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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

schenkte ihm Henriette eine kleine Laterne, die er in’s Knopfloch hing und dann wie ein Glühwürmchen durch die Finsterniß wandelte. Er war durch den Grafen Dohna-Schlobitten, bei dessen Eltern er Hauslehrer gewesen, in das Herz’sche Haus eingeführt worden und hatte sehr bald ein Seelenbündniß mit Henrietten geschlossen. Er zeigte ihr alle seine Schriften, bevor er sie drucken ließ, und schrieb ihr fast täglich Briefe, auch wenn sie an demselben Orte wohnten. Als sie nach ihres Mannes Tode eine kleine Sommerwohnung im Thiergarten bezog, blieb er oft den ganzen Tag draußen bei ihr, um mit ihr zu lesen, zu arbeiten oder spazieren zu gehen.

Es konnte nicht fehlen, daß ein so seltenes, inniges Verhältniß Aussehen erregte und falsch gedeutet wurde. Zuerst warnte Friedrich Schlegel, der damals in einem ähnlichen mit Dorothea Veit stand, den Freund und suchte ihm zu beweisen, daß er eine Liebesleidenschaft für Henriette Herz hege; dann schrieb ihm seine Schwester Nanni und machte ihm dringende Vorstellungen über seine Neigung zu derselben.

Schleiermacher erzählte selbst, daß er stundenlang gelacht habe über Schlegel’s Behauptung, und seiner Schwester schrieb er eine lange Widerlegung ihrer Ansicht. „Die Herz ist von Charakter und Gemüth fest und still, so daß sie sich auf sich selbst verlassen kann und meiner nicht bedarf. Ich gehöre aber doch in anderer Rücksicht zu ihrer Existenz, ich kann ihre Einsichten, Ansichten und ihr Gemüth ergänzen, und so thut sie mir. Etwas Leidenschaftliches wird aber zwischen uns nie vorkommen, da sind wir wohl über die entscheidendsten Proben hinweg. Unser Verhältniß ist eine recht vertraute herzliche Freundschaft … Hätte ich sie heirathen können, so wäre es gewiß eine Capitalehe geworden, vielleicht nur gar zu einträchtig … Aber es ist zwischen uns von Mann und Frau gar nicht die Rede. Sie hat nie eine Wirkung auf mich gemacht, die mich in der Ruhe des Gemüths hätte stören können. Wer sich etwas auf den Ausdruck des Innern versteht, der erkennt gleich in ihr ein leidenschaftliches Wesen. Und wenn ich blos dem Einfluß des Aeußeren Raum geben wollte, so hat sie für mich gar nichts Reizendes, obgleich ihr Gesicht unstreitig sehr schön und ihre kolossale, königliche Figur so sehr das Gegentheil der meinigen ist, daß, wenn ich mir vorstelle, wir liebten und heiratheten uns, ich immer etwas Lächerliches und Abgeschmacktes dabei finden würde, worüber ich mich nicht leicht hinwegsetzen könnte.“ An einer anderen Stelle sagt Schleiermacher, er käme sich zuweilen vor wie ein kleiner Arbeitsbeutel am Arme der großen Herz. Diese selbst dachte ebenso unbefangen über ihr Verhältniß zu ihm und erzählt in ihren Erinnerungsblättern, daß man in Berlin eine Carricatur darauf gemacht habe; man bildete nämlich auf einem Spaziergang das ungleiche Paar ab, indem man der Herz statt Sonnenschirm Schleiermacher’s Figürchen in die Hand gab. Beide haben herzlich darüber gelacht, wie sie versichert, hinzusetzend. „Wir haben uns gegenseitig oft darüber ausgesprochen, daß und warum wir kein anderes Gefühl für einander hegen konnten, als diese schöne innige Freundschaft.“ Uebrigens war Schleiermacher auch beinahe vier Jahre jünger als Henriette, ein Unterschied des Alters, der für ein Liebesverhältniß auch nicht günstig ist.

Der wirksamste Grund seiner Unempfindlichst für Henriettens Schönheit lag aber wohl darin, daß er gerade damals eine heftige Leidenschaft für Eleonore Grunow empfand, eine Frau, die in unglücklicher Ehe mit einem Amtsbruder Schleiermacher’s lebte und ernstlich an eine Scheidung dachte, um letzteren zu heirathen. Die Herz, die sonst so tugendstrenge Frau, war die Vertraute der Liebenden und fand nach damaliger sentimental-unmoralischer Anschauungsweise kein Unrecht in ihren Plänen, so wie sie auch die Scheidung ihrer Freundin Dorothea Veit und ihre Verheirathung mit Friedrich Schlegel befördert hatte, ohne zu ahnen, daß sie ein Unrecht gut hieß, dessen Schuldlast die Tochter des Philosophen Mendelssohn reuevoll in den Schooß des Katholicismus getrieben hat.

Wie Schleiermacher als christlicher Prediger sich über seine Liebe zu einer verheirateten Frau selbst absolviren konnte, bleibt ein ungelöstes Räthsel in dem Leben dieses merkwürdigen, sonst so klaren Geistes. Er war ganz außer sich, als Eleonore Grunow endlich, um ihr Gewissen zu beschwichtigen, sich weigerte ihn zu heirathen. Er machte ihr aus ihrer Tugend ein Verbrechen und behauptete, er sowohl wie sie würden aus Kummer über das zerrissene Verhältnis sterben, was jedoch keineswegs eintraf. Eleonore, die jedenfalls eine bedeutende Frau war – sie hat einige der geistvollsten Briefe über die Lucinde geschrieben, durch deren Herausgabe Schleiermacher so viel Aufsehen und Tadel erregte –, verschwand im Dunkel eines streng zurückgezogenen Lebens, und der verzweifelte Geliebte fand – theilweis durch die Vermittelung seiner Freundin Henriette Herz – eine beglückende Heirath mit der jungen Wittwe des Predigers von Willich. Er starb am 12. Februar 1834, und ist durch die Feier seines hundertjährigen Geburtstages im vorigen Jahre wieder ein berühmter Gegenstand allgemeiner Besprechung geworden, wodurch wir überhoben sind, mehr Einzelheiten seines Lebens hier zu geben. Nur sei noch erwähnt, daß Henriette Herz durch ungetrübte Freundschaft bis zuletzt mit ihm verbunden war; sie ließ sich gleich nach dem Tode ihrer Mutter taufen, längst darauf vorbereitet durch den Umgang mit dem christlichen Lehrer und Freund. Eine Reise nach Rom, wo sie zwei Jahre verweilte und allgemein ausgezeichnet wurde, war ihre letzte große Lebensfreude. Nach Berlin zurückgekehrt, hatte sie manche Sorgen und Schmerzen zu ertragen. namentlich klagte sie über die Einschränkungen, die sie sich ihrer geringen Mittel wegen auferlegen mußte. In Italien hatte sie bei einer alten, kränklichen, häßlichen Signora Dionigi jeden Abend eine ausgewählte Gesellschaft junger und alter Männer und vornehmer Frauen gefunden, die alte Dame hatte ihnen nichts zu bieten als „Verstand und eine Oellampe“. Daß man in Deutschland sich damit nicht begnügen wollte, beklagte Henriette mit schmerzlicher Ironie; sie hatte in der That auch nicht viel mehr zu geben und die Gesellschaft, die so zahlreich bei dem guten Essen und Wein im Hause ihres Mannes erschienen war, verließ sie immer mehr. „Wäre ich jetzt so reich und so vornehm, wie ich früher schön war,“ seufzte sie oft, „so würde ich nicht so verlassen, sondern noch allgemein gefeiert sein.“

Hauptsächlich schmerzte es sie aber, daß sie auch ihren Hang zum Wohlthun einschränken mußte, als sie kein Geld mehr geben konnte, gab sie wenigstens Unterricht an unbemittelte junge Mädchen und verschaffte ihnen dann gute Stellen als Erzieherinnen. Sie war dadurch so populär geworden, daß auch einmal ein armes Dienstmädchen in ihr Gärtchen kam und fragte: „Wohnt hier die Hofräthin Herz, die die Mädchens vermietet?“

Mit dem zunehmenden Alter mußte sie jedoch diese erheiternde Wirksamkeit aufgeben, sie wurde kränklich, ihre Bekannten und Freunde starben vor ihr her und ihre Mittel nahmen rasch und rascher ab, da es in Berlin immer theurer wurde und ihre Krankheiten viel Kosten verursachten. Die Greisin sah sich oft in wirklicher Geldverlegenheit, suchte dieselbe jedoch möglichst geheim zu halten. Aber der einstige Jugendgenosse und treue Freund, Alexander v. Humboldt, erfuhr dennoch davon und wendete sich im Jahre 1845 an Friedrich Wilhelm dem Vierten von Preußen, von dem er wußte, daß er durch seinen Erzieher Delbrück zuweilen den Namen der edlen Frau gehört hatte. Der König ergriff den Gedanken, ihr in ihrer Noth beizustehen, mit lebhafter Freude und „erhöhte durch die zarte und schonende Form der Gabe noch die pecuniäre Bedeutung,“ wie J. Fürst, der treffliche Biograph von Henriette Herz, erzählt. In einem Handbillet an den Cabinetsrath Müller erklärte der König. „Da die Hofräthin Herz, eine Frau, deren Namen er schon in frühster Kindheit mit so viel Hochachtung habe aussprechen hören, selbst nichts erbeten habe und überhaupt die ganze Sache ohne ihr Wissen geschehen sei, so fände er es angemessen, keine Cabinetsordre hinsichtlich der Bewilligung an sie selbst zu richten, vielmehr die ganze Angelegenheit durch Herrn v. Humboldt gehen zu lasten.“ So erhielt denn die alte Frau ganz unerwartet ein bedeutendes Geldgeschenk gleich und fünfhundert Thaler jährliche Pension aus der Privatschatulle des Königs. Eine neue Lebensfreudigkeit kam über sie, als die lastende Sorge von ihr genommen war und die ehrenvolle Theilnahme des königlichen Gebers sich auch noch durch einen persönlichen Besuch in ihrer kleinen Sommerwohnung im Thiergarten betätigte. Sie starb an Altersschwäche am 22. October 1847 im vierundachtzigsten Lebensjahre.

v. Hohenhausen.



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