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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

wo das Gold des einstigen glänzenden Namens erlischt und die Welt die große Sängerin vergißt, als ob sie nie gelebt.

Es war am Ostersonnabend, als ich die Treppe eines alterthümlichen Hauses in der Leipziger Straße in Berlin hinaufstieg, um nach der Wohnung der kaiserlich österreichischen Kammersängerin, Frau Therese Grünbaum, geborene Müller, zu fragen. Man wies mich höher hinauf bis in den dritten Stock. Ein freundliches Mädchen übernahm es, auf meine Anfrage, mich bei der Tochter des Componisten der „Sonntagskinder“ zu melden. In ein kleines, einfach ausgestattetes Zimmer geführt, wurde mir der Bescheid, die einst so berühmte Sängerin werde sogleich erscheinen. Die Märzsonne schien hell herein, am Fenster blühten Primeln, ein Veilchenstrauß stand auf dem Tisch. An den Wänden hingen verschiedene Portraits, Stiche und Lithographien, es war eine schlichte Walhalla, die Bilder gefeierter Componisten, Sängerinnen und Sänger längst vergangener Tage. Um den einen oder anderen Rahmen zog sich ein Immortellenkranz. Auf dem Fenstertritt stand ein geöffneter Nähtisch mit einer weiblichen Arbeit, Bücher lagen daneben, alles war so einfach bürgerlich wie bei einer guten, deutschen Hausfrau. Ueber dem Sopha ein größeres Aquarell, das lieblichste Frauenköpfchen, die anmuthigste Gestalt im weißen Kleide, die kürzlich verstorbene Enkelin Wenzel Müller’s, der einstige Liebling der Berliner, die Nachtigall Caroline Grünbaum. Keine Spur in dem ganzen Zimmer von den vergangenen glanzvollen Tagen, keine prätensiöse Erinnerung an das reiche Leben einer gefeierten Sängerin. Ringsumher nur Verstorbene, wie eine heitere kleine Grabcapelle erschien mir der ganze Raum, wie eine friedliche Insel in dem rauschenden Strome des Berliner Lebens, der da unten vorüber wogte.

Plötzlich öffnete sich eine Seitenthür und rasch und lebhaft trat eine kleine Frau grüßend auf mich zu, eine zierliche Hand streckte sich mir entgegen, und ich schaute in ein liebes, altes Frauenantlitz, umrahmt von einem weißen schlichten Häubchen, ein Gesicht das an die Denner’schen oder Dow’schen Portraitköpfe erinnerte, fein ausgeführt, mit klaren und zugleich warmen Augen. Es war die Tochter Wenzel Müller’s, die von Wien auf den Händen getragene, einst so entzückende Sängerin Therese.

Und wir fingen an miteinander zu plaudern, herzlich und lebendig, als ob wir uns Jahre lang gekannt. Sie sprach mit großer Frische und mit der sanftesten, angenehmsten Stimme. Wie aufmerksam hörte ich zu, und während sie so redete, rauschte es zuweilen empor wie ein Vorhang, und fremde glänzende Gestalten zogen vorüber. Die bekanntesten und berühmtesten Namen tauchten auf. Sie hatte alle ihre Träger gekannt, gesehen, gehört, die Tochter des Volkscomponisten, die unter Karl Maria von Weber’s Leitung gesungen, und deren Hand die kleine Henriette Sontag geküßt! Einen wahren Schatz von Reliquien und Erinnerungen bewahrt Frau Therese, und wie Sonnenschein zieht es über ihr Gesicht, wenn sie von jenen Zeiten redet, die längst dahin sind. Alle ihre Gedanken bewegen sich um die Gestalt ihres Vaters, er ist der hellste Stern an dem Himmel ihres Daseins, sein Andenken, sein Ruhm ihr höchstes Heiligthum. Mit welcher tiefen, leuchtenden Zärtlichkeit redete sie von ihm, und immer wieder von ihm!

Seit Jahren schon hörte sie keine Musik mehr – „ich kann’s nicht mehr vertragen,“ klagte sie, – aber sie liest, was man über Musik und Musikanten schreibt, mit lebhaftem Interesse und schüttelt oft lächelnd oder unwillig den Kopf über die wunderlichen Leute, die da die Dinge so ganz anders schildern, als sie wirklich waren. Ja, wer sie nur immer fragen könnte! – Ihr Gedächtniß ist noch so treu, sie erinnert sich der Begebenheiten wie der Menschen mit staunenswerther Klarheit. – Aber tief ist zugleich ihre Pietät für ihre Todten. „Es giebt so viele Dinge in dem Leben der berühmten Männer und Frauen, von denen die Welt nie und nimmer etwas zu erfahren braucht,“ rief sie lebhaft. Viele Schmerzen haben ihr Herz getroffen. Sie verlor ihre geliebte, so glücklich verheirathete Tochter und einen hochbegabten, musikalischen Enkel, und pflegt jetzt ihren kranken Gatten. Weit hinter ihr liegt die Welt des Scheins, wie ein Traum steht in ihrer Seele jene singende, klingende Glanzzeit ihres Lebens, und mit einem heitern Tone sagte sie: „Meine bescheidene Rolle auf Erden ist nun bald ausgespielt.“

Von ihren eigenen Triumphen redete sie nur als Antwort auf directe Fragen, aber während sie von dem Wirken und Schaffen des geliebten Vaters sprach, sah man doch den kleinen, reizenden Schmetterling Therese neckisch umhergaukeln, wie sie als fünfzehnjähriges Mädchen, mit der süßesten Stimme der Welt, den Oberon in Wranitzki’s Oper und die Lilla in Martin’s „cosa rara,“ sang. Schon im Alter von fünf Jahren zwitscherte sie wie ein Vogel in den Opern ihres Vaters und Kauer’s die für sie geschriebenen Kinderrollen. Ganz Wien betete sie an, und doch erwähnte sie ihre Leistungen nur im Zusammenhang mit denen des Vaters. Selten wurde eine Sängerin so früh schon und während ihrer ganzen Wirksamkeit so gefeiert und bewundert, wie Therese Grünbaum.

Als sie mich zum Abschiede zu dem Bilde Wenzel Müller’s führte, da sagte sie schalkhaft lächelnd: „Sehen Sie sich einmal das gute Gesicht dort an, den lieben Kopf mit dem weißen Haar, – nicht wahr, er sieht ganz anders aus, als man ihn in den Büchern beschrieben hat? Eine häßliche Perrücke haben sie ihm aufgesetzt, und als einen Mann, der Nichts auf sich hält, malten sie ihn! Und das Alles ist doch nicht da auf meinem Bilde!“

Nein, es war Nichts von alledem da, sie hatte Recht, die zärtliche Tochter. Kein verschobenes Jabot, keine geniale Unordnung der Toilette. Liebenswürdig und heiter, und doch wilder würdevoll, erschien er mir in seinem Ausdruck, und in dem ehrwürdigen Schmuck des weißen Haares, und ich war betrübt und beschämt und bat dem freundlichen Greisengesicht im Stillen ab, daß auch ich ihm, was die Tochter mir längst verziehen, in Gedanken eine häßliche Perrücke aufgesetzt.

E. P.




Marlitt’s Gold-Else ist so eben in fünfter Auflage erschienen. Wie wir hören, beabsichtigt die Verlagshandlung noch eine schön illustrirte Pracht-Ausgabe mit Zeichnungen eines bekannten Meisters erscheinen zu lassen, doch dürfte dieses Buch, dessen Herstellung viel Zeit erfordert, kaum vor dem Herbst nächsten Jahres auf den literarischen Markt kommen.




Bock’s Briefkasten.

An Herrn Landwirth Gr. in B. Ueber die homöopathische Behandlung kranker landwirthschaftlicher Nutzthiere haben Sie, Herr Gr., an mich einen so liebenswürdigen Brief geschrieben, daß Sie mir wohl erlauben, einige Stellen daraus zu veröffentlichen. Herr Gr. schreibt : „Vor einigen vierzig Jahren, als ich glaubte die Landwirthschaft erlernt zu haben, wozu natürlich das Quacksalbern der Schäfer, Kuhhirten und Schinder mit gehörte, hatte ich eine solche Passion für diese letztere Branche gefaßt, daß ich beschloß von der Landwirthschaft abzugehen und Thierarzt zu werden. Ich nahm deshalb bei einem Thierarzt Unterricht. Es dauerte jedoch nicht lange, da sagte mir dieser brave, aufrichtige Mann: ,Lieber Gr., kehren Sie wieder zur Landwirthschaft zurück, Sie sind nicht Charlatan genug, um bei der Thierheilkunst Ihr Glück zu machen.‘ Das war ein Blitzstrahl in die finstere Nacht des Aberglaubens, der so zündete, daß er bei mir den Aberglauben der Quacksalberei total verbrannte. Ich ging zur Landwirthschaft zurück, beobachtete und forschte, wobei es mir sehr als klar wurde, daß alle Curmethoden große Aehnlichkeit hatten mit den unendlich vielen Mitteln, welche gegen die Tollwuth der Hunde als wirklich helfend empfohlen sind. Fort also mit dem ganzen Plunder Aber da stieß ich auf großen Widerspruch und auf Anfechtungen. Ich mochte wollen oder nicht, ich mußte mich zu irgend einer Curmethode bekennen; und das that ich denn auch und wendete mich zur Homöopathie. Und warum mußt’ ich mich zu irgend einer Heilmethode bekennen? Um mich gegen Schaden zu schützen. Denn ich machte wiederholt die Bemerkung, daß, wenn ich den kranken Thieren nichts eingab, meine eigenen Leute den Patienten heimlich Gifte und schädliche Mittel eingaben, und daß diese, wenn dann ein Thier starb, auch noch behaupteten, das käme nur daher, weil es keine Medicin bekommen hätte. Dem trat ich aber bald dadurch entgegen, daß ich vorgab, ich gebrauchte recht starke homöopathische Mittel, wovon dem kranken Thiere höchstens einmal täglich oder nur aller zwei oder drei Tage einige Tropfen gegeben werden dürften. Ich that dabei recht heimlich und wichtig, gab aber nur einige Tropfen reinen Wassers. Das half denn bei den meisten vorkommenden Krankheitsfällen, die Leute bekamen Vertrauen zu mir und ich schließlich einen solchen Ruf, daß aus Nah und Ferne Bauersleute zu mir kamen und für ihr krankes Vieh ein homöopathisches Mittel forderten, was ich ihnen denn in Gestalt reinen Wassers mit geeigneten Vorschriften und Verhaltungsregeln verabfolgte. Soweit in der Provinz Sachsen. Als ich später nach Westphalen übersiedelte, ging derselbe Schwindel hier auch gleich wieder an. Dem mußte ich aber aus politischen Gründen ein ,Halt‘ entgegensetzen, und dazu benutzte ich folgenden Umstand. Meinem Herrn Pastor hatte ich öfter, auf sein Verlangen und seiner Haushälterin Wunsch, bei vorkommenden Krankheitsfällen seines Rindviehes, mit gutem Erfolge mein so sehr gepriesenes homöopathisches reines Wasser gegeben, und als bei Gelegenheit dieser gute Herr die Homöopathie für eine hochzuschätzende Gottesgabe, pries und es mir zum Verdienst anrechnete, daß ich so leicht die geeigneten Mittel bei jeder Krankheit treffe, so erwiderte ich ihm: ,Er sei als katholischer Geistlicher doch ein schlechter Christ, da er mir mehr zutraue, als dem lieben Gott und erklärte ihm dann, daß ich seinen kranken Thieren nichts als einige Tropfen reinen Wassers gegeben hätte und überhaupt nichts Anderes gebrauchte, da mein Vertrauen auf Den größer wäre, der die Thiere krank gemacht, als auf die von den Menschen erdachten Mittel. Dadurch erreichte ich denn meinen Zweck vollständig, denn von diesem Augenblick an war es natürlich aus mit meiner Kunst und ich wurde nicht mehr um ein homöopathisches Mittel angesprochen.“ Nun, was sagen Sie hierzu, Herr Landwirth G. L. in P.?




Kleiner Briefkasten.


M. R. D. zu M. Besten Dank, verehrter Landsmann, für die Benachrichtigung. Also auch in Holland blüht der literarische Diebstahl! Sie verbinden uns sehr, wenn Sie sich bemühen wollen, uns eine Liste derjenigen holländischen Zeitschriften zu verschaffen, welche die Novellen der Gartenlaube ohne Weiteres als holländische Originalarbeiten bringen und so an Verfasser und Verleger des deutschen Werks zugleich zu Spitzbuben werden. Wir werden diese journalistischen Strauchritter Mann für Mann an den Pranger marschiren lassen und dafür sorgen, daß auch ein holländischer Pranger darunter sei.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_528.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)