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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 34.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Verlassen und Verloren.

Historische Erzählung aus dem Spessart.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

„Und nun Du, Krippauer, und Deine Knechte und der mit dem Aermel da, Ihr seid die Proviantmeister,“ sagte Wilderich. „Geht und holt einen der Proviantwagen, welche die Franzosen haben stehen lassen müssen, weil wir ihnen die Pferde todtgeschossen haben; es stehen ihrer genug die Heerstraße entlang.“

„Es stehen ihrer genug da, das weiß ich,“ entgegnete der Krippauer, „aber wie bring’ ich einen herauf?“

„Hilf Dir selbst! Sieh, daß Du ein Paar herrenlose Pferde auffängst; oder nimm Dir Leute genug mit, daß Ihr den Wagen selber heraufziehen könnt –“

„Gut, ich geh’ ja schon!“ antwortete der Krippauer, „aber ich muß mehr Hülfe haben als den zerrissenen Schulmeister hier und meine zwei Knechte –“

„Freiwillige vor!“ rief es.

Ein Dutzend waren bereit, dem Krippauer zu helfen, und der Haufen eilte davon, weiter die Schlucht hinab.

Als sie abzogen, ließ sich unten, von der Heerstraße her ein plötzliches lebhaftes Kleingewehrfeuer hören – die Spitze der österreichischen Colonne mußte eben unten eingetroffen sein und in den marschirenden Haufen der Feinde ihre Salven schleudern.

„Jetzt wird’s da unten ein gutes Durcheinander geben!“ rief der Forstläufer Sepp, „wenn der Krippauer sich nur aus dem Gemeng herausholt, was wir brauchen! – wär’ schlimm, wenn bei der Affaire nicht so viel Arbeitslohn herauskäm’.“

Unter diesen Ausrufungen hatte die Schaar – es mochten etwa noch hundertundfünfzig Köpfe sein – sich in die Mühle gedrängt und in alle Räume des kleinen Gebäudes ergossen … das heißt, so viel von ihnen hineingingen, denn ein großer Theil mußte draußen bleiben, weil der Platz drinnen nicht reichte. Gevatter Wölfle schleppte eilig mit den Seinen Stroh und Heubündel auf den freien Raum vor seiner Mühle, damit die Männer sich drauf lagern konnten; diese waren thätig, seinen Holzschuppen zu plündern und Reisig und Scheitholz herbeizuschleppen, um vor der Mühle ein großes Wachtfeuer anzuzünden; nach kurzer Zeit flammte es in heller Gluth in die Höhe und die Bauern lagerten sich in malerischen Gruppen umher.

In malerischen Gruppen – es konnte nichts in der That frappantere Bilder bieten, als dies kleine Bivouac bewaffneter Bauern, die von einer heißen und blutigen Tagesarbeit ausruhten, in wunderlich bunten Kleidungsstücken, mit staub- und rauchgeschwärzten Gesichtern, mit den verschiedensten und seltsamsten Waffen neben sich, müde, hungrig, durstig und doch in der tollsten Laune, in der ganzen Erregung eines triumphreichen Tages, wie sie einen ähnlichen in ihrem Leben nicht gesehen, inmitten eines großen geschichtlichen Ereignisses, wie sie nie inmitten eines ähnlichen selbsttheilnehmend und werkthätig helfend gestanden.

Es war nach und nach dunkel geworden. Die Flammen fingen an greller und glühender die altergeschwärzte Mühle, die Bergwände und die Gruppen der Männer umher zu beleuchten und jenes eigenthümlich intensive Grün der Baumwipfel hervortreten zu lassen, das der Baum an den Stellen, wo er hell beleuchtet ist, dem rothgoldenen Glanz nächtlichen Lichtscheins entgegenhält.

Von drunten her tönten noch immer Flintenschüsse, aber sie wurden seltener und seltener, die Nacht schien auch dort unten Ruhe zu gebieten; die Oesterreicher sandten einen Haufen Fouragiere herauf, von denen die Bauern erfuhren, daß sie weiter unten in der Schlucht bivouakiren wollten … die Fouragiere sollten Heu und Stroh zum Lager herbeischaffen einige von ihnen nach den ihnen nachkommenden Proviant- und Gepäckwagen ausschauen – sie mußten weiter ziehen, die Mühle und das Forsthaus hatten keine Hülfe für sie; nur Gevatter Wölfle’s Holzschuppen spendete ihnen eine Beisteuer an getrocknetem Holz für ihre Beiwachtfeuer.

„Wo der Krippauer bleibt?“ rief der mit dem umgewendeten Rock, nachdem ein Theil der Oesterreicher aufwärts weiter und ein anderer mit Scheiten und Reisigbündeln beladen abwärts gezogen war; „ich fürchte, geräth der mit seinem erbeuteten Proviantwagen unter diese Cameraden drunten, so werden sie uns nicht viel drin lassen!“

„Weshalb nicht gar,“ antwortete der Krepsacher, „’s sind ehrliche Ober-Oesterreicher, gute Bursche, deutsches Blut, keine Welsche und Kroaten – solche, weißt Du, von denen dem Sepp seine Geschichte geht …“

„Dem Sepp seine Geschichte? Und wie lautet Deine Geschichte, Sepp? Her damit!“ sagte der Umgewendete.

„Kannst sie haben, Jochem, sie ist kurz genug,“ versetzte Sepp. „Es waren ihrer drei von diesen Völkern im Quartier bei einem Bauer; der hat ein silbernes Crucifixbild über dem Bett hangen. Sagt am anderen Morgen der Eine heimlich zum Andern: ‚Host Du g’sehen – Herrgott, silbernes, in der Kammer?‘

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_529.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2020)