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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Tschin-tschin ist ein Chinese, dem ich schon manches Mal im Westende begegnet war. Er verkauft dort für irgend einen frommen Verein Tractätchen und Liederbücher und zählt zu den stereotypen Straßenfiguren. Ya-hi ist sein Herbergsvater, bei dem er für einen Schilling täglich Wohnung und Kost erhält. Uebrigens scheint er nicht sehr mittheilsamer Natur zu sein, denn ein grinsendes Lächeln ist Alles, womit er Mutter Abdallah’s Aufruf beantwortet.

„Der alte Mann,“ erzählt uns diese redselige Dame weiter, „wohnt nun hier schon seine zwanzig Jahre und sieht heute noch genau so aus wie damals, als er hier einzog. Und was er heute thut, das hat er die ganze Zeit daher gethan und hat immer ein paar Landsleute zu Kostgängern gehabt. Er versteht das Opium herzustellen, ganz wie sie’s haben wollen, und ich hab’s erst von ihm gelernt, bilde mir aber nicht ein, es schon so gut zu verstehen, wie er. Aus ganz London kommen sie herbei, um bei Ya-hi Opium zu rauchen; manche sind Straßenkehrer, Andere sind in Theeläden angestellt, der macht den Höker, jener bettelt, Alle aber hungern sie lieber, als daß sie das Opium entbehren, und wissen, daß sie nirgends so gutes Opium erhalten, wie beim alten Ya-hi. Nicht, daß seine Qualität eine bessere wäre, nein, meine Heeren, darin liegt’s nicht, wohl aber in der Zubereitung,, und die hält er geheim für sich. Der Becher da, mit dem Licht in der Mitte, enthält das Opium, das dicke Zeug, sehen Sie, gleicht fast dem Theriak. Sie nehmen’s dann mit einer Nadel heraus, rollen’s zu einer kleinen Kugel, so groß wie eine Perle, zusammen und rauchen es, bis nichts mehr davon übrig ist. Erzähle einmal den Herren, Jack, wie viel Du täglich rauchst. Sie nennen ihn, müssen Sie wissen, Tschau-tschi John Potter, weil er getauft ist; aber’s ist nicht ganz richtig mit ihm da oben im Kopf, und seine eigenen Landsleute verstehen ihn manchmal nicht.“

Tschau-tschi ist zuthunlicher Art; er legt mir seine beiden Hände auf das Knie und biegt sein gräulich lachendes schwarzes Gesicht dicht an meine Nase, daß mir förmlich unheimlich zu Muthe wird. „Tschau-tschi raucht so viel wie er kriegt,“ versichert er feierlich, „manchmal Tag und Nacht hindurch, wenn das Christenvolk gut ist mit dem armen Tschau-tschi.“

Nachdem Ya-hi uns mit einem stillen Nicken bewillkommnet hatte, richtete er auch nicht den Kopf wieder in die Höhe von seinem Lager. Auf dem Bett zusammengekrümmt, nur in Hemd und Hosen, die unbeschuhten Füße untergeschlagen, sah er wie ein seltsam aufgezäumter Vogel aus und kehrte sich nur dann und wann mit einer halben Wendung dem neben ihm stehenden Lichte zu, sobald er sich eine neue Pfeife anbrannte. Außer, wenn man uns Antwort gab auf diese oder jene Frage, war es allmählich todtenstill im Gemach geworden. Ab und zu versuchte zwar Tschau-tschi eine originelle Bemerkung, allein in der Regel hatte Niemand Acht darauf, – Alles war vom Opiumrausche bestrickt, und dieser pflegt nicht laut und lärmend, nicht streit- und zanksüchtig zu sein, sondern intensiv, betäubend und absorbirend zu wirken.

Seit dem hier geschilderten Abend bin ich nach und nach noch vier Male bei Ya-hi gewesen und immer habe ich seine Ruhe und Ordnung rühmen hören, immer ihn aber auch in dem gleichen somnambulen Zustande und sein Etablissement vom nämlichen Opiumqualm und Opiumdunst erfüllt gefunden. Seine eingesunkenen Augen, die hohlen Wangen, die pergamentartige, leichenhafte Haut, seine Todtenblässe lassen ihn wie eine häßliche, längst vergessene Mumie erscheinen, während seine Regungslosigkeit und die erhabene Gleichgültigkeit, mit der er weiter schmaucht, mag um ihn sein, wer da will, au einen Automaten erinnern. Wie er seinen kleinen Haushalt versorgen, wie er sich gegen Betrug und Uebervortheilung schützen, wie er seine Einnahmen und Ausgaben regeln kann, welche Macht er über seine Kunden und deren Opiumverbrauch besitzt, – das sind Geheimnisse, die ich nicht zu ergründen vermochte. Und doch stimmen Frau Abdallah, unser Begleiter von der Polizei, der indische Matrose, der Lascare, welcher uns einließ, darin überein, daß Ya-hi ein vortrefflicher Haushalter, ein geriebener Kaufmann und, nach seinem Schlage, ein respektabler Wirth ist. Den ganzen Tag auf dem Rücken liegen und mit geschlossenen Augen Opium rauchen, nach Mitternacht aber und bis zum lichten Tage Anekdoten und phantastische Lieder vortragen, wie sie das krankhaft aufgeregte Gehirn gebiert, darauf auf den Markt gehen und Fische und Reis kaufen – wahrhaftig, für einen Achtziger ist das kein kleines Stück Arbeit! Ya-hi scheint das Alles nicht anzufechten, denn er sieht noch genau so aus, wie da ich ihn zum ersten Male besuchte. Alle anderen Opiumraucher seines Locals dagegen sind junge Männer, wenn gleich das Laster, welchem sie fröhnen, ihren Gesichtern längst jede Spur von Jugendfrische genommen hat.

Aber sie sind glücklich, selig in den Stunden, die sie bei Ya-hi verleben. Die entzückendsten Visionen gaukeln ihnen vor den Augen, man erkennt das aus dem wonnigen Lächeln, welches von Zeit zu Zeit um ihre schlaffen Züge spielt. Die Träume, die süßen und feierlichen Weisen, die glanzvollen Feste, die wunderbaren Geschichten und Dramen, die beseligenden Liebesabenteuer, die stattlichen Versammlungen, die üppigen Gelage, wie sie mit den bläulichen Rauchwirbeln dieses elenden Loches aufsteigen, – wer wäre im Stande, das Alles in Worte zu fassen? Bände auf Bände würden dazu nicht hinreichen. Freilich, wer einmal in die Fesseln des Opiums gerathen, der ist für das Leben und seine Thätigkeit unrettbar verloren, er ist ein unheilbarer Kranker, welcher in ein frühes Grab taumelt, denn Ya-hi’s Beispiel bildet nicht die Regel, sondern eine merkwürdige, seltene Ausnahme. Der Opiumraucher gleicht jenem Träumer in einer von Bulwer’s schönsten Novellen; der Tag gilt ihm nichts, nur die Nacht, und er wähnt sich im Himmel, wenn er die paar Pence, und wären sie vielleicht erst auf der Straße erbettelt, besitzt, mit denen er im berauschenden Lethestrome versinken kann. Wenn berühmte englische Dichter und Denker, wie Coleridge und De Quincey, vergeblich gekämpft haben, sich von dem Opiumdämon zu befreien, der sie besessen hatte, – wie kann man alsdann sich noch verwundern, wenn Ya-hi und seine armen Chinesen, Malaien und Neger, deren Existenz sich ja blos zwischen einem sehr wirklichen Elend und einer geträumten Glückseligkeit theilt, den Bann nicht abzuschütteln vermögen, der sie gefeit, hat? Leider hat nur ihr Beispiel auch die niederen Classen Englands und Schottlands angesteckt; unter Frauen wie Männern scheint hier der Opiumgenuß immer weiter um sich zu greifen. In den Droguerieläden Edinburgh’s kann man jeden Nachmittag eine Reihe eigenthümlicher kleiner Päckchen bereit gelegt sehen; es sind dies Opiumportionen, die sich Arbeiter und Arbeiterin holen, wenn sie Abends nach vollbrachtem Tagewerk nach Hause gehen. So scheint das schreiende Unrecht, dessen sich England schuldig machte, als es mit den Waffen in der Hand China sein ostindisches Opium aufzwang, am eigenen Heerde seine gerechte, doch furchtbare Buße zu finden!




Die deutschen Bauernburgen in Siebenbürgen.

Ein deutsch-demokratisches Volksbild.

Wenn man aus der walachischen Tiefebene nordwärts aufsteigend die Kette der transsylvanischen Alpen bei Kronstadt durchwandert, so kommt man in das sogenannte Burzenland, einen Theil von demjenigen Gebietscomplex Siebenbürgens, den man den „Königsboden“ oder das „Sachsenland“ nennt. Diese Landschaft, theils aus Ebene, theils aus Gebirge bestehend und einen Flächenraum von etwa zweiunddreißig Geviertmeilen umfassend, bildet einen der schönsten Districte von Siebenbürgen und zeichnet sich zugleich vor vielen anderen Theilen dieses Landes durch die jahrhundertalte Cultur seiner Bewohner aus. Wie ein wohlgepflegter, reizender Garten öffnet sich das weite, ringsum von einem Gürtel prächtig geformter Gebirge und Berge umrahmte Thalbecken, dessen Anblick den Beschauer namentlich dann überrascht, wenn er aus den eintönigen, culturarmen Flächen der benachbarten „wilden Walachei“ herübergestiegen ist. Vor Allem fallen ihm die dem Blicke ringsum begegnenden Ortschaften auf – nicht Städte – denn weit und breit im ganzen Gebiet giebt es nur die einzige zwischen Bergen versteckte Stadt Kronstadt – sondern Dörfer, und zwar Dörfer, welche von einem Völkchen

deutschen Stammes, einem Theile der siebenbürgischen Sachsen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_475.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)