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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Unser Aller Herrin und Gebieterin.

Was wir sind ohne diese Herrin? – Die Wasseruhr. – Das Nonplusultra derselben. – Die Zeitmesser der Barbaren: Kieselhelm, Furchenzähler, Lagerwachen und Rosenkranzbeten. – Sanduhr und Stundenglas. – Die erste Schlaguhr. – Nürnberger Eier. – Federtaschen- und Repetiruhren. – Der englische Chronometer.

Es war während meiner letzten Sommerfrische; ich hatte einen Ausflug in das höhere Gebirg gemacht und war den ganzen Morgen und über den Mittag hinüber derb marschirt. Eben wanderte ich durch einen prachtvollen, aber etwas düstern und melancholischen Tannenwald, ringsum war Alles still, nur ab und zu erklang der Lockruf einer Amsel, dem ein anderer antwortete; da fiel mir plötzlich ein, daß ich ja um sieben Uhr Abends wieder unten im Thale auf der Eisenbahnstation sein müßte, wenn ich noch heut’ in mein zeitweiliges Asyl heimkehren wollte. Der Sonne nach mußte Fünf längst vorüber sein, und ich hatte noch einen weiten Weg bis zu meinem Ziele. Hastig griff ich nach der Uhr in meiner Westentasche, um genau zu sehen, wie ich meine Schritte fortab zu reguliren hatte, damit ich rechtzeitig an Ort und Stelle gelange – doch die treue Begleiterin auf meinem Lebenswege, die ordnende Freundin meiner freudevollen und leidvollen Stunden, sie versagte mir diesmal ihren Rath, sie war stehen geblieben. Meine Situation war nicht eben beneidenswert allein in einem großen Walde, auf dessen verschiedenen Pfaden ich mich möglicher Weise verirrt hatte, weit und breit kein Dorf, kein Haus, aus welchem der Schlag einer Glocke zu mir heraufdringen konnte, bei herannahender Dämmerung, mit dem Bewußtsein, daß die Meinigen mich heut’ bestimmt zurückerwarteten in unserer Villeggiatur daheim und sich zweifelsohne mit den phantastischesten Vorstellungen über mein Ausbleiben ängstigen, an Stürze in Schluchten und Gewässer, an Räuberattaken und andere Unglücksfälle mehr denken würden. So wuchs meine Unruhe mit jedem Schritte und die Minuten wurden mir zu Stunden, nervös, aufgeregt, athemlos wie ich war.

Und aller Noth und Sorge wäre ich überhoben gewesen, hätte sich meine Uhr nicht unglücklicher Weise in den Kopf gesetzt, einmal zu rasten – denn noch vollauf rechtzeitig langte ich auf der Station an – um mir so recht durch die Praxis ad oculos zu demonstriren, was für hülflose Geschöpfe wir in unserer Dampf- und Telegraphenära abgeben würden, stünde uns nicht die kleine tickende Freundin in der Tasche rathend und beschwingend zur Seite. Ja, was sollten wir anfangen ohne die Uhr? Kann doch dieser Zeitmesser geradezu als die Triebfeder der Civilisation bezeichnet werden, ist er doch mit allen unseren Bedürfnissen so innig verwachsen, so vollständig der Regulator unserer gesammten Arbeiten und Geschäfte, daß wir gewissermaßen seine Sclaven geworden sind und ohne ihn einen Zustand socialen Lebens uns ebenso wenig denken können, wie wir uns vorzustellen vermögen, daß es fliegende Vögel ohne Fittige giebt, oder daß sonst etwas Unmögliches möglich und wirklich ist. –

Das erste Volk, welches den Tag in gewisse Abschnitte getheilt zu haben scheint, waren die Assyrer; sie erfanden die Wasseruhr in einer für jedwede genauere Zeitbestimmung viel zu weit rückliegenden Periode. Nur so viel steht fest, daß der Apparat bereits vor dem Sturze des ersten assyrischen Reiches vorhanden war, denn von den frühesten persischen Autoren erfahren wir, daß man in Niniveh unter der Regierung Phul’s, oder, wie er mit allgemeiner bekanntem Namen auch heißt, Sardanapal’s des Zweiten, des ersten Herrschers des zweiten assyrischen Reiches, die Wasseruhr kannte und benützte. Dieselbe war nichts weiter als ein ehernes Gesäß von cylindrischer Gestalt, welches mehrere Kannen Wasser aufnehmen konnte. Durch eine seiner Wände war ein sehr kleines Loch gebohrt, durch das die Flüssigkeit langsam hindurch träufeln konnte, und zwar derart, daß sich das Gefäß des Tags etwa fünf bis sechs Mal entleerte. Unter Phul besaß der königliche Palast zu Niniveh und jeder der Hauptbezirke der Stadt eine Wasseruhr von der geschilderten Form und Beschaffenheit. Sie wurden sammtlich zu gleicher Zeit, oder mindestens möglichst zu gleicher Zeit, gefüllt auf das Signal eines Wächters, der hoch auf einem Thurme postirt war, den Aufgang der Sonne zu verkünden, und standen den ganzen Tag unter der Obhut gewisser Beamten, welche die Obliegenheit hatten, sie von Neuem zu füllen, sobald sie leer wurden. Zu jedem dieser Zeitmarkirungsämter gehörte ein völliges Corps von Ausrufern, die bei jeder Neufüllung der Uhren durch die Straßen eilten und dies Factum zu Nutz und Frommen der Bewohnerschaft vermeldeten.

Auf solche Weise gelangte man zu einer annähernden Schätzung der fliehenden Zeit. Die Intervalle zwischen Füllung und Entleerung der Gefäße hießen „Wachen“ und umfaßten wahrscheinlich eine Dauer von zwei bis zwei und einer halben Stunde. Allein kaum läßt sich annehmen, daß die verchiedenen Wasseruhren auch nur einigermaßen miteinander Schritt hielten; die Schwierigkeit, mit der Hand Gefäße von genau derselben Größe herzustellen, sie mit Oeffnungen von völlig gleichem Durchmesser zu durchbohren und mit Wasser von ganz der nämlichen Dichtigkeit zu versorgen, – das Alles muß ein sehr unregelmäßiges und ungleichförmiges Arbeiten der Maschinerie hervorgebracht haben.

Mehrere Jahrhunderte hindurch blieb die Wasseruhr oder Klepsydra in diesem primitiven Zustande, und erst als in Alexandria der Sonnenweiser erfunden war, erfuhr sie eine verbessernde Wandelung. Um dieselbe Zeit versah sie ein Aegypter von Memphis mit Zifferblatt und Zeiger. Der letztere drehte sich um einen Zapfen und communicirte mit einer Schnur, an welcher ein Korkschwimmer befestigt war. Wie das Wasser abträufelte, so fiel dieser Schwimmer mit ihm, und die dadurch größer und größer werdende Spannung der Schnur bewirkte, daß sich der Zeiger mit leichtem Ruck drehte, etwa in der Art des Secundenzeigers an einer unvollkommen fabricirten Taschenuhr. In der Theorie war diese Verbesserung entschieden höchst verdienstlich, in der Praxis jedoch noch ziemlich mangelhaft, denn die alte Schwierigkeit, mit einander Schritt haltende Uhren zu erlangen, verdoppelte und verdreifachte sich nur, sobald man das System durch Zeiger, Schnur und Schwimmer complicirte. Um ein gleichzeitiges Arbeiten zu sichern, hätte Schnur und Draht der verschiedenen Uhren auf das Haar genau von derselben Länge und Stärke sein, hätten alle Zeiger die nämliche Größe haben und sich um Zapfen bewegen müssen, die sämmtlich an Höhe und Umfang sich durchaus gleich gewesen wären. Und hätte man auch dies Alles wirklich erzielt, dann blieb immer noch die Frage: wie es machen, daß Schwimmer und Schnur, Schnur und Zeiger in vollkommener Uebereinstimmung arbeiteten, da ja das kleinste Hinderniß, wie Rost oder Staub, die Beweglichkeit des Weisers hemmte und damit die Arbeit von Schwimmer und Schnur abschwächte?

Immer war die Erfindung von nicht zu unterschätzender Bedeutung, schon insofern, als sie anderen Verbesserungen den Weg bahnte und zur Vervollkommnung der Klepsydra durch ein Getriebe von kleinen Zahnrädern führte, die bald in Gebrauch kamen. Diese Räder fußten auf den Principien unserer Wassermühlen und machten die Hinzufügung eines zweiten Zeigers möglich, mit dessen Hülfe die einzelnen „Wachen“ in kleinere Abschnitte getheilt werden konnten. Damit aber hatte man das Nonplusultra der Wasseruhr erreicht, es datirt aus dem Jahre zweihundertundfünfzig vor Christo, und Aegypten, welches der große Uhrenmarkt jener Zeit geworden war, versandte die neuen Instrumente zu fabelhaften Preisen nach den verschiedenen Ländern des Orients. Als im Jahre 62 vor Christo Pompejus als Sieger über Tigranes, Antiochus und Mithridates in Rom einzog, war eine der werthvollsten Trophäen, welche er unter den Schätzen des Königs von Pontus mitbrachte, eine Klepsydra, die nach der in Rom gebräuchlichen horologischen Methode Stunden und Minuten bezeichnete. Der Cylinder, welcher als Wasserbehälter diente, war von Gold, ebenso das Zifferblatt; die Zeiger waren mit kleinen Rubinen besetzt und jede der Zahlen, welche die vierundzwanzig Stunden angaben, aus einem Sapphir geschnitten. Die Uhr muß von ungeheurer Größe gewesen sein, denn der Cylinder brauchte täglich nur einmal gefüllt zu werden. Noch niemals hatten die Römer etwas Aehnliches gesehen, und als Pompejus das kostbare Beutestück im Hauptsaale des Capitols aufstellen ließ, mußte eine starke Wachmannschaft daneben postirt werden, um es vor der indiscreten Neugier des Publicums zu schützen.

Auf den Sturz des römischen Reiches folgte bekanntlich eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_520.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)