Seite:Die Gartenlaube (1869) 471.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

im Kampf gegen die Indianer eine so schreckliche Niederlage erlitten, daß von seinen vierzehnhundert Mann und achtzig Officieren neunhundertfünfundfünfzig todt oder verwundet lagen und ganz Hamilton-County der Rache der Rothhäute offen stand. Da war wieder der deutsche David Ziegler der Retter; als Commandant des Forts Washington stellte abermals er allein Muth und Vertrauen in der Bürgerschaft Cincinnatis wieder her.

Desto unwürdiger betrugen sich die einheimischen Officiere. Der Natives-Neid, unter welchem vom ersten Befreiungskriege an bis zum letzten Bürgerkriege stets die durch ihre Kriegstüchtigkeit am meisten hervorragenden Deutschen auch am meisten zu leiden hatten, arbeitete mit geheimen und gemeinen Verleumdungen gegen Ziegler so lange, bis diesen das häßliche Treiben anekelte und er nicht bloß sein Commando von Fort Washington freiwillig niederlegte, sondern ganz aus der Armee austrat.

Gerade diese Mißhandlung ihres Lieblings bestimmte aber die dankbaren Männer von Cincinnati, sobald 1802 ihre Ansiedelung zur „Town“ erhoben war, David Ziegler zu ihrem ersten Mayor oder Präsidenten zu wählen. So steht an der Spitze der Geschichte von Cincinnati und wenn alle Natives sich darüber auf den Kopf stellen und in den Gräbern umdrehen – unverlöschbar ein Deutscher.

Als Bürger betrieb Ziegler eine Specereihandlung: der alte Haudegen sollte Düten abwiegen und „Geld machen“! Das Eine gefiel ihm so wenig wie das Andere, und nach wenigen Jahren gab er Beides auf. Seine öffentliche Anzeige darüber kennzeichnet trefflich den Mann; sie lautete:

„David Ziegler zeigt hiermit an, daß er seinen Vorrath von Waaren verkaufen und seinen Laden an einen tüchtigen Kerl vermiethen will, der dann so viel Geld machen kann wie möglich. Der hauptsächlichste Grund, warum ich mein Geschäft aufgebe, liegt in der Seltenheit des Geldes und der Verschämtheit, welche die Leute gegen das Bezahlen ihrer Schulden hegen. Denen, die mich nicht heimsuchten, um Waaren auf Pump zu nehmen, sage ich meinen Dank; den Delinquenten in meinem Schuldbuch wird der Squire bald seine Complimente abstatten.“

Später bekleidete Ziegler das städtische Amt eines Hafen-Collectors von Cincinnati und das Staatsamt eines General-Adjutanten der Miliz von Ohio, und als er in diesen Würden 1811, dreiundsechszig Jahre alt, starb, war sein Leichenbegängniß ein so großartiges, wie es der Mann verdiente, welcher zwölf Jahre lang auf manchem Schlachtfeld gekämpft und sein Blut für die Sache der Freiheit vergossen hatte.

Der originellsten deutschen Erscheinung, und einer schauerlich romantischen, begegnen wir in Ludwig Wetzel, dem „Indianerjäger“. In jener Zeit des erbittertsten Kampfes zwischen Ansiedlern und Röthhäuten konnte wohl ein Mensch zu dem Entschluß kommen, die Vertilgung von so viel Indianern, als ihm möglich, zu seinem furchtbaren Lebensberuf zu machen. So begann denn seine „Jagd auf Indianer“, die ihn in kurzer Zeit zum Abgott der Ansiedler erhob und zum Teufel der Rothhäute. Fortwährend in Wald und Feld und Gefahr lebend, würde er nicht bloß von seinem hie und da auch ihn hetzenden Jagdwild, sondern selbst von der Regierung als Feind behandelt, weil er in seinem Jagdeifer sich um keinen Friedensvertrag kümmerte, den diese mit den Indianern abgeschlossen hatte. Als General Harmar nach Fort Washington kam, war sein erster Erlaß eine Proclamation mit obligatem Steckbrief, welche eine ansehnliche Belohnung für die Einlieferung des Indianerjägers versprach. Kurz vorher aus Fort Harmar entsprungen, wurde er auf einer nahen Insel des Muskingum wieder erwischt und nun in ein finstres Loch an Ketten gelegt. Endlich gestattete ihm der General, auf sein dringendes Bitten, einen Spaziergang unter Bedeckung am Ufer des Flusses. Kaum im Freien, geberdete sich Wetzel wie ein wildes Füllen, das aus dem Stall gebrochen ist. Erst lief er einige Schritte weit, als wolle er entfliehen, kehrte jedoch schnell zur Wache zurück. Nachdem er dies mehrmals wiederholt und jedesmal eine größere Strecke zurückgelegt hatte, kehrte er nicht wieder, sondern verschwand im Dickicht des nahen Waldes, ehe die Mannschaft mit ihrem Staunen fertig war.

Wiederum eingefangen, saß er in Fort Washington, als eben die Kunde von der Erstürmung der Bastille in Paris bis in diese Urwälder drang. Sofort erkannten es die Ansiedler für ihre Pflicht, ein ähnliches Beispiel zu statuiren: von allen Seiten zogen sie heran, um zur Befreiung ihres Ludwig Wetzel Fort Washington zu stürmen. Der Schrecken wirkte; um Blutvergießen zu vermeiden, setzte man ihn gegen Bürgschaft in Freiheit.

Wetzel zog nun, um aus dem Bereich des ihm verhaßten Generals Harmar zu kommen, nach dem spanischen Gebiete und machte sich auch in Natchez durch den Schrecken, welchen er den Indianern einflößte, bald zum Liebling aller Ansiedler. Da fiel er scheußlicher Tücke zum Opfer. Er, der weder lesen noch schreiben konnte und auf das Geld keinen Werth legte, wurde der Falschmünzerei angeklagt, zu lebenslänglicher Haft verurtheilt und in einen feuchten Kerker in New-Orleans geworfen. Erst nach fünfthalb Jahren gelang seine Befreiung mit Einverständniß des Königl. Gouverneurs und durch folgende List. Wetzel mußte plötzlich erkranken und sterben. Sein Körper wurde in einen Sarg gelegt und seinen Freunden zur Beerdigung übergeben, die ihn feierlich in einer offenen Gruft bestatteten. Am Abend sprang Wetzel aus dem Sarg in die Gruft und aus dieser in die Freiheit. Er lebte nun in Louisiana, bis dies von der Union in Besitz genommen wurde; dann zog nach Texas, wo er – von der langen schweren Haft denn doch gebrochen – bald darauf starb. An den Ufern des Brazos in der Wildniß des rauschenden Waldes ruht die Asche des kühnen deutschen Indianerjägers.

Ueberrascht hat mich „Der deutsche Pionier“ durch die Ueberschrift: „Sagen-Geschichte einer deutschen Auswanderungs-Gesellschaft.“ Was schildert er darin? Die Auswanderungen der dreißiger Jahre, als „der Duden (ein in Missouri lebender Amerikaner) den Leuten die Köpfe verrückte“ durch die Jagd-Romantik, mit welcher er den Westen Nordamerikas ausschmückte. Damals sah man viele Auswanderer in nagelneuem Jägercostüm und mit der Doppelbüchse auf der Schulter zu Schiffe steigen, als sollte die hohe Jagd drüben gleich an der Küste losgehen. Gleich darauf erließ der Hofgerichts-Advocat und Rechtsanwalt Paul Follenius zu Gießen seinen berühmten Aufruf zur Gründung einer neuen deutschen Heimath in Amerika, in Folge dessen schon 1834 die ersten Schiffe mit organisirten Auswanderungsgesellschaften von Bremen ausliefen. Wir kommen auf diesen interessanten Gegenstand wohl später einmal zurück. Jene ersten Schiffe wecken aber persönliche Erinnerungen in mir, die mit jenem Pionierleben drüben eng zusammenhängen.

Also „Sagen-Geschichte“ ist bereits die Auswanderung der dreißiger Jahre! Und wahrlich, mir schwebt das Alles vor, wie eine Sage, die aber tief im Herzen sitzt. Zu jenen Auswanderern von 1834 gehörte auch ein starker Zug aus Coburg; selbst eine Anzahl Gymnasiasten hatten sich ihm angeschlossen. Unter letztern waren einige meiner liebsten Freunde. Es stand fest, daß ich nachkommen solle, sobald ich die Ueberfahrtskosten erschwungen hätte. Schon im nächsten Winter erhielt ich als Student in Jena die briefliche Nachricht, daß die Eltern meines Freundes K. aus C. auf dessen Bitten neben ihrer Farm für mich elf Acker Land gekauft und auf meinen Namen hätten eintragen lassen. Elf Acker Land und lauter Urwald! Das Gefühl dieses Besitzes war zu prächtig. Ich hatte just keinen Stecken Holz, um den Ofen meines Stübchens zu erwärmen, aber drüben ragten meine Bäume zu Hunderten im Urwald empor! Ein toller Trost – und doch erwärmte er das glückliche Studentenblut. – Aus Ueberfahrtskosten und Auswanderung ward jedoch nichts, – ich „blieb im Lande und nährte mich redlich.“ Von den ausgewanderten Gymnasiasten lebt nur noch einer.

Daß ich meine elf Acker Urwald im Stiche ließ, bringt mich nun um die Ehre, Mitglied des deutschen Pioniervereins von Cincinnati zu werden, denn der betreffende Constitutionsparagraph läßt nur „eingewanderte Deutsche, welche fünfundzwanzig Jahre in Cincinnati oder Umgegend gewohnt“, zu. Das aber konnte man mir nicht verwehren, zur Feier jener seligen Sagenzeit meiner Jugend und als ehemaliger Urwaldbesitzer das Jahresfest des Vereins am 26. Mai 1869 im Geiste recht freudig mit zu begehen!

Friedr. Hofmann.



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_471.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)