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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Zwei Mönche einer protestantischen Hochschule.
2. Ein Jesuitenzögling und Jünger vom heiligen Barnabas.

Der k. k. Arsenal-Inspektor Reinhold in Wien war ein tapferer Mann von fröhlichem und gutem Herzen. Im Heere der Kaiserin Maria Theresia hatte er als Subalternofficier den österreichischen Erbfolgekrieg mitgemacht, war am Arm schwer verwundet und dann als kriegsuntüchtig, aber wohlverdient, mit einem Inspectorposten am Wiener Arsenale belohnt worden. Wenn der Vater Uniform und einen Degen trägt und selbsterlebte Kriegsgeschichten erzählen kann, so fährt den Knaben, der Familie von selbst der Soldat in alle Glieder, ja sogar die Mädchen nehmen etwas Militärisch-Frisches in ihrem Wesen an. Wie war es möglich, daß von den sieben Kindern Reinhold’s gerade der älteste Sohn, allem Kriegerischen abhold werden und sich mit entschieden ausgesprochener Neigung dem geistlichen Stande zuwenden konnte?

Der Arsenal-Inspector Reinhold huldigte, nach der im ganzen Süden Deutschlands herrschenden Sitte, war seine Amtspflicht erfüllt, den Freuden der Geselligkeit außer dem Hause, die ohnedies in der fröhlichen „Kaiserstadt“, von je verlockender waren als irgendwo. Er liebte seine Familie, sein gutes Herz hing an seinen Kindern und er that für die Ausbildung derselben, was er vermochte, indem er das nöthige Geld dazu hergab, aber das Uebrige der Mutter und das Lehrern überließ. Der Mutter Trost und Stolz war natürlich der älteste Sohn, sein Verständniß harmonirte zuerst mit dem ihren, er mußte als Aeltester den Vater im Hause ersetzen, ihm schüttete sie ihr Herz aus, ihre Wünsche wurden die seinen und wenn es der Mutter höchster Stolz und seligste Zukunft war, ihren Karl Leonhard einst als geweihten Priester am Hochaltar zu schauen, sollte der sanfte, fromme Sohn einen höheren Wunsch kennen? – Der junge Reinhold war im Geiste längst Priester, ehe er in seinem vierzehnten Spätherbst 1772 aus der obersten Classe des Gymnasiums als Novitius in das Probhaus des Jesuitencollegiums zu St. Anna in Wien überging.

Daß dieser Uebergang den Eltern und dem Knaben möglichst leicht gemacht wurde, dies eröffnet uns den ersten Blick auf das klügste Gewebe, welches je ein Netz zum Geisterfang vollendet hat. Auch unter den Lehrern des Gymnasiums waren Jesuiten, offenbar mit der besondern Verpflichtung, aus der Schülerzahl die tüchtigsten Köpfe für ihren Orden zu gewinnen. Des jungen Reinhold Lernbegierde, Fassungskraft und hingebende Frömmigkeit versprachen genug, um ihn nicht aus dem Auge zu lassen.

Der Sohn war aus dem Elternhause geschieden. Hatte die Mutter bei ihrer einsamen Lampe, wenn sie ihre Kleinen zur Ruhe gebracht, und wenn ihr Geist den liebsten Sohn in ihrer Zelle heimsuchte, wohl eine Ahnung, daß es eine Gewalt und eine Hinterlist in der Welt gäbe, welche sich an das Unglaubliche wagte, das Bild, das Andenken der Mutter aus dem Herzen dieses Wahns zu reißen? – Und doch war dies möglich, ja es war vollkommen gelungen, und zwar binnen kürzerer als Jahresfrist!

Am zwölften September 1773 wurde in Wien, die Aufhebung des Jesuitenordens durch den Papst Clemens den Vierzehnten verkündet, in Folge deren auch die Zöglinge von St. Anna ihren Familien zurückgegeben werden mußten. – Am folgenden Tage schrieb der junge Reinhold aus dem Probhaus seinem Vater einen Brief, in welchem er uns so unbefangen in diese Anstalt einführt, als müßte Jedermann in ihr das Heiligthum sehen, als welches sie vor seinen Augen stand. Wir bewundern die Darstellungsgabe des fünfzehnjährigen Jünglings, auch wo wir auf Aeußerungen, stoßen, an deren Wahrheit wir zweifeln möchten, wenn nicht die Wahrhaftigkeit des Mannes, welchem wir die Veröffentlichung dieses Briefes verdanken und den wir später noch zu nennen haben, jeden Zweifel zurückwiese. Da der Inhalt dieses Briefs zugleich den Hauptgegenstand unsres Artikels ausmacht, so muß ich alles Wesentliche wörtlich. aus demselben mittheilen. Er beginnt:

„Gnade und Friede unseres Herrn sei mit Ihnen, bester Herr Vater!

„Nun ist denn also das Strafgericht, das dem Unglauben und der Sittenlosigkeit unser heutigen Welt und leider auch der Lauigkeit unserer Novizen so lange her angedroht wurde, endlich über uns ausgebrochen! Unsere heilige Mutter, die Gesellschaft Jesu, ist nicht mehr! – – Aber der Herr ist gerecht, und wir werden nicht ungewarnt gezüchtigt. Die Weissagung an die gesammte Christenheit: ‚Ich werde den Hirten schlagen und die Schafe werden zerstreut werden‘, und die Drohung an unsere Novizen: ‚Weil ihr weder kalt noch warm seid, will ich euch aus meinem Munde ausspeien‘, waren doch so deutlich. Unser Pater Rector hat sie uns wohl hundertmal wiederholt, und wer hat sich daran gekehrt? Ich kann und will meinen Nächsten nicht richten; aber von mir selbst muß ich’s zu meiner wohlverdienten Schande sagen, daß mein ungeistliches Betragen allein sträflich genug war, um der Langmuth Gottes ein Ende zu machen.“ –

So spricht ein junger Mensch von fünfzehn Jahren! Welche Ungeheueres hat wohl der Arme verbrechen können, um der Langmuth Gottes ein Ende zu machen, er, der, durch die Mauern der frommen Anstalt von der sündigen Welt abgesperrt, keinen anderen Umgang hatte, als den mit seinen eben so streng bewachten Genossen und den Lehrern und Oberen des Hauses?

Offenbar war der stets bestunterrichtete Orden über den bevorstehenden Act seiner Aufhebung längst nicht mehr in Zweifel. Um so notwendiger war es gewesen, in den Novizen ein Vorgefühl des drohenden Unheils zu erzeugen. Wie man dies anfing, darüber haben wir soeben eine Andeutung erhalten: die Hinweisung auf die abscheuliche Sündhaftigkeit der Welt. Wir werden von Reinhold aber noch näher unterrichtet. Schon einige Monate vorher wurde den Novizen im Refectorium eine „Encyklika“ des Pater Generals vorgelesen, „welche durch alle Welttheile herumgeschickt wurde und Alle zum gemeinschaftlichen Gebete und zu außerordentlichen Bußwerken aufforderte, um ein großes Uebel, welches dem Orden und der Christenwelt bevorstände, abzuwenden.“

Nun galt’s, in den Novizen die Ueberzeugung zu befestigen, daß sie selbst zur Rettung des Ordens wesentlich beitragen könnten, Es war Regel, daß der Pater Provincial bei seiner gewöhnlichen Visitation ihnen einen vollkommenen Ablaß ankündigte. Diesen Ablaß, ihr heiliges Besitzthum, sollten nun die Novizen sammt dem noch besonders erworbenen „hohen Verdienst ihrer heimlichen Gewissensrechenschaft“ – für die Zwecke des Pater Generals aufopfern. Den „Ketzern“ unter unsern Lesern wird es schwer werden, sich in diesem Sünden-Conto zurechtzufinden. Die Zöglinge besaßen also die Vergebungszusicherung für ihre begangenen Sünden und noch einen Vorrath von „Verdienst“ als eine Art Credit von Vergebung für zukünftige Sünden. Diesen gesammten Gewissensschatz sollten sie aufgeben und mit ihren gesammten Sünden behaftet bleiben – Alles zur Rettung ihres Ordens aus dem nur durch die größten Opfer zu versöhnenden Zorn Gottes. Um dies den jungen Leuten noch eindringlicher zu machen und ihnen zu einer Gewissenserleichterung zu verhelfen, ließ der Pater Rector ein wunderthätiges Madonnenbild auf der Treppe des zweiten Stockwerks des Probhauses auf das Prächtigste ausschmücken und die Novizen vor demselben durch drei Tage und Nächte Betstunden halten. Während dieser ganzen Zeit nahmen die Novizen ihre Speisen auf dem Fußboden sitzend und die Patres knieend ein. Dazu setzten alle Büßer Strohkränze oder Eselskronen auf, wie solche überhaupt von den Jesuiten bei der Tafel statt der Baretts auf dem Haupte zur Bußübung getragen wurden. Endlich erhielt jeder Novize außer den öffentlichen allgemeinen Dorsaldisciplinen, d. h. den Geißelstreichen, welche er sich auf den Rücken, zwischen den Schultern selbst zu versetzen hatte, noch die besondere Erlaubniß auf alle Tage für eine „spanische Disciplin“, bei welcher die Geißelstreiche ein paar Spannen tiefer anzubringen waren.

Nach solchen Vorbereitungen konnte man die jungen Seelen für genügend befähigt halten, die Aufhebung des Ordens zu erfahren ohne Schaden für ihre fernere Hingebung an denselben. Bei der Erzählung dieser Thatsachen erfahren wir zugleich, daß es nicht blos in einigen verwahrlosten Alpendörfern oft gerügte und ebenso oft bestrittene Unsitte ist, Gebete wie Spielmarken zu mißbrauchen und die Verpflichtung zum Ableisten derselben als Gewinn und Verlust beim Karten und Kegeln zu verwerthen, sondern daß hier in der Jesuitenschule dieser Unfug mit aller Salbung prakticirt wurde. Reinhold erzählt:

„Wir brachten den letzten Donnerstag, wie gewöhnlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_568.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)