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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Tiger der Blutdurst nur schlummert, nicht unterdrückt ist, um früher oder später unausbleiblich an seinem Herrn sich zu versündigen, so sehen wir auch dem Baumwürger schon zeitig die mörderischen Triebe eingepflanzt. Denn kaum über das erste Kindesalter hinaus, legt er auch schon seine Arme um das Opfer, der erste Schritt seiner verbrecherischen Laufbahn ist geschehen; und damit hat er bereits sein Spiel gewonnen! Die Arme halten ihn fest und kein Sturm entführt ihn seiner Stätte mehr. Mit doppelter Kraft gehoben, dehnt er sich nun rasch in die Höhe, rascher als seine Pflegerin es einst vermochte. Von Zeit zu Zeit wachsen ihm, höher hinauf, neue Armpaare, deren Zweck um so unfehlbarer ist, als sie bei ihrem Zusammentreffen in einander zerfließen und solchergestalt einen einzigen festen Ring bilden. Ihre Verschmelzung geht so gründlich vor sich, daß sie keine Spuren der Einigung zurücklassen.

Mit der zunehmenden Ausdehnung und Stärke dieser Armwurzeln beginnen die Folgen der Zerstörung sichtbar zu werden; denn während das umschlossene Opfer an den freien Stellen sich noch auszudehnen vermag und sich über und unter den Schlingen Anschwellungen bilden, entstehen die grellsten Contraste im Hinblick auf die weniger entwickelten Theile. Die Zerstörung schreitet unaufhaltsam vor, fast sich überflügelnd, durch verschiedene Umstände mehr oder weniger begünstigt. Der Kampf um das Leben ist jedoch so hartnäckig, daß der Unterdrückte dem Sieger oft erst weicht, nachdem die Kronen Beider gleiche Größe haben und vollkommen in einander verwachsen sind.

Der freien Lebensthätigkeiten nicht mehr befähigt, senkt der Besiegte endlich lebensmatt sein vorhin noch so freudig erhobenes Haupt. Er wird ein Spiel der Stürme und anderer zerstörenden Elemente. Ein Ast wird nach dem andern aus der Höhe in die Tiefe hinabgeschleudert, bis nur noch der kahle Rumpf als redendes Zeugniß der Schandthat zu verbluten übrig bleibt. Nun, wo der Verräther den Gipfel seines Triumphes erreicht zu haben sich rühmen könnte, hebt die Periode seines eigenen schmachvollen Unterganges an. Auf eigenen Füßen zu schwach, tragen ihn auch die Reste des Erdrosselten nicht mehr, da diese langsam zu vermodern beginnen, um nun an dem überlebenden Despoten das Werk der Vergeltung zu üben. Ein Gerippe nur noch, schwankt der durchlöcherte Bau, ein kümmerliches Dasein fristend, sich selbst zur Last und unter den übrigen Bäumen des Waldes seinem Schicksal preisgegeben. Noch einmal schüttelt der Sturm die zerbrechlichen Glieder, und mit krachendem Getöse stürzen sie zusammen, über den Trümmern des Vorangegangenen ihr eigenes Grab findend.

Der selbstmörderische Baumwürger.
Nach der Natur aufgenommen.

Nur wenn wir uns die Principien vergegenwärtigen, nach denen die Gebilde des üppigen tropischen Pflanzenlebens entstehen und vergehen, wo Eins mit dem Andern um sein Dasein ringt, wo räthselhafter Weise über modernden Trümmern ununterbrochen neue Formen treiben, und wo ein beständiges gegenseitiges Zerstören und Wiedergebären in der schaffenden Natur stattfindet: dann nur sind wir im Stande, das Schroffe in den Gegensätzen des besprochenen Phänomens weniger schroff zu finden und in gemildertem Lichte eine Erscheinung zu betrachten, welche ohne diese Milderung die Einbildung auch des stumpfesten Gemüthes wachrufen muß.

Ein gewiß interessantes Beispiel solcher Erdrosselung bieten uns die im Bilde vorgeführten nebeneinander stehenden Mauritia- Palmen, welche Ansicht den unteren Theilen des Itapicuru- Flusses im nordöstlichen Brasilien nahe dem Aequator, entnommen ist. Spricht nicht aus dem Bilde des anscheinend unselbstständigen Wesens eine Ueberlegung, eine Kriegslist heraus, deren berechnende Absicht, von der der Baumgattung eigenen Dehnbarkeit und Schmiegsamkeit begünstigt, um so gewisser erreicht wird? Der Würger, nicht zufrieden, rechterseits seinen Zweck erreicht zu sehen, sandte schon frühzeitig eine Helfershand aus, um mit ihr später unter vereinten Kräften den Prachtbau auch der zweiten edlen Gestalt herabzustürzen die in so würdiger wie prunkloser Majestät noch stolz ihr Haupt in die Lüfte trägt! Wenn schon unter allen Bäumen die Palmen am längsten dem Würger Widerstand zu leisten pflegen, so macht doch die in Rede stehende Mauritia – auch Weinpalme genannt – eine Ausnahme. Sie besitzt nur in ihrer Rinde außerordentliche Härte; das Innere dagegen ist weich und schwammig. Den schönen Namen „Weinpalme“ hat dieser Baum darum erhalten, weil der äußere Breimantel der zierlich beschuppten Früchte zur Darstellung eines beliebten gegohrenen Getränkes Verwendung findet, das zwar keineswegs mit Wein verglichen werden kann, der Wissenschaft aber dennoch Veranlassung gab, eine Art dieser Gattung mit dem Namen „vinifera“ zu belegen.

Auf den wunderbaren, aus dem Geschlecht der Feigenarten stammenden Schlingbaum zurückzukommen, so wurde derselbe von dem Brasilianer ganz bezeichnend mit dem Namen Cipó-matador (wörtlich Schlingwürger) bezeichnet. Er gehört aber nicht, wie man mehrfach angenommen hat, einer einzigen Species, sondern mindestens drei verschiedenen, wie ich schon beobachtet, an. Es ist dies um so weniger befremdend, als die Eigenschaft des Kletterns, die große Genügsamkeit auf dürftigem Boden, sowie die Dehnbarkeit, gewissermaßen das Modelungsvermögen im Anschluß an fremde Gegenstände, selbst an Steine, einen wesentlichen Charakter der ganzen Familie ausmachen. Aehnlichen Charakter, jedoch weniger gewaltsam im Anblick, finden wir in Brasilien auch noch bei einigen Gliedern der in den Tropen zu hohen Bäumen anwachsenden, der Malvenfamilie verwandteu Bombacineen; ferner bei mehreren Clusia-Arten, die alle Eigenschaften eines wahren Schmarotzers zeigen, weil sie auf Kosten ihres Gastfreundes ein fettes glänzendes Blatt, große prachtvolle Blumen tragen, wie auch noch oft dem fremden Haushalte eine Menge seltsam geformter Früchte zu danken haben.

Nicht weniger auffällig macht sich der Cipó-matador, wenn

er, zufällig einer Mauer entsprossen, gegen die ihm feindlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_541.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)