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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Gott, den Aufruhr in unserer guten Residenz will ich sehen – das giebt einen Eclat! … Meine Herren, was habe ich Ihnen immer gesagt? Habe ich Recht gehabt, oder nicht? Er war ein Hallunke durch und durch, und so schmerzlich ich auch Serenissimus bedaure, es kann ihm doch ganz und gar nicht schaden, zu erkennen, welch’ sauberem Patron der alte, angestammte Adel sich so lange hat unterordnen müssen.“

Die Herren nickten bekräftigend und verschwanden nach verschiedenen Richtungen.

„O mein Herr von Bothe, Sie wären sammt Ihrem alten, angestammten Adel verhungert, wenn ich nicht war!“ murmelte der Minister grimmig zwischen den Zähnen, während er weiter hinabstieg. „Bah, wir sind quitt – Sie waren das unverdrossenste, bereitwilligste Werkzeug, das mir je zu Gebote gestanden!“

Er durchschritt einen laugen, einsamen Gang und trat hinaus in den Hofraum. Da lief die Stallbedienung eilig durcheinander; man zog Pferde aus den Ställen und rollte den Wagen des Fürsten aus der Remise.

„Du, ich glaub’s nicht mit dem reitenden Boten,“ sagte einer der Männer zu einem anderen in dem Augenblick, wo der Minister ungesehen an ihnen vorüberschlüpfte. „Ich bin doch nicht blind und nicht taub, und so ein reitender Bote kann doch auch nicht durch die Luft fliegen.“

„Blind und taub bist Du freilich nicht; aber geschlafen hast Du wie eine Ratze. Ich sage Dir, der Bote aus A. ist dagewesen – der gnädige Herr von Bothe hat mir’s selbst vorhin gesagt – der Fürst soll gleich zur Fürstin kommen – es wär’ was passirt.“

Der Minister schritt mit rückwärts gekreuzten Händen durch die Alleen des Schloßgartens. … Das gellte und jubelte und schmetterte aus dem Saal hernieder, und die Kerzen flammten, die man noch angezündet hatte auf den Wink des Mannes, welcher jetzt als Bettler heimathlos drunten umherirrte.

Und nun rollte der fürstliche Wagen vor das Vestibüle. Mit möglichster Vermeidung alles Geräusches und Aufsehens erschien die schmächtige Gestalt des Fürsten, umgeben von den flüsternden Herren seines Gefolges, in der Halle.

Bei diesem Anblick ballte der tiefgefallene Mann in der dunklen Allee die Fäuste und schlug sie wild und wiederholt gegen die Brust.

Der Wagen rollte davon, und die Musik droben machte auch eine Pause – es wurde für einen Moment todtenstill im ganzen, weiten Garten. Noch einmal scholl das donnernde Gepolter der fürstlichen Equipage hinüber – sie fuhr über die Brücke – das war das Ende der „eklatanten Genugthuung“, die Serenissimus seinem Günstling „den Schreiern“ gegenüber geben wollte. …

Seltsam – hatte der gewandte, elegante Cavalier seine schwierige Mission doch nicht mit der gewohnten Meisterschaft durchgeführt, oder war die tanzende Menge da droben bereits zu aufgeklärt, um sich eine „Hoflüge“ aufbinden zu lassen? … Wagen auf Wagen fuhr vor, und die geschmückten Gestalten schlüpften scheu und eilig hinein, als gelte es Flucht, schnelle Flucht. …

Die Klänge des Orchesters erbrausten abermals – sie hallten fast schauerlich von den Wänden des geleerten, mächtigen Saales wider, und die wenigen tanzenden Paare flogen an den Fenstern hin, wie die letzten verlorenen Seelen eines bacchantischen Festes, die sich an der überschäumenden Lust nicht satt trinken können.

Der Minister schritt weiter und weiter – sein Fuß verirrte sich immer tiefer in die abgelegenen Boskets des Schloßgartens, die in künstlich erhaltener Wildniß die tiefste Ruhe athmeten – kaum, daß ein aufgescheuchter, schlaftrunkener Vogel durch die Zweige flatterte, oder der Nachtwind hoch oben durch die Ulmenkronen strich. … Jetzt wurde es lebendig in dieser Todeseinsamkeit – ächzende Seufzer entflohen den Lippen eines furchtbar aufgeregten Menschen; in wilder Hast wühlte er sich durch pfadloses Gebüsch, die gewaltsam niedergebogenen Zweige knackten und schlugen rauschend zurück in das Gesicht des nächtlichen Störers. …

Halbverloren taumelten noch einzelne Klänge der Ballmusik herüber, dann verstummten auch sie, und jetzt mit dem letzten zwölften Schlag, den das Neuenfelder Thurmglöckchen zitternd verhallen ließ, rollte und donnerte es noch einmal von ferne – das war der letzte Wagen, der von dannen fuhr.

Das Auge des Ministers richtete sich starr auf, den feurigen Würfel des Schlosses, der noch einen kurzen Moment feenhaft durch das flüsternde Laub flimmerte. …. Da sanken die Kronleuchter des Saales und geschäftige Hände löschten Kerze um Kerze, die einem schauerlich gestörten Fest geleuchtet hatten. Die langen, strahlenden Linien der Corridore verschwanden spurlos in der Nacht – ein Licht um das andere versank – dort huschte noch eines hin und wider, es lief mit dem Feuerwächter, der seine Runde machte … da erlosch es – und mit ihm fiel ein Schuß in den abgelegenen Boskets des Arnsberger Schloßgartens.

„Da wildert Einer,“ sagten die aufgeschreckten Schläfer in Neuenfeld, drehten sich um in ihren Betten und schliefen weiter den Schlaf des Gerechten.


Es war im Monat September. Der erste herbe Hauch des Herbstes mischte sich in die Sommerlüfte und betupfte die Waldwipfel hie und da mit schwachröthlichen Tinten und einem leichten Goldduft. Tief im geschützten Herzen des Waldes aber hielt sich noch die volle, wonnige Sommerwärme versteckt; sie lag auf dem kräftig wuchernden Rasen, der den Kiesplatz vor dem Waldhause einfaßte, und bestreute ihn unermüdlich mit Blumenglocken. Und die Blätter der Aristolochia lagen so breit und glänzend und zuversichtlich auf dem grauen Mauerwerk, als könne nie eine Zeit kommen, wo sie sich schmerzlich zusammenkrümmen und als unscheinbare Mumien auf dem Athem der Winterstürme die traute Wohnstätte verlassen würden.

Sie waren übrigens heute nicht der einzige Schmuck des Waldhauses. Ueber der Terrasse, einen Thurm mit dem andern verbindend, schwebten Blumengewinde, und auch die gewaltige eichene Hausthür, die in die Halle führte, umsäumte eine dicke Eichenlaubguirlande. Selbst auf den lockigen Köpfen der steinernen Edelknaben lagen Epheukränze, und lange, blätterreiche Brombeerranken wanden sich um die Jagdhörner, in denen das Hallali versteinert schlief. Diese seltsame Ausschmückung hatte „Pfarrers Röschen“ durchgesetzt – „die armen Männer sollten doch auch ihre Freude haben.“

Noch festlicher geschmückt aber erschien das traute Haus innen. Wohin der Blick fiel, in Guirlanden und Vasen, selbst auf den Steinfließen der Halle lachten und strahlten die bunten Häupter der Georginen, Astern und Spätrosen, und aus der geöffneten Thür des südlichen Thurmzimmers wehten die Düfte der vornehmeren Heliotropen.

Wir haben das Thurmgemach zu verschiedenen Zeiten gesehen – jetzt hat es sich abermals eine Umwandelung gefallen lassen müssen – es ist das Wohnzimmer einer jungen Frau geworden. Weiße Mullvorhänge schweben vor den hohen Fenstern und nehmen dem Zimmer sofort den düsteren Charakter. Helle, bequeme Möbel, wohlgefüllte Blumentische stehen an den Wänden, und auf dem Fußboden liegt ein dicker, warmer Smyrnateppich. In einer vertiefen Fensternischen, vor dem gestickten Lehnstuhl, steht ein Nähtisch, und darüber hängt ein blanker Messingkäfig mit kleinen, buntgefiederten brasilianischen Vögeln. … An den Hauptwänden hängen sich zwei große Oelbilder gegenüber – ein schönes, junges Mädchen, das Feldblumen im Schooße und in den schlanken, weißen Händen hält, sieht mit den großen, glückseligen Taubenaugen hinüber in das Gesicht des jungen Mannes, dem der prächtige Vollbart blond vom Kinn niederwallt, und welcher in den über der Nasenwurzel zusammengewachsenen Brauen den Stempel des Unglücks, eines traurigen Schicksals trägt. Um beide Bilder legen sich Blumengewinde frisch und glänzend und hauchen einen schwachen Lebensodem über die jugendlichen Gestalten, die längst unter der Erde schlafen.

Was Alles wußte heute die geschwätzige Fontaine vor dem Waldhause zu erzählen! … Der Mann mit der majestätischen Rittergestalt, der dort hauste, hatte heute, in der Abendstunde neben „dem schönen, blonden Mädchen im blauen, wallenden Gewande“ gestanden – nicht in der fein ehrbaren Weise, wie sie der Brauch und das Herkommen vorschreiben – nein, sein starker Arm hatte fest und innig die zusammenschauernde, schlanke Gestalt umschlungen in dem Augenblick, wo die Abendsonne golden durch das Fenster der Neuenfelder Dorfkirche auf sein und des Mädchens Haupt gesunken war und der Pfarrer mit ergreifenden Worten den Bund ihrer Herzen eingesegnet hatte. … Dann waren sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_499.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2021)