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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

zweite badische Kammer zur Tagesordnung überging, obwohl der alte Mann, mit aufgehobenen Händen und Thränen in den Augen, ausrief. „Im Namen des Vaterlandes beschwöre ich Sie, schlagen Sie meine Motion nicht todt!“ Sie wurde todt gemacht.

Aus gewissen Andeutungen glaube ich annehmen zu dürfen, daß der auch von seinen Gegnern hochgeachtete Mann von einem Minister selbst Mittheilungen erhielt, einem Minister, zu dem er auf dem Standpunkte „Freund der Person, Feind der Sache“ stand, der, ein Bureaukrat vom reinsten Wasser, Monarchist aus tiefinnerster Ueberzeugung, aber ein weitsehender ehrlicher Mann, von der Unmöglichkeit der Durchführung des Metternich’schen Systems gegenüber der modernen Civilisation und geistigen Entwickelung des deutschen Volkes überzeugt war und außerdem der ewigen Bevormundung, der obligaten Rüffel und imperativen Dictate, welchen die kleineren Staaten unterworfen waren, ebenso müde gewesen ist, als sie für seinen Stolz kränkend waren.

Man gestatte mir hier eine kleine, den edlen von Rotteck charakterisirende Begebenheit einzuflechen. Rotteck war von der Stadt Freiburg zum Abgeordneten gewählt; die Zeit der düstersten Reaction brach herein, Pfaffen, Staatskrippenfresser, Adel und die ganze Heulmeierbande brachten eine Petition zu Stande, in welcher auf Ausschließung Rotteck’s aus der Volkskammer gedrungen wurde. Jeder, welcher nicht eine Sclavenseele im Leibe trug, war empört. Rotteck, schon seines Lehramts beraubt und vielfach anderweit verfolgt, sollte nun auch mit Eselstritten regalirt werden, er, der Alles dem Vaterlande, dem Volke, der Freiheit willig zum Opfer brachte. Auf einem Spaziergange konnte der Schreiber dieser Zeilen nicht umhin, die ferene Ruhe, die klare Heiterkeit und aufmerksame Liebenswürdigkeit des alten Mannes gegen die Gesellschaft, besonders die Damen, zu bewundern, des Mannes, dem kurz zuvor jene infame Kränkung in den schändlichsten Ausdrücken zugefügt war, und Schreiber dieser Zeilen, dessen ganzes Inneres vor Wuth über jene Niedertracht kochte, drückte diese Verwunderung gegen Rotteck aus, der solch’ unverdienten Schimpf und Schmach so gelassen und heiter trage. Da blieb der kleine Mann stehen, sah dem Schreiber, damals ein Mensch von einigen zwanzig Jahren, fest und freundlich in’s Auge und sagte, ihm die Hände auf die Schultern legend. „Junger Freund, sowie ich Sie ansehe und beobachtet habe, werden Sie dereinst im öffentlichen Leben vortreten. Wenn Sie dort irgend etwas unternehmen und verfechten, so thun Sie es nur allein aus reiner voller Ueberzeugung ohne Rücksicht auf Volksgunst oder Ungunst, dann werden Sie auch in düstern Lebenslagen so heiter und gelassen bleiben können, wie der alte Rotteck.“

Goldene, unvergeßliche, wahre und wahrhaftige Worte! Unablässig war man von Seiten der für bürgerliche Freiheit kämpfenden Männer bemüht, den Schleier zu lüften und in den Besitz jener geheimen Verschwörungsbeschlüsse der Talleyrand-Metternich’schen Legitimität zu gelangen. Es gelang endlich im Jahre 1843, zwei Jahre nachdem durch geheimen Bundesbeschlnß vom 29. Juli 1841 deren Gültigkeit und verbindliche Kraft auf weitere sechs Jahre verlängert worden war. Sie wirken heute noch fort und sind der permanente Polarstern aller Reaction. An einem heiteren Frühlingstage fand sich verabredetermaßen auf dem Landgut des alten Adam von Itzstein zu Hallgarten am Rhein, dicht beim Metternich’schen Johannisberge, eine Versammlung gleichgesinnter Männer ein, aus verschiedenen Theilen Deutschlands, worunter viele ständische Abgeordnete; Männer aus Preußen, Sachsen, den Thüringischen Staaten, Hessen, Nassau, Würtemberg und Baden. Es war die in gewissen Zeiträumen wiederkehrende gleichzeitige Eröffnung der Ständeversammlungen Sachsens, Würtembergs und Badens bevorstehend.

Schon früher hatten solche Zusammenkünfte stattgefunden, um durch gemeinschaftliche Berathung und Beschlußfassung, durch gemeinschaftliche Maßregeln und Schritte Einheit und damit Kraft in den Widerstand gegen die Reaction und Unterdrückung der bürgerlichen Freiheit zu bringen. Die meisten der gamals in Hallgarten Versammelten sind eingegangen zur ewigen Freiheit. Thomas Moore’s herrliches Gedicht. „Oft, in the stilly night“ will uns nicht aus dem Sinn, wenn wir auf die vergangene Zeit blicken.

Einige Namen der dort Versammelten mögen hier stehen: Robert Blum, von Watzdorf, v. Dieskau aus Sachsen, die Brüder Alfred und Ottmar Behr aus Köthen, die Gebrüder Leisler und Hergenhahn aus Wiesbaden, Römer und Andere aus Würtemberg, Gratz, Dupré und Andere aus Hessen, Itzstein, Welcker, Sander, Mathy, Bassermann, Farnow, Rindeschwender und Andere aus Baden. Es war eine zahlreiche Versammlung ernstgewillter Männer. Itzstein’s wie immer freundlichem und liebenswürdigem Benehmen war ein gewisser feierlicher Ernst beigemischt. Nachdem er sich im Geheimen mit sechs bis acht der Anwesenden berathen, wurden sämmtliche Gäste nach dem größten Salon des Hauses, nach dem Billardzimmer geführt; man nahm Platz, und Itzstein, ein Manuscript hoch in der Hand haltend, erklärte: endlich in den Besitz des Documentes der Verschwörung gegen das deutsche Volk gelangt zu sein. Feierliche Stille folgte seiner energischen, ausdrucksvollen kurzen Anrede. Der Ausdruck der Gesichter der Anwesenden, verbunden mit der feierlichen Stille, hatte etwas Großartiges, Imposantes. Drüben glitzerten im Sonnenschein die Fenster des Johannisberger Schlosses. Spannung, Erwartung, gewaltsam niedergehaltene Erregung, Hohn, Haß, Wuth, was eines Jeden Brust gerade erfüllte, malte sich auf den Gesichtern der schweigenden Versammlung. Die Vehme saß zu Gericht über die Verräter.

Itzstein händigte das Manuscript einem der Anwesenden, wenn ich mich recht erinnere, Robert Blum, zur Vorlesung ein. Langsam, feierlich, sonor und betont wurde das Actenstück verlesen, mit der größten Spannung hingen die Blicke der Anwesenden an den Lippen des Vorlesenden. Dann und wann wurde ein kurz ausgestoßener Ausruf des Einen oder des Anderen laut. „Pfui!“ „infam!“ „jetzt wird’s klar!“ – Wir hatten mit einem Mal den officiellen Schlüssel zum Gebahren der Minister in allen constitutionellen Lebensfragen, vom Urlaubsrecht der Staatsdiener, dem Steuerbewilligungsrecht der Stände, der Nichtbeeidigung des Militärs auf die Verfassung, der Preßknebelung und dem Censurunwesen, der Vernichtung der Lehrfreiheit, kurz, der ganze Volksknebelungs- und Verknechtungsapparat lag vor uns. Mir war es, als schritten die Schatten des ermordeten Pfarrers Weidig mit von Farrenschwanzhieben blutrüstigem Körper und zerschnittener Kehle und anderer todter Märtyrer, gleich den Eumeniden des Aeschylos, durch die Versammlung.

Daß die vollständige Enthüllung dieser Verschwörung gegen die Völker wie ein Sturm über das Land brausen und auch den Ungläubigsten und Blindesten, welche uns stets der Uebertreibung beschuldigten, die Augen öffnen müsse, daß der Einfluß der Veröffentlichung dieser geheimen Conferenzbeschlüsse auf die öffentliche Stimmung und Meinung ein unberechenbarer sein müsse, darüber war man sich allseitig klar.

Metternich sollte bald erfahren, daß ein System, welches auf Slovaken, Hannaken, Böhmaken, Grenzer und dergleichen Cultur berechnet war, nicht intelligenten Volkstämmen aufgezwängt werden könne. An der Echtheit des Documentes konnte kein Mensch zweifeln, welcher den parlamentarischen Kämpfen zwischen Regierungen und Ständen gefolgt war. Was vorher höchste Wahrscheinlichkeit war, lag als apodiktische Wahrheit vor uns. Aber um allen und jeden Zweifel gründlich zu heben, eröffnete Itzstein den Anwesenden, daß der Sohn eines deutschen Ministers diese Copie von der in dem Geheimarchiv seines Vater niedergelegten officiellen Ausfertigung Wort für Wort und genau genomnen und Itzstein und Blum eingehändigt habe.

An der Echtheit war sohin kein Zweifel, und in einer späteren geheimen Sitzung einer erwählten Commission der badischen Ständekammer, in welcher es ziemlich aufgeregt und stürmisch zuging, gab der badische Finanzminister von Boekh in seiner bekannten barschen und manchmal hochfahrenden Weise die Echtheit mit den Worten zu: „Sie sind nicht nur echt, sondern sie sind auch gut!“, eine Aeußerung, die eben nicht wie Oel auf die Wogen wirkte. Manchen der Anwesenden berührte es nachmals fast komisch, daß Welcker in seinem Buche „Wichtige Urkunden für den Rechtszustand deutscher Nation“ aus Gründen der äußeren und inneren Wahrscheinlichkeit mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt auf fast sechs Großactavseiten die Echtheit zu beweisen suchte, als ob er nie in Hallgarten dabei gesessen und nicht gewußt hätte, daß sofort auf sicherem Wege eine Copie derselben an den Herausgeber der „Deutschen Schnellpost“ in New-York, Herrn Eichthal, gesendet worden war. Natürlich that jenes Welcker nur, um die Spürnasen deutscher Polizei von der Fährte abzulenken.

Die Versammelten beschlossen sofort den Druck und die Verbreitung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_553.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)