Seite:Die Gartenlaube (1869) 479.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Nun?“

„Das fürstliche Haus hat so schwere Verluste durch den Raub erlitten, es sind ihm so viele Einkünfte verloren gegangen, – ich bin die einzige Erbin der Gräfin Völdern; es ist meine heilige Pflicht, nach Kräften auszulöschen, was sie Schlimmes gethan hat – nehmen Sie Alles, was sie mir hinterlassen –“

„O meine liebe, kleine Gräfin,“ unterbrach sie der Fürst lächelnd, „glauben Die im Ernst, ich könnte Sie brandschatzen und Sie, das arme, schuldlose Geschöpfchen, für das Vergehen Ihrer Großmutter büßen lassen? … Hören Sie, Mein Herr?“ wandte er sich schwer betonend und mit großer Genugthuung an den Portugiesen. „Sie haben mir mittels Ihrer Enthüllungen eine tiefe Wunde geschlagen – Sie haben die Axt an die Wurzeln des Adels gelegt – aber der liebliche Mädchenmund hier versöhnt wieder – er hat den Adel in meinen Augen gerettet!“

„Der Gedanke, den die Gräfin eben ausgesprochen, liegt allerdings nahe“ – entgegnete der Angeredete ruhig – „auch Herr von Eschebach hat ihn gehabt. Er hat als Ersatz für die Revenuen, die durch den von ihm unterstützten Betrug dem Fürstenhause während vieler Jahre entzogen worden sind, Euer Durchlaucht ein Capital von viermalhunderttausend Thalern vermacht.“

Der Fürst fuhr überrascht empor.

„Ah – war er in der That ein solcher Crösus?“ Er durchmaß das Zimmer einige Mal mit raschen Schritten, ohne ein Wort zu sprechen.

„Ich kenne Ihre Lebensgeschichte nicht, mein Herr,“ sagte er, vor dem Portugiesen stehen bleibend. „Aber einige Ihrer Andeutungen, dem Baron Fleury gegenüber, ließen mich an einen erschütternden Vorfall denken – Ihr Bruder ist ertrunken und Sie haben infolge dessen Deutschland verlassen?“

„Ja, Durchlaucht.“ – Wie schmerzlich grollend klangen diese Töne!

„Sie trafen Herrn von Eschebach zufällig auf Ihren Streifereien durch die Welt?“

„Nein. Er war mit meinen Eltern befreundet gewesen; er hat mich und meinen Bruder direct aufgefordert, nach Brasilien zu kommen – ich verließ Deutschland, um seinem Rufe zu folgen.“

„Ah, dann sind Sie gewissermaßen sein Adoptivsohn, sein Erbe?“

„Er hat allerdings geglaubt, er müsse mir für ein wenig Liebe und Pflege, die er von mir empfangen, mit seinen Reichthümern dankbar sein. … Aber mir hat gegraut vor dem Mann und seinen Schätzen, als er mir auf seinem Todtenbette jene Geständnisse machte. Ich kann es ihm noch nicht verzeihen, daß er bis an seinen Tod schweigen konnte, daß er in seinem ehemaligen Vaterlande viel Schlimmes hat geschehen lassen, während es eines Wortes von ihm bedurfte, um den zu stürzen, der es verübte. Er war feig gewesen und hatte den Makel auf seinem Namen gefürchtet. … Ich habe das Erbtheil öffentlichen wohlthätigen Anstalten zugewiesen. … Das Glück hat meine Privatunternehmungen begünstigt – ich stehe auf eigenen Füßen!“

„Kehren Sie nach Brasilien zurück?“ Der Fürst sagte das mit einem eigenthümlich lauernden Blick, indem er dem Portugiesen näher trat.

„Nein – ich wünsche, mich in meiner Heimath nützlich machen zu können. … Durchlaucht, ich gebe, mich der beglückenden Hoffnung hin, daß mit dem Moment, wo jener Elende über die Schwelle dort auf Nimmerwiederkehr geschritten ist, ein neuer Lebensodem durch das Land gehen wird –“

Serenissimus’ Gesicht verfinsterte sich auffallend. Er senkte den Kopf und sah unter dem tief zusammengezogenen Brauen hervor mit erstem scharf messenden Blick zu dem gewaltigen Mann auf.

„Ja, er ist ein Elender, eine durch und durch verdorbene Seele,“ sagte er langsam und jedes Wort markirend. „Aber das müssen Sie mir nicht vergessen, mein Herr – er war ein ausgezeichneter Staatsmann!“

„Wie, Durchlaucht, dieser Mann, der mit eisernem Griff jedwede, auch die harmloseste Bestrebung nach einem höheren Aufflug im Volke niedergehalten hat? … Der Mann, der Während seiner langen. Wirksamkeit nicht einen Finger mochte, der Noth im Lande abzuhelfen? der im Gegentheil der Industrie, den Einzelnbestrebungen tüchtiger Köpfe stets einen Hemmschuh angelegt hat, wo er irgend konnte, aus Besorgniß, das Volk könne mit gefülltem Magen so übermüthig werden, auch einmal einen Blick in die politische Küche des Staatslenkers weisen zu wollen? … Der Mann, der die hierarchischen Gelüste zuletzt auch auf sein Regierungsprogramm geschrieben hat, weil seine Weltweisheit der gewaltigen Strömung gegenüber doch nicht mehr ausreichte? … Er, der nicht einen Funken Religion in der Brust trägt, er hat sie an seinen Herrscherstab geknebelt, – mächtig unterstützt von einer wühlenden, herrschsüchtigen Kaste, die den Vorzug der öffentlichen Rede besitzt, hat er die Hohe, die Milde, die ein Quell des Lichtes, des Trostes, der Erquickung für die Menschenseele sein soll, zur eisernen Jungfrau gemacht, die Jeden, der ihr naht, in ihren Armen unbarmherzig erstickt und erdrückt! … Gehen Euer Durchlaucht durch das Land –“

„Still, still!“ unterbrach ihn der Fürst mit einer abwehrenden Handbewegung – sein Antlitz war kalt und starr geworden, als sei es plötzlich zu Eis gefroren. „Wir leben weder im Orient, noch in jener Märchenzeit, wo die Großveziere durch die Straßen wandelten, um das Urtheil ihres Volkes zu hören…. Es wird jetzt so viel durcheinander gewünscht, phantasirt und gefaselt, daß sich nur über dem Chaos zu halten vermag, wer unbeirrt, fest, unverrückbar auf seinem Standpunkt beharrt. … Ich kenne Ihre schwärmerischen Ansichten bereits – Ihr Etablissement da drüben trägt sie an der Stirn – ich zürne Ihnen darum nicht, aber sie können niemals die meinigen sein. … Sie hassen den Adel – aber ich werde ihn halten und stützen bis zum letzten Athemzug. … Ja, ich würde nicht anstehen, dem Princip die schwersten Opfer zu bringen. … Ich verhehle mir nicht, daß die heutigen Ereignisse, wenn sie ruchbar werden, viel böses Blut machen müssen – und um deswillen berühren sie mich doppelt schmerzlich. … Jenen Ehrlosen muß ich selbstverständlich fallen lassen … wenn man aber seiner Entlassung andere Motive unterlegen, mit einem Wort, wenn man die Sache in ihrer schlimmsten Beleuchtung jetzt noch unterdrücken könnte – ich wäre sehr gern bereit, das Ganze – die Persönlichkeit des Baron Fleury natürlich ausgeschlossen – als nicht geschehen zu betrachten. … Ich ließe Sie, beste Gräfin, am liebsten im Besitz der fraglichen Güter –“

„Durchlaucht!“ rief das junge Mädchen, als traue es seinen Ohren nicht. „O,“ fügte sie mit schmerzlich flickender Stimme hinzu, „das ist eine zu harte Strafe für meine Mitwissenschaft des Verbrechens! … Ich verwahre mich für alle Zeiten gegen die Zurücknahme!“ protestirte sie feierlich.

„Nun, nun, mein Kind – nehmen Sie das nicht zu tragisch!“ rief der Fürst verlegen. „Es war wirklich nicht so ernst gemeint. … Jetzt gehen Sie aber. In der Kürze werde ich nach Greinsfeld kommen und Rücksprache mit Ihnen nehmen – Sie sollen künftig unter dem Schutz der Fürstin an meinem Hofe leben.“

Gisela schrak zusammen, und abermals ergossen sich die Blutwellen über ihr Gesicht. Aber sie hob die Wimpern und sah dem Fürsten mit ihren braunen Augen fest an.

„Euer Durchlaucht überhäufen mich mit Güte,“ versetzte sie. „Ich erkenne diese Auszeichnung doppelt dankbar an, als die Familie Völdern sie wahrlich nicht verdient hat. … Allein ich darf die Ehre, am Hofe zu A. zu leben, nicht annehmen, weil mir bereits mein Lebensweg klar und bestimmt vorgezeichnet ist.“

Der Fürst trat erstaunt zurück. „Und darf man nicht wissen? “ fragte er.

Die junge Dame schüttelte unter einem abermaligen Erglühen heftig den Kopf sie – machte eine unwillkürliche, rasche Bewegung nach der Thür, als wolle sie das Weite suchen.

Serenissimus schwieg und reichte ihr zum Abschied die Hand.

„Aus den Augen verlieren werde ich Sie doch nicht, Gräfin Sturm,“ sagte er nach einer kleinen, verlegenen Pause. „Und wenn Sie einen Wunsch haben, den zu erfüllen mir möglich ist, so vertrauen Sie mir ihn an, nicht wahr?“

Gisela verbeugte sich tief und trat über die Schwelle. Die Thür fiel hinter ihr in’s Schloß – die ehemalige kleine Beherrscherin dieser Räume hatte den Salon mit den violetten Plüschvorhängen und das verführerische, unselige Seezimmer zum letzten Mal gesehen.

Sie eilte wie gejagt durch den Corridor. Unten am Fuß der Treppe stand händeringend Frau von Herbeck.

„Um Gotteswillen, liebe Gräfin, wo stecken Sie?“ rief sie in tiefgeärgertem

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_479.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2016)