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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

rothen Rock und ein Nonnenkloster die schwarze Hose mit den Gamaschen geliefert hat.“

„Das geht noch über den ci-devant König von Yvetot!“ autwortete lachend der Wachtmeister – „aber wenn dem so ist, weshalb haben denn nicht diese armen Deutschen gegen solche Wirthschaft die Revolution gemacht? Was haben wir, die wir doch besser dran waren, die Mühe zu übernehmen brauchen?“

„Ja siehst Du, Lepelletier – das ja just so zugegangen wie bei einem Einsturz mit einem Haufen armer Teufel von Arbeitern die unter Schutt, Trümmern und Gerümpel verschüttet liegen. Da machen sich die am ersten frei, die noch am wenigsten tief darunter liegen und noch einen Arm oder ein Bein regen können. Die anderen vermögen es nicht. Das Gerümpel und der Schutt, begreifst Du, ist die alte Ordnung der Dinge du bon vieux temps. Wenn wir zuerst uns daraus gerettet haben … aber was zum Teufel ist das, wer führt uns diese Oesterreicher hierher?“

Bei diesem Ausruf, bei dem Capitain Lesaillier betroffen in die Höhe fuhr, wandte der Wachtmeister seinen Kopf und ließ aus Ueberraschung das Glas feurigen Kalmuths, den Frau Afra in einer Bocksbeutelflasche aufgetischt, und welches er eben zum Munde führen wollte, beinahe fallen.

Eben waren Benedicte und die zwei österreichischen Stabsofficiere in den Raum eingetreten.

Ein Blick auf die Franzosen, ein zweiter Blick durch die Fenster der Halle, vor denen man den ganzen Schwarm der Chasseurs sich auf dem Hofe umtreiben sah, zeigte den Oesterreichern, daß sie in den Händen des Feindes waren – mitten unter eine französische Abtheilung geführt. …

„Gott steh uns bei!“ rief zurückfahrend der ältere der Beiden aus – wohin hat dies Geschöpf uns gebracht?!“

Seine Hand fuhr an den Säbelkorb und entblößte halb die Klinge.

„Ruhig, Sztarrai, bleiben wir ruhig“ – mahnte der Jüngere flüsternd.

„Lassen Sie mich die Dirne erstechen – eine Deutsche, die …“

„Die Lügnerin wird ihren Lohn finden,“ fuhr, die Hand auf seinen Arm legend, der junge Mann fort – „denken wir daran, wie wir uns selbst aus dieser Schlinge ziehen!“

Während diese Worte in Hast von den beiden Officieren gewechselt wurden, hatte Benedicte ein paar rasche Schritte in den Raum hinein gemacht, hatte erblassend die Franzosen angestarrt, dann ihre Augen auf die Frauen am oberen Tisch geworfen und, plötzlich zusammenfahrend, einen leisen Schrei, wie des heftigsten Erschreckens ausgestoßen.

Sie stand da wie versteinert, beide Hände wie zur Abwehr eines ganz Entsetzlichen, das plötzlich vor ihr aufgetaucht, erhebend.

Frau Marcelline, die beim Anblick der österreichischen Uniformen ebenfalls aufgefahren war, ließ jetzt ihre Augen auf das Mädchen fallen und, zusammenzuckend, erschrocken, wie Jemand, der auf eine Schlange getreten, rief sie aus:

„Benedicte … Benedicte – Du bist’s?!“

Benedicte regte sich nicht – sie starrte noch immer wie von Sinnen die Erscheinung vor ihr an – diese dunklen, jetzt so stechend flammenden Augen, dieser Kopf mit den langen Wimpern und den langen hängenden Locken vor ihr mußten für sie die Wirkung des Medusenkopfes haben.

Frau Marcelline trat, flog, das ganze Gesicht plötzlich von Flammenroth übergossen, auf sie zu.

„Unglückliche! Elende!“ rief sie aus – „Du – Du – Du hier! Welch Verhängniß führt Dich, Dich mir in den Weg, in meine Hände, Abscheuliche!“

In Benedicte schien bei diesen Worten wie mit einem Male das Bewußtsein des Lebens zurückgekehrt – sie warf sich heftig zurück, sie wandte sich, sie wollte davon fliehen. …

Aber eine starke Hand legte sich im selben Augenblick auf ihre Schulter, umspannte ihren Oberarm und hielt sie fest wie eine eiserne Klammer.

Es war der Capitain Lesaillier, der während des vorigen Gesprächs hinter sie und zugleich vor die österreichischen Officiere getreten war.

„Halten Sie sie, binden Sie sie, wenn sie entfliehen will,“ schrie Frau Marcelline auf – „sie darf nicht entkommen, sie ist eine Verbrecherin, eine Mörderin!“

„Sie soll nicht entkommen, beruhigen Sie sich, Madame,“ versetzte der Capitain, indem er Benedicte nach dem oberen Theil des Raumes führte – „setzen Sie sich da, Mademoiselle, und warten Sie das Weitere ab,“ sagte er barsch zu Benedicte gewendet.

Benedicte ließ sich mehr todt als lebendig in den alten Armsessel fallen, der am obersten Fenster stand und zu dem der Capitain sie geführt hatte.

„Und nun,“ fuhr dieser sich zu den Oesterreichern wendend fort, „nun zu Ihnen, meine Herren! Wer sind Sie?“

„Sie sehen, wir sind österreichische Stabsofficiere … auf einer Recognoscirung begriffen,“ antwortete der ältere Officier.

„Stabsofficiere … auf einer Recognoscirung … ohne alle und jede Bedeckung? … Das ist seltsam!“

„Und doch ist es so - daß es unvorsichtig war, auf das Wort jenes jungen Geschöpfes hin, dieser Hof sei unbesetzt, so weit vorzugehen, sehen wir selbst – Sie brauchen es uns nicht vorzuhalten.“

„Nun wohl, Sie sehen es selbst,“ rief der Capitain aus, „Sie sehen, daß Sie in meiner Gewalt sind“ – er deutete auf den mit seiner Mannschaft erfüllten Hof – „also darf ich wohl um Ihre Degen bitten!“

„Wir sind allerdings in Ihrer Gewalt – so gewiß und sicher,“ versetzte hier der jüngere der beiden Oesterreicher, „daß es eine leere Förmlichkeit wäre, wenn wir unsere Degen ablegten – es kann uns nicht einfallen, dieselben gegen Sie und eine solche Uebermacht ziehen zu wollen.“

„Sie sind meine Gefangenen und haben die Degen abzulegen, wenn Sie nicht wollen, daß ich Leute hereinrufe, die sie Ihnen abnehmen, meine Herren!“ anwortete der Franzose gebieterisch.

„Gewiß, gewiß, Sie können das,“ entgegnete der Oesterreicher ruhig – „aber Sie werden unsere Uniformen hinreichend kennen, um zu sehen, daß wir Generalsrang haben – und Sie werden uns die Demüthigung ersparen, die Sie verlangen, da sie unnütz ist – als Franzose werden Sie zu großmüthig sein, einem in Ihre Hände gefallenen Feind Rücksichten zu verweigern, um die er Sie, mein Herr Capitain, bittet!“

Der junge Mann legte auf das Wort „bittet“ einen besondern Ausdruck von vornehmem Selbstgefühl, und der Capitain antwortete mit einem ironischen Lächeln.

„Es demüthigt Sie, einem einfachen Capitain Ihre Degen übergeben zu sollen? – nun, ma foi, wenn dies Ihnen solchen Kummer macht, so sollen Sie sich nicht umsonst an meine Großmuth gewendet haben – aber ich bitte um Ihre Namen!“

„Generalmajor Karl Teschen!“ sagte der junge Mann.

„Sie haben es sehr jung zum General gebracht!“ bemerkte der Franzose.

„Ich habe Glück gehabt,“ antwortete der General Teschen bescheiden.

„Und Sie, mein Herr?“ fuhr Lesaillier zu dem Andern gewendet fort.

„General Sztarrai!“

Der Franzose machte eine leichte Verbeugung und sagte: „Die Herren werden dort am Tische Platz nehmen.“ Dann sich zu Frau Marcelline wendend fuhr er fort: „Madame, ich bedauere unter diesen Umständen nicht ganz meiner Consigne folgen zu können. Sobald meine Truppe sich ein wenig erholt hat und es Ihnen möglich ist, die Reise fortzusetzen, müssen wir aufbrechen und auf demselben Wege, den der General Duvignot eingeschlagen hat, unsern Marsch fortsetzen – ich darf die Verantwortlichkeit nicht auf mich nehmen, ein paar Gefangene von dieser Bedeutung so lange hier zu halten – ich muß sie sobald wie möglich in Sicherheit bringen. Sie haben jedoch zu bestimmen, ob Sie die Nacht hindurch hier bleiben und sich ausruhen wollen – ich könnte Ihnen alsdann einen Theil von meinen Leuten zum Schutze lassen …“

„Nein, nein, nein,“ rief Frau Marcelline aufgeregt aus, „ich bin vollständig mit Ihnen einverstanden, auch mich drängt es, meine Gefangene hier“ – sie warf dabei einen Blick verzehrenden Hasses auf die wie in sich zusammengebrochen dasitzende Benedicte, die diesen Blick freilich nicht wahrnahm, da sie ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckt hatte – „meine Gefangene hier in Sicherheit zu bringen!“

„Sie sind also bereit …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_504.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2020)