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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

unter seinen Papieren einen Brief mit einem preußischen Thalerstück gesiegelt, der in französischer Sprache die Aufschrift trug: „Depesche des Fürsten Petrosbey an Se. Königl. Hoheit den Prinzen von Armenien“, und einen abgelaufenen Paß auf einen Engländer „Amur Khan“. Es wurde durch die betreffenden Gesandtschaften erwiesen, daß er unter letzterem Namen in London und Brüssel eine zahllose Menge Betrügereien verübt habe und in Belgien von der Zuchthauspolizei zu fünf Jahren Gefängniß verurtheilt worden sei. In Paris hätte er sich mit einem gefälschten holländischen Paß auf den Namen Johannes Joseph aufgehalten, war dort im Jahre 1850 wegen Schwindeleien durch Ministerialbefehl ausgewiesen und später wegen unbefugter Rückkehr nach Frankreich mit zwei Monat Gefängniß bestraft worden. Der Leipziger „Illustrirten Zeitung“ bot er mit seltener Frechheit fünf Thaler an, damit sie ihn unter dem Namen „Prinz Silvanesian“ verherrliche; in dem genealogischen Kalender machte er den mißlungenen Versuch, sich unter dem Namen „Adjutant Fürst Petrosbey“ unter die Reihen hoher Häupter einzuschmuggeln; ja selbst Berlin hatte er vor einer Reihe von Jahren zum Schauplatz seiner Thaten erkoren, hatte damals zur Abwechslung unter dem Namen „Fürst Koricoz“ betrügerische Schulden gemacht, war im Arrest gesessen und durch den Polizeipräsident v. Puttkammer verwiesen worden. Der Schneidermeister Kohn unter den Linden, welcher die Identität dieses Fürsten Koricoz mit dem jetzigen „Prinz von Armenien“ auf das Allerbestimmteste behauptete, war damals von dem schlauen Gast auf die raffinirteste Weise um eine sehr namhafte Summe beschwindelt worden.

Sollte man nicht glauben, daß unter der Wucht dieser gravirenden Thatsachen auch das verstockteste Abenteurergemüth zusammenbrechen und zum Geständniß bewogen werden würde? Zumal als die Untersuchungshaft – ob mit Recht oder Unrecht, will ich dahin gestellt sein lassen – im Arbeitshause stattfand, und Se. Hoheit der Prinz von Armenien zu den gesetzlichen niedrigen Dienstverrichtungen angehalten wurde, da der armenische Staatsschatz nur aus sechs Thalern bestand und nicht zum Unterhalt des höhen Herrn ausreichte. Seine Antworten lauteten dahin, „daß er nun alle und jede Auslassung verweigere, da er einsehe, daß alle preußischen Beamten von seinem Feinde, dem Kaiser von Rußland, bestochen seien, daß man ihm seinen Staatsschatz stehlen würde, wenn er den Versteck desselben nachwiese, und er es daher vorziehe, sich in sein Schweigen zu hüllen und, wie er schon so oft gethan, als Märtyrer seines guten Rechtes zu leiden.“

Dabei blieb er nun unverbrüchlich stehen und setzte die Polizei dadurch in nicht geringe Verlegenheit. Trotz der enormen Kosten, welcher in dieser verhältnißmäßig so unbedeutenden Sache aufgewendet worden waren, konnte man dem Abenteurer nichts nachweisen als Führung falscher Titel, Würden und Orden – Vergehen, die nur mit einer nicht allzu langen Gefängnißstrafe geahndet werden konnten. Die weitere Untersuchung würde dem Justizfonds ungeheure Ausgaben verursacht haben und zwar ohne Zweck. Man lehnte es daher „aus Zweckmäßigkeitsgründen“ ab, den Fremdling vor Gericht zu stellen, nahm von weiterer gerichtlicher Verfolgung Abstand und ließ den „Prinzen ohne Land und Namen“ über die Grenze frei, mit der ernstlichen Verwarnung, das preußische Land je wieder zu betreten. Die erlittene Haft wurde ihm als Strafe (??) angerechnet. Der Abenteurer hatte so recht eigentlich die Polizei mürbe gemacht, nicht sie ihn; unter einem Hinckeldey wollte dies etwas bedeuten.

Das war das nüchterne Ende einer geheimnißvollen Begebenheit, welche damals in Berlin ungeheures Aufsehen erregte und zahllose Pro und Contra hervorrief.

Wer war dieser Prinz von Armenien? Das ist ein Mysterium geblieben bis auf den heutigen Tag, das außer ihm selbst wohl Niemand zu lösen im Stande sein dürfte. Aller staatsanwaltliche, criminaldirectoriale und polizeiliche Scharfsinn scheiterte an diesem Räthsel. Seit der Unbekannte aus Preußen „gegangen wurde“, ist er verschollen und auf der Weltbühne großer Städte nicht wieder aufgetaucht. Seine versteckten Anspielungen, nach welchen Preußen für die Beschimpfung seiner Person Genugthuung, „die selbst einen Krieg nicht ausschloß,“ werde geben müssen, sind ohne Erfolg geblieben, weder die „Königin von Georgien“, noch „der Schah von Persien“ haben sich ihres Schützlings angenommen, der trotz seiner auffallenden Persönlichkeit seit vierzehn Jahren von der Landkarte weggefegt erscheint, und nur im Neuen Pitaval oder in Bülow’s Buch über geheimnißvolle und räthselhafte Menschen ein Denkmal finden wird. Keiner aber wird je die Frage beantworten können: „Wer war der Prinz von Armenien?“




Der Baumwürger.
Von Gustav Wallis.

Mit Unrecht beschuldigt man Menschen und Thiere allein eines ihnen angeblich angeborenen Vernichtungstriebes, der den Frieden des stillen Stein- und Pflanzenreichs durch ihren unaufhörlichen Kampf um die Existenz störe; auch dieser Naturfriede ist nur ein schöner Traum, seitdem wir in der sanften Pflanzenwelt Gewächse kennen gelernt, welche an Mordlust den wildesten Geschlechtern der Raubthiere nicht nachstehen und von den Naturkundigen selbst mit dem Namen „Würger“ bezeichnet werden: das ist der Schling- oder Baumwürger in Brasilien. Nicht ohne Rührung, aber auch nicht ohne ein besonderes Gefühl, durchmischt mit stillempfundenem Mitleid und innerer Entrüstung, können wir neben seinen Opfern ihn ansehen, der in der Reihe der tropischen Pflanzenformen eine so grausame Rolle spielt.

Ein Baum lebt auf einem andern Baume; er bemächtigt sich räuberisch seiner Stütze, überwältigt und erdrückt sie, um sie zu Staub zu vernichten, während das Opfer bei selbst größerer Ueberlegenheit sich nicht vor dem tyrannischen Uebermuthe zu schützen vermag. Wiewohl dieser würgende Baum dem äußeren Ansehen nach ein Schmarotzer, so ist er es im wissenschaftlichen Sinne doch nicht, da man, streng genommen, unter solchen nur diejenigen Gewächse begreift, die aus den Säften der Individuen, auf denen sie vorkommen, ihre Nahrung ziehen, oder doch mit dem fremden Leben eine engere Verschmelzung eingehen, ähnlich wie beim Pfropfen durch Wildling und Edelreis bewirkt wird. Die europäische Flora rechnet als bekanntere Beispiele die Mistel und die Flachsseide hierher. Die Gestalt, unter welcher dies Naturwunder – ein lebendes Denkmal irdischer Größe und Vergänglichkeit – auftritt, ist nicht immer gleich. In den gewöhnlichsten Fällen steigen zwei Bäume wie ein enggeschlossenes Zwillingspaar in Brüderlichkeit neben einander auf. Einer derselben jedoch schlingt mörderisch seine Arme um den andern, ihn dem Tode zu überliefern und um hernach siegend über den Resten des Gefallenen seine Krone ausbreiten zu können. Oder es erscheint der Tyrann, in Form eines Maschenwerkes schmiegsam wie fließendes Blei um den Stamm des Andern ausgegossen. Diese Art Erdrosselung ist die wirksamste, am schnellsten den Untergang des Genossen herbeiführende. In beiden Fällen aber sind die Bildungen von gleich überraschender Wirkung, so wunderbarer wie rätselhafter Natur, daß selbst dem geübten Blicke es schwer fällt, zwischen dem richtigen Mein und Dein zu unterscheiden. Ja, es ereignet sich, daß der Feind, wie im Kampf ermüdet, von seinem Vorhaben abzustehen scheint, indem er in einem Bogen nach der Erde sich verästelt und dort einwurzelt, nur um mit größerer Kraft gerüstet seine Kriegsoperationen desto sicherer fortsetzen zu können.

Was nun die Entstehung und das Werden dieser Erscheinung betrifft, so verdankt sie ihr Dasein fast immer nur äußeren Zufällen, zu denen jedoch die Mittel und Wege von der fürsorglichen Natur schon vorgezeichnet liegen. Vögel, Fledermäuse und andere Thiere verzehren die genießbaren Früchte des Baumräubers, und so gelangt der Same leicht an den Ort seiner zukünftigen Bestimmung. Er wird entweder am Stamme abgestreift oder mit den Excrementen der Thiere abgelegt. Hier nun wurzelt, harmlos und bescheiden anfangs, ein junger Sprößling; ein Würmchen am Stamme, treibt er genügsam die ersten Blätter, und noch beachtet Niemand das kümmerliche Wesen, das sich an seine Pflegemutter anzuklammern sucht. Doch wehe! Der kleine Unhold lohnt die erwiesenen Dienste schlecht! Gleichwie beim gezähmten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_539.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2022)