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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

bewohnt werden. Stattlich und fast durchaus bedeutenden Umfanges liegen sie da, diese Ortschaften, Stein und Ziegel sind ihre Merkmale, die sie vom magyarischen Holzbau und von der walachischen Lehmhütte unterscheiden, während zugleich eine streng beobachtete Regelmäßigkeit in der Anordnung der saubern Gassen und der schmucken Wohnhäuser sie vor jenen vortheilhaft kennzeichnet. Das bedeutsamste Wahrzeichen des sächsischen Dorfes aber bildet die Burg, die sich entweder als sogenanntes „Kirchencastell“ inmitten desselben befindet, oder als Burg im eigentlichsten Sinne, die Giebel und Gassen der Ortschaft hoch überragend, seitwärts von Berg und Fels herniederschaut.

Diese Bauernschlösser, die im Burzenlande keinen einzigen und in den übrigen Bezirken des Sachsenlandes nur den wenigsten Dörfern gänzlich fehlen, bilden eine in ihrer Art einzige und auf ganz eigenthümliche Verhältnisse und Zustände zurückweisende Erscheinung, wie sie demjenigen, der sich für Volks- und Culturgeschichte

Honigberger Castell.
Nach der Natur aufgenommen.

interessirt, nicht so leicht sonstirgend begegnen dürfte und von der wir den Lesern der Gartenlaube im Nachfolgenden Einiges zur Anschauung vorführen wollen. Wir wollen zunächst bei den Castellen verweilen und dann in die Höhe zu den Burgen hinaufsteigen.

Die Ersteren liegen, wie schon oben bemerkt, regelmäßig auf einem freien Raume in der Mitte des Dorfes und bilden sozusagen den festen Kern, um welchen die übrigen Bestandtheile desselben sich lagern. Sie bestehen der Hauptsache nach aus einem bald einfachen, bald doppelten Mauerringe, welcher in regelmäßigen Abständen von vorspringenden Thürmen flankirt wird. Im Innern des Ringes befindet sich die Kirche, deren meist sehr massiver und starker Thurm entweder ein mit dieser verbundenes Ganzes bildet, oder, von ihr getrennt, ebenfalls in den Gürtel der Vertheidigungsmauern miteinbezogen ist. Thürme und Mauern sind mit zahlreichen Schießscharten und Wurflöchern, versehen, oft von Zinnen gekrönt, und das Ganze umfaßt ein mehr oder weniger breiter, ausgemauerter Graben. – Treten wir in das Innere des Burgringes ein, so zeigen sich uns zwar keine gothischen Erker und Bogenfenster, keine Eingänge zu geheimnißvollen Verließen und verödeten Prachtgemächern schauen uns an, um uns mit dem Zauberreiz alter Ritterromantik zu umspinnen; aber dafür überkommt uns eine gar eigene, wohlthuende Befriedigung. Was wir – etwa die Schweiz und das alte Ditmarsen ausgenommen – in den Culturländern des mittelalterlichen Europa vergebens suchen, das weht uns hier aus diesen Burgringen in einem wenig gekannten Winkel der Karpathen entgegen – der Geist eines freien, selbstständigen und, wenn wir wollen, heldenhaften Bauernthums. Aus diesen Mauern redet die alte, musterhafte, durch und durch demokratische Verfassung des siebenbürgischen deutschen Volksstammes, aus ihnen reden seine Schicksale, spricht seine Geschichte. Hier standen sie noch vor kaum zwei Jahrhunderten, die wackern sächsischen Bauersmänner, Weib und Kind vor dem Grimme wild andringender Horden beschirmend, oder ihr kostbarstes Gut, ihre bürgerliche Freiheit, gegen den Uebermuth eigener Landesherren vertheidigend, während draußen der Feind ihre Saaten verwüstete und ihre Höfe und Wohnhäuser vor ihren Augen in Asche sanken. … Diese Betrachtungen und Bilder sind es, die sich dem Beschauer beim Eintritt in die Castelle aufdrängen.

Wenn wir durch das dunkle, niedrige Thorgewökbe an dessen Eingang wir zwischen dicken Mauerbögen über uns noch die verrosteten Eisenspitzen des Fallgitters erblicken, in’s Innere der Feste gelangt sind, so stellt sich uns dasselbe als ein einfacher, ringförmig umlaufender Hofraum dar, dessen inneren Umkreis die Kirchenwände begrenzen, während die äußere Umrandung durch das hohe Umfassungsgemäuer gebildet wird. An dem letzteren bemerken wir eine Menge dicht aneinander gedrängter, bisweilen in mehreren Stockwerken übereinander hinlaufender Kammern, Anbaue, welche voreinst in den Zeiten der Noth beim Hineinflüchten der Dorfbewohnerschaft den Familien zum Aufenthalte dienten, jetzt aber die harmlose Bestimmung haben, die Fruchtvorräthe der Bauern in ihrem feuersicheren Verschlüsse aufzubewahren. Auch das Rathhaus der Gemeinde befindet sich fast jedesmal innerhalb des Schloßringes. Steigen wir in einen der Thürme hinauf, so gelangen wir aus demselben in die innere Umfassungsmauer, – ich sage in die Mauer, denn diese ist so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_476.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)