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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 31.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Humboldtsfest aller Deutschen.

„Das deutsche Volk soll seinen Humboldt feiern, wie es seinen Schiller gefeiert hat!“ – so lautet die Mahnung von Volksmännern und Patrioten dies- und jenseits des Oceans.

Wenn zu einer solchen Feier nur Diejenigen berufen sein sollten, welche es dem Glück ihrer Erziehung und Bildung verdanken, daß sie den großen Naturforscher, Schriftsteller und Mann vollkommen zu würdigen vermögen, weil sie am Geist seiner Werke den ihren erheben konnten: so würde die Zahl der berechtigten Festbegeher freilich unter den Millionen des deutschen Volks eine beschämend kleine sein. Denn gehören nicht zu diesem deutschen Volke auch jene Millionen, welche hier in der Dorf-, dort in der städtischen Volksschule nicht weniger deutscher Länder so verwahrlost geblieben sind in derjenigen Kunde, welche jedem Menschen die nächste sein sollte, in der Naturkunde, daß ihnen während ihrer ganzen Schulzeit vielleicht niemals der Name „Humboldt“ zu Ohren gekommen? Und zählen nach Millionen nicht auch Diejenigen, welche später bei aller Lern- und Strebelust gezwungen waren in der harten Arbeit und Sorge für den Leib den Geist so darben zu lassen, daß für sie „Humboldt“ noch heute nicht mehr ist, als eines Namens Klang? –

Aber gerade um dieser Millionen willen dürfen die anderen, alle an Humboldt’s Geist Erstarkten und Erhobenen, nicht ruhen und rasten, durch Rede, Lehre und Schrift in allem Volke mit dem Namen Humboldt den Gedanken der Befreiung von Unwissenheit, Aberglauben und jener geistigen Beschränktheit zu verbinden, welche die stärkste Quelle ewiger Niedrigkeit und Armuth ist. Es gilt, den Kampf aufzunehmen und zu einem allgemeinen zu machen gegen alle jene Hunderttausende von Frömmlingen, Blind- und Starrgläubigen, von Herrschsüchtigen um jeden Preis, von Leuten der Regulative und Encykliken, welche Alle in den Naturwissenschaften ihre Todfeinde wittern und vor Humboldt, als vor dem Obersten derselben, wie vor ihrem leibhaftigen Teufel schaudern!

Das sei uns übergenug der dringendsten Veranlassung, diese Humboldt-Feier durchzusetzen, nur das verleiht ihr eine Bedeutung höchsten Ranges, einer neuen reformatorischen, einer wahrhaft erlösenden That!

Ja, tretet zur großen Humboldtfeier zusammen, deutsche Väter und Mütter, überall, aber mit dem festen Entschluß, für Eure Kinder Das zu erringen, was dem ganzen Volke Noth thut: den naturwissenschaftlichen Volksunterricht bis zur letzten Dorfschule hinab! Denn mit den Naturwissenschaften zieht ein frischerer, gesunderer Geist in die Schulen ein und dringt einst aus der Schule in das Leben der Familie, der Gemeinde und des Staats.

Feiert Humboldt, wie Ihr Schiller gefeiert habt, mit allem Stolz einer nationalen Ehre; aber laßt es nicht bei Festrede und Festmahl, auch nicht bei einem Humboldt-Monument und nicht bei einer Humboldt-Stiftung bewenden: benutzt das der Erinnerung an den großen Mann geweihte Fest selbst, um die Hand zu erheben zu der That: Humboldt als Schüler nicht weniger zuzuführen als das ganze deutsche Volk! Legt Hand an’s Werk durch Aufstellung und Unterzeichnung von Petitionen und Adressen an Reichs- und Landtage, durch Gründung von Volksschul- und von Humboldt-Vereinen, durch Unterstützung der freisinnigen Schulpresse und durch strenge Auswahl künftiger Volksvertreter in dieser Richtung – und arbeite Jeder nach seinen Kräften im Haus der Schule vor, so muß Eltern- und Kindesliebe im Verein mit der Vaterlands- und Freiheitsliebe das Ziel erreichen und sein Segen sich erfüllen!

Schon in wenigen Jahren, bei beharrlichem und furchtlosem Streben, werden die Blicke von Alt und Jung sich erweitern nach den Höhen und in die Tiefen! Blume und Stein am Wege, der Sturm der Lüfte, die Sterne des Himmels, Alles, dem Auge jetzt noch gleichgültig oder fremd, oder etwas Getrenntes, gewinnt plötzlich Leben und tritt uns als durch gemeinsame Gesetze im Universum Verbundenes entgegen, wenn wir’s an Humboldt’s Hand aufsuchen und betrachten; ja, wir erkennen, wenn es uns erst vergönnt war, bis zum Verständniß des reichsten Buchs der Gegenwart, der Schatzkammer der Gesammtwissenschaft der Natur, seines „Kosmos“, vorgedrungen zu sein, mit dem Gefühle beseligenden Glücks in den Naturwissenschaften eine feste, reine Grundlage sittlicher Bildung und den stärksten Hebel geistiger Befreiung des Volks! Denn dies Volk wird vor Allem den allwaltenden Gesetzen der Natur lauschen, und es wird mit Entsetzen, aber auch mit männlichen Entschlüssen gewahren, was Alles in den Gesetzen der Natur, die Gott uns zum Muster gegeben für unsere Einrichtungen, so ganz anders steht, als in denen der Menschen! –

Diese Erkenntniß, durch Humboldt geweckt, erhebt ihn in des deutschen Volkes Geist zur Höhe eines Weltreformators, welcher, abermals durch unsere Nation, die Menschheit eine Stufe näher zu dem dereinstigen freien Menschenthum hinanführt.

Und so mögen die Deutschen aller Welt neben dem zehnten November 1859 auch den vierzehnten September 1869 zum großen Nationalfesttag erheben, – der Gegenwart zur Mahnung und der Zukunft zum Heil!

Leipzig, im Juli 1869. Die Redaction der „Gartenlaube“. 

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_481.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)