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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Lauteraarjoch. Die Schreckhörner und der Mettenberg bilden den großen Kranz, der uns einschließt, und unsere Herberge ist eine Höhle, gebildet durch zwei gewaltige Felsblöcke, die sich so aneinander lehnen, daß unter ihnen ein freier Raum bleibt. Die nächste Umgebung ist ein rauhes Trümmerfeld. Es ist eine großartige Einsamkeit hier oben mit ihrer erhabenen Stille. Außer einigen hirtenlosen Schafen, die im weiten Revier da spärliche Weide suchen, weilt nur die flüchtige Gemse hier, und selten läßt eine Flühelerche ihren kurzen Ruf hören.

Solche Orte bevölkert der Mensch gern mit seiner Phantasie. So ist denn auch der Gleckstein und seine Umgebung der Hauptwohnsitz der lieblichen Bergmännchen, der Zwerge, die als Ueberlieferung aus der guten alten Zeit in Grindelwald noch leben. Viel wird noch erzählt, was sie Gutes den Menschen gethan. Aber der letzteren Uebermuth hat sie verjagt. Einmal nämlich erhitzt ein junger Schlingel mit Feuer einen Stein, auf dem die Zwerge der Ruhe zu pflegen gewohnt waren und da nun einer derselben arglos darauf sich niederließ und jämmerlich verbrannte, da erkannten sie, daß ihre Zeit vorbei sei, und verschwunden sind sie seither. Doch meine ich, sie können ihren alten Lieblingsort nicht ganz lassen, und wessen Sinn und Geist auch in der Natur dort oben etwas zwischen den Zeilen zu lesen versteht, dem sind auch die Berggeisterchen nicht fremd. Ja, es ist erstaunlich, was dieser „Gleckstein“ Alles weiß, wie viel dort die Zwerge uns erzählen könnten! Und die Spitze des Wetterhorns, die vom Gleckstein hinweg in fünf Stunden gewonnen wird, wie herrlich lohnt sie wieder das kühne Wagen das edle Müh’n!

Doch für heute – bleiben wir im Thale, nähren uns redlich und erquicken uns ruhig an dem schönen Bilde, das uns unverblaßt in Auge und Herzen stehen bleibt in seiner milden Majestät!

G. Gr.




Haar - Messen und Zopfabschneider.

„Mit der – Mode kämpfen Götter selbst vergebens“, so ließe sich das bekannte Dichterwort variiren, um eine Wahrheit auszudrücken die man geradezu als absolute bezeichnen könnte, wenn uns endlichen Menschen überhaupt eine solche vergönnt wäre. Was ist in den letzten drei, vier Jahren nicht Alles gesprochen und geschrieben, gepredigt, gewitzelt und gespottet worden, um die abscheulichen Anhänge zu beseitigen, welche jetzt bald als ungeheuere Knäuel und Klumpen, bald in Form von Zotteln und Roßschweifen die Köpfe unserer modischen Damen entstellen! Aesthetiker und Moralisten, Aerzte und Pädagogen sind mit schwerem und leichtem Geschütz dagegen zu Felde gezogen man hat grauenhafte Geschichten erzählt von Zöpfen, die, um dem Begehr zu genügen, unsere Friseure den Leichen abschneiden; man hat das Ungeziefer der Gregarinen entdeckt und losgelassen; ein Oberhirt der Kirche hat erst unlängst erklärt, daß er seine Hand nicht segnend auf die Scheitel junger Damen legen werde, welche in dem geborgten Hauptüberschwange vor ihm erschienen – doch was hat dies Alles gefruchtet? Ist darum nur ein einziger Chignon, eine einzige falsche Locke á la repentir, cachefolie, tête-et-pointe, Alexandria und wie man die Unholde sonst noch hochtrabend getauft hat, weniger getragen worden? Im Gegentheil, der Haarhandel florirt mehr denn je, und seine feineren Waarensorten werden mit immer enormeren Preisen bezahlt. Einer der ersten Pariser Haarhändler findet Abnehmerinnen, die ihm seine berühmten hochblonden Chignons – blonde ardente nennt sie die Mode – mit Freuden für fünfzehnhundert Franken abkaufen, obschon Nachahmungen derselben in Seide in allen Posamentierläden um neunzig Centimes zu erhalten sind.

Bekanntlich ist Frankreich der Hauptstapelplatz des falschen Haares, nach England allein geht jährlich für nahe an siebenzigtausend Pfund Sterling, und die Ausfuhr nach Deutschland wird kaum eine geringere sein. In Frankreich aber ist es wiederum die Bretagne, welche dem Pariser Markt das größte Quantum an Menschenhaaren liefert. „Seit der römischen Invasion,“ schreibt Chateaubriand in seinen Memoiren, „haben die gallischen Weiber ihre Locken verkauft, um andere minder bevorzugte Scheitel damit zu schmücken, und noch heut zu Tage entäußern sich meine bretonischen Landsmänninnen dieser Zier, um an gewissen Markttagen buntseidene Tücher dafür einzutauschen.“

Eine solche weit und breit berühmte Haarmesse findet alljährlich am vierten September unweit des durch den erwähnten Schriftsteller und Staatsmann dem Dunkel entrissenen Schlosses Combourg auf einer großen Wiese statt. Es ist dies ein Volksfest für die ganze Gegend, eine Art Zigeunerleben mit allen möglichen Habseligkeiten, Trödeleien und Ergötzlichkeiten, wie sie bei derlei Gelegenheiten wohl auch bei uns in Deutschland an der Tagesordnung sind. Umsonst aber – erzählt der Gewährsmann, dem wir die nachfolgenden Einzelheiten verdanken – umsonst sah ich mich nach den indischen Foulards um, gegen welche, nach Chateaubriand’s Aufzeichnungen, die jungen Bretoninnen den Reichthum opfern sollten, den ihnen eine gütige Natur verliehen, ebenso vergeblich nach den Anstalten, das Opfer in’s Werk zu richten. Endlich ganz draußen am Saume der Zelte und Buden bemerkte ich unter. einer Gruppe alter, weitschattender Walnußbäume, gewissermaßen im Verborgenen, als handele es sich um heimlich abzuthuende Verrichtungen, einige mit Planen bedeckte Karren. Sie waren voller kleiner Pakete und Bündel, ihre Gabeldeichseln zur Erde gekehrt, und ihre mageren Gäule, an die Radspeichen gebunden, ließen sich das Gras umher wohl schmecken. Ich ging auf einen der Karren zu; sein Eigenthümer, ein untersetzter, kräftiger kleiner Mann von etwa vierzig Jahren, halb Bauer, halb Roßtäuscher, wie es schien, saß auf der Deichsel mit einem Pack buntbedruckter Kattuntücher vor sich. Etwas vom Schelm lag in dem Zwinkern seiner frechen Augen, als er eines der Bündel aufschnürte und ein halb Dutzend grellfarbige Tücher eines nach dem andern langsam herauszog, um sie, unter höchst beredter Anpreisung jeder einzelnen Schönheit seiner Waaren, einer alten Bauerfrau zu zeigen, welche ein ungefähr zwölfjähriges baarfüßiges Mädchen an der Hand hatte. Die Haube oder Catiole war dem Kinde abgenommen, damit man das prachtvolle Haar besser sehen konnte, das in üppigen Wellen ihm bis auf die Brust herabfloß. Wie ich an die Leute herangekommen war, hörte der Mann mit einmal in seinen Demonstrationen auf; die Worte der Frau aber konnte ich noch vernehmen.

„Ein Tuch ist nicht genug für eine solche Menge Haar,“ sagte sie.

Das Mädchen selbst schien in der Sache keine Stimme zu haben; es begnügte sich, die vor ihm entfalteten glänzenden Schätze mit lüsternen Augen zu betrachten.

„Wahrhaftig in Gott,“ erwiderte nach einer Pause der Händler in sanften, schmeichelndem Tone, „ich kann nicht mehr geben, sonst muß ich einbüßen bei dem Geschäft; ich habe schon mehr schwarzes Haar, als ich brauche. Heut zu Tage zieht nur blondes Haar, aber ich habe Euch nun einmal ein Tuch versprochen, und Ihr sollt’s haben. Ich halte mein Gebot, und Ihr wißt mich zu finden, wenn Ihr’s Euch überlegt habt.“

Die Alte entgegnete nichts mehr, sondern half der Kleinen das Haar wieder aufbinden und unter der weiten Catiole verbergen. Darauf gingen Beide hinweg, kamen jedoch nach wenigen Augenblicken wieder, um die Bedingungen des Händlers zu acceptiren, welcher ohne weitere Umschweife zum Werke schritt. Er setzte sich auf einen dreibeinigen Stuhl und klemmte sein Opfer, dem das Haar lang herunter hing, fest zwischen seine Kniee. In seiner Hand befand sich eine riesige offene Scheere, welche er dem Kinde dicht auf den Kopf preßte.

„Monsieur,“ jammerte es, „Sie thun mir weh, und bitte, bitte, schneiden Sie mir nicht Alles ab, lassen Sie mir wenigstens eine einzige Locke, daß ich meinen Kamm feststecken kann.“

Der Mann blieb indeß taub gegen derlei Anliegens mit wenigen Schnitten seines grausamen Instrumentes war der Kopf des armen Mädchens fast ganz kahl geschoren. Dann rollte er die Haarsträhne zusammen, band sie mit einem Knoten zu und steckte sie in einen Sack, während die Beraubte sich einen Augenblick instinctiv nach dem Kopfe griff und hierauf die von dem Händler angerichtete Verwüstung schleunigst unter der Haube versteckte.

Sobald dies geschehen, suchte sich das alte Weib das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_487.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)