Gartenlaube von 1863 in Bild und Wort verherrlichter Lieblingsaufenthalt weltbekannt gewordene Rollwenzelhaus, namentlich aber das Arbeitszimmer desselben, welches in seinem ursprünglichen Zustande erhalten ist, sowie seinen Arbeitstisch, etliche Sessel, ein Sopha, einen Spiegel, ein eigenhändiges Manuscript des Dichters, seine Büste, sein Original-Bildniß und ein werthvolles, vom historischen Verein gestiftetes Album in Augenschein zu nehmen.

Dieses Zimmer soll nun, da es Privateigenthum ist und dem derzeitigen Besitzer weder für dessen Instandhaltung noch für das zeitraubende Vorzeigen irgend welche Entschädigung geleistet wird, seinem Zwecke entfremdet und zu anderweitigem Gebrauche eingerichtet werden. Sollte sich in dem so hochgebildeten Baireuth – ähnlich wie in Leipzig ein Schillerverein zusammengetreten ist, welcher nicht nur [[Friedrich Schiller|Schiller]’s Geburtstag jährlich als öffentliches Fest begeht, sondern vor Allem das Wohnhäuschen Schiller’s in Gohlis käuflich erwarb, baulich erhält und als ein kleines Museum von Schillerandenken sehenswerth gemacht hat – nicht ein Jean-Paul-Verein aufthun können, um seine Sorge den Jean-Paul-Erinnerungen in und um Baireuth zu widmen? Ihm würden dann sicherlich Verehrer des Dichters allerwärts gern sich anschließen, um durch Beiträge die Zwecke desselben zu unterstützen, und die Stadt, deren Eigenthum und Obhut einst König Ludwig die Erzbildsäule dieser größten Berühmtheit derselben übergab, würde schwerlich einem solchen Verein mit ihrer Theilnahme und Unterstützung fern bleiben.

Die Redaction der Gartenlaube glaubt im Sinne Vieler zu reden, wenn sie dies als eine Bitte an die dazu berufenen und durch ihre Bildung verpflichteten Kreise Baireuths ausspricht.




Protest gegen literarischen Diebstahl. Es ist ein Vorrecht der Diebe, daß sie sich nicht zu schämen brauchen, und wer einzig auf den Baarabwurf der Neugierde speculirt, läßt sich darin nicht durch Gebote des Rechts und der Ehre stören. – Trotz der ausdrücklichen Erklärung der Dichterin der „Reichsgräfin Gisela“, veröffentlicht in Nr. 7 der Gartenlaube mit den deutlichen Worten:

„Nach den traurigen Erfahrungen, welche die Verfasserin mit den Dramatisirungen ihrer früheren Erzählungen gemacht hat, müssen wir im Auftrage derselben von vornherein gegen jede Dramatisirung der gegenwärtigen Novelle ‚Reichsgräfin Gisela‘ Protest einlegen.
Die Redaction.“     

hat die Dramatisirungsspeculation dieses Mal in Berlin sogar noch ein Uebriges geleistet: schon vierzehn Tage vor Ausgabe der beiden letzten Schlußnummern der Erzählung war die dramatisirte Gisela einstudirt und das Theaterstück fix und fertig in den Händen der Darsteller, ja man hatte sogar die Stirn, das neue Stück folgendermaßen anzuzeigen:

„Sonntag.0 Zum ersten Male: Reichsgräfin Gisela. Schauspiel in 4 Acten, nach dem gleichnamigen Roman bearbeitet von E. Marlitt“ –

stellte somit die Dichterin selbst als die Bearbeiterin des dramatisirten Werkes hin!

Was soll man zu diesem Treiben sagen, das in seiner wahrhaft verhöhnenden Ungenirtheit so weit geht, eine völlig unberufene und unberechtigte Arbeit auf die Bühne zu bringen, während die Dichterin den Ausgang der künstlerisch so vollendet abgeschlossenen Schöpfung noch nicht einmal niedergeschrieben hatte? Ist das nicht der höchste Grad von Rücksichtslosigkeit, die niedrigste Nichtachtung gegen ein Kunstwerk, das man des Bestehlens doch so werth hält?

Was aber gegen solches literarisches Diebsgelichter thun! Verklagen? In Deutschland schützt den Autor gegen solche Brandschatzung seines geistigen Eigenthums kein Gesetz! Das Stück hat bereits ein Dutzend volle Häuser gemacht, der Plagiarius hat den klingenden Erfolg im Beutel, die Dichterin das Nachsehen für eine etwaige eigene Dramatisirung ihres Werkes! Aus der öffentlichen Brandmarkung seines verbrecherischen Treibens macht sich derartiges Raubgeschlecht sehr wenig, wenn nur der Fang ein lohnender und erfolgreicher war. Es trägt’s kaum noch aus, es öffentlich zu beklagen, daß Rechts- und Ehrgefühl in solchen Kreisen so tief darniederliegen.


Kleiner Briefkasten.

Frau E. T. in P-g. Das bereits früher empfohlene Pensionat für junge Damen der Frau Dr. Beta in Berlin, deren Adresse Sie verloren haben, ist noch Königgrätzerstraße 48. Auf Meldung erhalten Sie genaue Auskunft.

A. H. in Saarbrücken. Ihren Wünschen wird am besten entsprochen sein durch Becker’s Weltgeschichte, 8., bis auf die Gegenwart fortgeführte Ausgabe. Herausgegeben von Adolf Schmidt. 18 Bde. Leipzig, Duncker und Humblot.

A. H. in Cbg. Schreiben Sie uns sofort das Nähere, wir glauben Ihnen den Verkauf verbürgen zu können.


Für die Hinterbliebenen der verunglückten Bergleute des Plauenschen Grundes

gingen ferner ein: Collecte unter den Arbeitern der Seidenzwirnerei J. Dürsteler in Wezikon (Schweiz) 3 Thlr.; A. Cramer in Jeßnitz 1 Thlr.; L. G. in Couvet (Schweiz) 3 Thlr.; Sammlung beim 9. Stiftungsfest des Turnvereins in Lich (Oberhessen) 6 Thlr. 8 Ngr. 5 Pf. (11 Fl. rhein.); L. G. in Leipzig 5 Thlr.; Albert A. in Brooklyn 10 Thlr.; W. in Wittenberg 3 Thlr.; M. R. in Leipzig 5 Thlr.; Mtn. in Torgau 2 Thlr.; Fr. Sch. in Bamberg 5 Thlr.; Geschäftspersonal der A. Wiede'schen Buchdruckerei 7 Thlr. 26 Ngr. 5 Pf.; G. in Mutterstadt (Rheinpfalz) 2 Thlr.; aus Neu-Sanitz 3 Thlr.; H. B. in Grabow 1 Thlr.; Hochzeits-Sammlung am 15. August in Markneukirchen 4 Thlr. 15 Ngr.; von den Knaben der Selecta in Weißensee 3 Thlr.; aus Burgau (Baiern) 1 Thlr.; N. N. in Oldenburg 1 Thlr.; Eduard K. 1 Thlr.; E. Grauert in Neu-Ruppin 2 Thlr.; aus Schildberg 15 Ngr.; Pueschel in Olberndorf 1 Thlr. 15 Ngr.; W. S. in Marburg 2 Thlr.; Sammlung von der Expedition der Gubener Zeitung 40 Thlr. (Summa sämmtlicher Eingänge: 627 Thlr. 16 Ngr. 5 Pf.) Die Redaction. 


Inhalt: Verlassen und Verloren. Historische Erzählung aus dem Spessart. Von Levin Schücking. (Fortsetzung.) – Ein Dilettanten-Verein und sein Dirigent. Von Prof. J. C. Lobe. Mit Portrait. – Zwei Mönche einer protestantischen Hochschule. 2. Ein Jesuitenzögling und Jünger vom heiligen Barnabas. Von Friedrich Hofmann. – Die schlagenden Wetter von Burgk. Zweiter Bericht von der Unglücksstätte. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Aus Abraham Lincoln’s Leben. – Der Doppelgänger. – Rollwenzelei. – Protest gegen literarischen Diebstahl. - Kleiner Briefkasten. - Quittung über neue Eingänge für die Hinterbliebenen der verunglückten Bergleute des Plauenschen Grundes.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. - Verlag von Ernst Keil in Leipzig. - Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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