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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Wie ward solch’ ein Wunder möglich? – Auch diese Frage beantwortet sich einfach: die Freiheit' hat’s gethan!

Als nach Jahresfrist die vom schlauen Pater Rector von Sanct Anna in Aussicht gestellte Wiederbelebung der todten „heiligsten Mutter“ nicht in Erfüllung ging, trat Reinhold, welcher dem gewählten Berufe treu bleiben wollte, in das Barnabitencollegium, das neben der demselben anvertrauten Michaeliskirche in Wien wohl noch heute seinen Sitz hat. Dieser Orden war 1536 in Mailand gestiftet, nach der ihm dort eingeräumten Kirche des heiligen Barnabas genannt und wurde durch den redlich verfolgten Zweck, „zur Verbesserung der Sitten und der Kenntnisse des katholischen Clerus beizutragen“, für Reinhold zur geistlichen und geistigen Heilanstalt. Später, als völlig freier Mann und in einer Schrift „zur Ehrenrettung der lutherischen Reformation“ hat Reinhold den Orden als einen „unmönchischen“ gerühmt, in dessen Schooß er für seine Geistesbildung nur Aufmunterung und Belohnung gefunden habe. So kluge und treue Hände mußten dem armen Verirrten zu Hülfe kommen, um ihn aus der Verstrickung zu erlösen, in welche die Jesuiten jede Thätigkeit seines Seelenlebens gelegt hatten. Und nachdem in ihm der Mensch wieder zu Ehren gebracht und der Muth des Denkens geweckt war, trieb das angeborene Talent ihn so rasch vorwärts, daß er, der Zweiundzwanzigjährige, zu Michaelis 1780 zum Novitienmeister und Lehrer der Philosophie an diesem Collegium ernannt werden konnte.

Dennoch war er noch bergetief von seiner späteren wissenschaftlichen Höhe entfernt. Wäre in diesem Jahre, wo Maria Theresia das Zeitliche segnete, ein Metternich’sches oder Bach’sches System zur Regierung gekommen, so würde Reinhold schwerlich bis zum Abwerfen der letzten geistlichen Fessel vorgeschritten sein. Da ging die Sonne der ewig erhebenden „josephinischen Zeit“ über Oesterreich auf; „Aufhebung der Censur“ erscholl es aus des Kaisers Hofburg, und nun war der Augenblick da, wo die begabten Köpfe des Volks sich emporreckten, die verwandten Geister sich suchten und zu freudigem Wirken sich aufrafften. Eine Schaar Gesinnungsgenossen, zum Theil ehemalige Mitdulder von Sanct Anna, trat jetzt mit Reinhold zu einem Bund zusammen, der, die Form der Freimaurerei annehmend, sich „Loge zur wahren Eintracht“ nannte und in der „Wiener Realzeitung“, in einem eigenen „Freimaurerjournal“ und in besonderen Schriften einen kühnen Kampf gegen Aberglauben und Schwärmerei und vor Allem gegen das Mönchswesen begann. Zu diesem Bund gehörten der Sprachgelehrte und Dichter Denis (Sined), Johann Baptista von Alxinger, Franz Joseph von Raschky, Verfasser des seiner Zeit berühmten heroisch-epischen Gedichts „Melchior Striegel“, Blumauer, Gottfried von Leon, Herausgeber des „Wiener Musenalmanach“, Lorenz Leopold Haschka und vor Allen Ignaz von Born, „ein Wohlthäter der Menschheit in vieler Hinsicht“, denn er glänzt nicht blos als einer der größten Mineralogen und geologischen Forscher aller Zeiten und Völker, sondern der ehemalige Jesuit hat durch seine „Neueste Naturgeschichte des Mönchthums“ als „Ignaz Loyola Kuttenpeitscher“ über den verhaßten Orden ohne Zweifel die schärfste Geißel geschwungen, die derselbe je zu empfinden hatte, und die er um so bitterer empfand, als diese Schrift damals in viele Sprachen übersetzt wurde, so daß ihre Geißelhiebe über halb Europa reichten.

Reinhold’s Thätigkeit in diesem Kreise war die der wissenschaftlichen Kritik. Unter Blumauer’s Redaction (seit 1781) lieferte die Wiener Realzeitung eine vollständige Uebersicht der neuesten österreichischen Literatur in Anzeigen oder Beurtheilungen. Fertigte man unter der Ueberschrift „Maculatur“ oder gar „Erzmaculatur“ schlechte Producte kurz genug ab, so zeichneten sich dagegen die ausführlichen Recensionen um so mehr durch Gediegenheit des Urtheils und weise Mäßigung aus; die über Theologie und Kirchenwesen sind durch drei Jahrgänge sämmtlich aus Reinhold’s Feder geflossen.

Nichts lag näher, als daß dem jungen, redlich strebenden Manne das Mißverhältniß zwischen den Standpunkten und Berufspflichten seines inneren und seines äußeren Menschen immer auffallender und lästiger werden mußte. Er hatte die angeborenen Menschenrechte durch geistliche Gelübde in einem Alter aufgegeben, wo er ihren Werth noch nicht zu erkennen vermocht; jetzt erkannte er es als seine Pflicht, diesem falschen Zustande ein Ende zu machen. Seine Eltern lebten nicht mehr, seine Geschwister bedurften seiner Hülfe nicht, seine Freunde mußten ihm beistimmen. So benutzte er denn 1783 die Herbstferien des Barnabitencollegiums zu einer Erholungsreise, die er bis nach Leipzig ausdehnte und von der er nicht wiederkehrte.

Hier stehen wir am Schluß unseres Artikels. Der Leser weiß bereits, daß auch aus diesem Mönch ein Professor der Philosophie und sogar an zwei protestantischen Hochschulen geworden ist. Ein Eingehen auf die literarische Thätigkeit dieses großen Philosophen liegt nicht in der Aufgabe der Gartenlaube. Ist es doch kaum möglich, dem nicht zu den philosophischen Fachleuten gehörigen Publicum der Gegenwart die Bedeutung dieser Wissenschaft zu Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts vollkommen klar zu machen. Daß die Erscheinung von Kant’sKritik der reinen Vernunft“ ein Ereigniß für die Bewegung der Geister und die Entwickelung des Geistes war, so groß wie irgend eine der großen Entdeckungen und Erfindungen, begreift jetzt Niemand mehr. Die ganze Zeit war von dem Streben in die Tiefe und zu den Ideen durchdrungen und die studirende Jugend ist dieser Zeit lebendigster Ausdruck. Als Reinhold im Herbst 1793 die Berufung nach Kiel angenommen, richtete der größte Theil der akademischen Bürger Jena’s, fast tausend Studenten, ein Schreiben an ihn, in welchem er in wahrhaft ergreifenden Worten beschworen wurde, seinen Entschluß aufzugeben; die Studenten erboten sich, selbst seinen Gehalt zu erhöhen, um sich den geliebtesten Lehrer der Philosophie zu erhalten. So hoch stand der Mann und so hoch damals seine Wissenschaft! –

Wohl mochte es Einzelne geben, welche, wie der Weltgeschichts-Chronolog Kohlrausch so schön andeutet, vielleicht eine Gefahr darin sahen, daß die Betrachtung und das Wort zu sehr auf Kosten des Lebens und der That gepflegt wurde; als aber die Zeit der Noth über das deutsche Vaterland kam, haben die Gelehrten und die Studenten jener Tage gezeigt, daß die Ideen auch Kraft zum Handeln geben. –

Karl Leonhard Reinhold ist am 10. April 1823 in Kiel, fünfundsechszig Jahre alt, gestorben. In jeder Beziehung glücklicher als sein Leidens- und Strebensgenosse Johann Baptist Schad, der Märtyrer von Banz, der das Bild seines Lebens selbst mit schmerzendem Griffel zeichnen mußte, hat Reinhold in einem ebenbürtigen Sohne nicht nur später einen Nachfolger auf seinem Lehrstuhle der Philosophie in Jena, sondern auch einen Biographen gefunden, der des Vaters „Leben und literarisches Wirken“ auf das Würdigste darzustellen vermochte: Ernst Reinhold, dem ich als meinem Lehrer Dank und Verehrung schulde. Auch er gehört nun schon seit vierzehn Jahren zu den vielen großen Todten des kleinen Jena. Friedrich Hofmann.     




Die schlagenden Wetter von Burgk.

Zweiter Bericht von der Unglücksstätte.

Schon sind Wochen vergangen seit dem erschütternden Drama des zweiten August. Mehrmals und tagelang bin ich seitdem wieder an Ort und Stelle gewesen und kehre soeben von einer neuen Wanderung nach dem Segengottesschachte zum Fuße des Windbergs zurück. Indem ich nun hier, so recht in bergmännischer Hingebung, in einer vorzugsweise von höheren und niederen Grubenbeamten zur Erholungsstätte erkorenen freundlichen Schenke, mich hinsetze, den Lesern der „Gartenlaube“ Rechenschaft zu erstatten von den jüngsten Eindrücken, die ich am Unglücksplatze empfangen, muß ich vorausschicken, daß ich das Bild des letztern in seinen großen und allgemeinen Zügen nur sehr wenig, wenn überhaupt verändert fand, wie dies der Natur der Sache nach auch keine wesentliche Wandelung erfahren haben konnte. Mit demselben bangbeklommenen Herzen, mit der nämlichen ängstlich unheimlichen Erwartung trat ich meinen Gang nach der Hochfläche an, wie vor acht und wie vor vierzehn Tagen, und so ziemlich die gleichen schmerz- und schreckensvollen Wahrnehmungen und Erlebnisse harrten meiner dort.

Da stand mir zur Rechten wiederum das Huthaus, einsam

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verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_570.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)