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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Geschichte, während alle diese Zeugen umherstehen und während Sie mich zu raschem Aufbruch mahnen …“

„Nein, nein, Madame, Sie haben Recht, ich begehre Ihren Bericht nicht, ich verlange nicht, mich in Ihre Angelegenheiten zu machen, gehen Sie mit Gott, nehmen Sie das junge Mädchen mit sich, ich habe keine Veranlassung, es gegen Sie in Schutz zu nehmen, es hat entweder sehr verrätherisch oder sehr unbesonnen und leichtsinnig gehandelt, als es mich hierher führte, gehen Sie! Lieutenant Muga, führen Sie die Dame fort und befehlen Sie dann den Bauern draußen, die Schwadron Chasseurs fortziehen zu lassen, ohne sie anzugreifen! Bringen Sie mir sodann den Anführer der Bauern her.“

Der zweite Adjutant des Erzherzogs verbeugte sich vor der Dame. Frau Marcelline wandte sich zu Benedicte mit einem barschen, scharfen „Komm!“ und Benedicte erhob sich gefaßt. „In Gottes Namen,“ sagte sie leise, „Sie werden mich zu Niemand anders bringen können als zu meinem Vater, und er mag über mich richten!“

Die drei Frauen entfernten sich, von dem Lieutenant geleitet, aus dem Raum.

Wenige Minuten nachher waren sie draußen auf den Rücken der Pferde gehoben; der Trupp der Chasseurs setzte sich in Bewegung und verschwand unter dem Thorbogen von Haus Goschenwald.

„Sie waren sehr großmüthig, Hoheit!“ sagte jetzt der General Sztarrai.

„Ich denke, wir haben der Gefangenen genug, lieber Freund, und wo wären wir mit den Weibern geblieben? Es ist besser so; lassen Sie jetzt die Bataillone von Kinsky nach meinen ursprünglichen Befehlen vorgehen und ihren Marsch beschleunigen, der Abend kommt heran. Die Compagnie Kaiserjäger mag sich hier in diesem Hause und auf dem Hofe einrichten, ich will sie zu meiner Bedeckung bei mir behalten; auch die Stabswache soll hierherbeordert werden, ich werde die Nacht über hier mein Hauptquartier aufschlagen, veranlassen Sie das Nöthige, Sztarrai!“

Der General wandte sich den Adjutanten und Officieren, die vorhin in den Raum gedrungen, zu, um ihnen die Befehle des Erzherzogs zu übermitteln; mehrere von ihnen eilten davon und das sonst so stille Goschenwald wurde im Lauf des Abends und der Nacht von all’ dem Getreibe, dem Hin- und Hereilen von Officieren, Ordonnanzen und Fourieren, dem Aufstellen von Posten, dem Ankommen und Abreiten von Adjutanten erfüllt, das ein Hauptquartier charakterisirt. Der alleingebietende gestrenge Herr Schösser mußte erleben, wie er zu einem Nichts schwand, um das sich Niemand auch nur so viel kümmerte, als wenn er, statt eines fossilen Reichstruppen-Lieutenants, ein an der Decke aufgehängter, ausgestopfter Seehund oder Haifisch gewesen. Frau Afra sah ihre Kammern erschlossen, ihre Schränke aufgerissen, ihre Vorräthe weggenommen, ihre Betten und Leintücher umhergeschleppt, ihr Küchengeräth durcheinander geworfen, als ob der jüngste Tag angebrochen und der liebe Gott, der sonst einem rechtschaffenen und ordentlichen Weibe beisteht, schon zum letzten Gericht davongegangen!

Der Erzherzog hatte sich in der Ecke hinter dem großen Tische niedergelassen und ließ ein Portefeuille, das einer der Officiere gebracht, öffnen – er begann eben, die Blätter und Papiere, die es enthielt, meist nur mit Bleistift beschriebene Zettel, vor sich auszubreiten, um darnach Befehle zu dictiren, als plötzlich ein verwildert aussehender Mann in grüner Jägertracht, das Gesicht geschwärzt vom Pulverrauch, die wirren blonden Haare zurückgestrichen, die Kleider bestäubt und alle Zeichen der Erregung in seinem Wesen, vor ihm auftauchte – der Adjutant Bubna hatte ihn hergebracht und folgte ihm, um ihn mit den Worten vorzustellen:

„Der Revierförster Wilderich Buchrodt, der Anführer der Bauern, den Königliche Hoheit zu sprechen verlangten.“

„Ah – der brave Mann, der uns so sehr im richtigen Augenblick zu Hülfe kam!“ sagte der Erzherzog, ihn fixirend. „Ohne Sie und Ihre Leute wär’ es uns schlimmer ergangen, mein lieber Herr Revierförster – man war just im Begriff, uns als Gefangene abzuführen, als Ihre Kugeln in das Hofthor schlugen … ich wollte Ihnen das selbst sagen, wackrer Mann … ich bin Ihnen dankbar, und kann ich etwas für Sie thun, so sagen Sie es mir!“

„Königliche Hoheit, ich verdiene diesen Dank, der mich sonst so glücklich machen würde, nicht ganz.“

„Sie konnten freilich nicht ahnen, daß ich den Versuch machen würde, von der Straße, die über Gemünden und Lohr führt, aus auf die Rückzugslinie des Feindes zu operiren … und daß ich dabei in eine solche Lage gerathen sei …“

„In der That nicht,“ entgegnete Wilderich. „Ich wollte Haus Goschenwald schon früher besetzen, aber meine Leute ließen sich aus dem Kampfe da unten nicht fortbringen. Erst als ich erfuhr, daß sich Franzosen in dieses Thal geworfen, folgten sie mir, um Haus Goschenwald zu sichern.“

„Und der Zufall wollte, daß Sie Haus Goschenwald gerade in dem Augenblick zu Hülfe kamen, als sich der Reichsfeldmarschall darin in den Händen der Franzosen befand …“

„Der Zufall allerdings,“ fiel Wilderich ein; „denn meine Absicht war, Jemand anders aus den Händen der Franzosen zu erretten.“

„Jemand anders? Und wer wäre das?“

„Ein junges Mädchen, von dem ich zu meiner Verzweiflung eben höre, daß Eure Hoheit sie den Händen der Feinde überlassen und von einer wider sie aufgebrachten zornigen Frau haben fortführen lassen – Ihr Adjutant erzählte mir Alles – und, Königliche Hoheit, das setzte mich in Verzweiflung, denn ich kenne dieses Mädchen; ich bin in tiefster Seele überzeugt, daß sie des Schutzes, den sie hier mit der besten Empfehlung einer hochstehenden Frau zu suchen kam, so würdig wie bedürftig ist …“

„Sie kennen das Mädchen?“

„Ich kenne sie – ich habe nur wenige Male mit ihr zu sprechen das Glück gehabt, aber hinreichend, um die Hand dafür in’s Feuer strecken zu wollen, daß …“

„Ihr Herz,“ unterbrach ihn lächelnd der Erzherzog, „steht wenigstens schon im Feuer, in vollen Flammen, wie ich sehe – nun, ich will Ihnen glauben, obwohl …“

„Königliche Hoheit hegen den Verdacht wider sie, daß Sie geflissentlich von ihr getäuscht worden – aber das ist ja gar nicht möglich; hätte die Unglückliche geahnt, daß, während sie von diesem Hause entfernt war, Franzosen hier eingerückt seien und inmitten dieser Franzosen die Frau, welche ihre Todfeindin zu sein scheint, bei Gott, sie würde doch nicht so thöricht gewesen sein, hierher zurückzukehren, hierher Eure Königliche Hoheit zu geleiten!“

„Also Sie glauben, das junge Mädchen habe die Anwesenheit der Chasseurs nicht gewußt?“

„O gewiß, gewiß ist es so – ich selbst war vor wenig Stunden hier und gab der Demoiselle Benedicte die Versicherung, daß ich über Goschenwald wachen, für ihre Sicherheit einstehen wolle … und doch, o mein Gott, weshalb kam ich zu spät! Aber das Gefecht unten an der Verrammelung der Heerstraße war so scharf und hitzig, ich konnte meine Leute nicht aus dem Gefecht herausziehen, sie waren gar nicht fortzubringen – erst als wir uns vor den stärker nachdringenden Franzosen – das Gros der Division Lefebvre kam eben heran – zurückziehen mußten und wir erfuhren, daß sich eine Abtheilung in die Mühlenschlucht gezogen, erst da brachte ich meine Leute hierher, früh genug, um noch zu verhindern, daß Eure Königliche Hoheit nicht entführt wurde, aber nicht früh genug …“

„Was soll ich nun aber bei der Sache thun, mein lieber Mann?“ fiel ihm der Erzherzog in’s Wort – „was geschehen ist, ist geschehen – ich bedaure es um Ihretwegen, aber ich kann es nicht wieder gut machen – die Chasseurs sind fort, Ihre Demoiselle Benedicte mit ihnen – sie sind beritten und Ihre Bauern nicht …“

„Freilich, das ist eben meine Verzweiflung – sie haben einen Ausweg aus diesem Thal gesucht, der sie bald in’s Freie führt – verfolge ich sie mit meinen Bauern, so kann ich höchstens ihnen noch einige Leute tödten – sie anhalten nicht! Aber wenn Eure Königliche Hoheit Cavaliere …“

„Mein lieber Mann,“ unterbrach ihn der Erzherzog lächelnd, „solch’ ein Verliebter wäre im Stande, zur Rettung seiner Demoiselle die gesammte kaiserliche Armada in Marsch zu setzen – lassen Sie mir meine Cavalerie, wo ich sie gebrauche! …“

„Aber unterdeß …“

„Ich habe auch,“ fuhr der Erzherzog, ohne auf Wilderich’s Unterbrechung zu achten, fort, „ich habe auch diesen Chasseurs

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