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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Die Frau Apollonia Gronauer, eine Frankfurter Geschlechterin; dero Herr Bruder ist Reichshofrath in Wien und mein hochansehnlicher Gönner und Lehnsherr in Goschenwald.“

„Alsdann,“ fiel Wilderich ein, „bin ich überzeugt, daß Eure Gestrengen Alles thun werden, was die ehrwürdige Mutter von Ihnen für die junge Dame erwartet … und unter dem, was sie erwartet, möchte auch gehören, daß die Demoiselle nicht mit neugierigen und lästigen Forschungen nach ihrer Herkunft und ihren Verhältnissen belästigt und geplagt werde … weshalb es auch wohl für uns Beide am angemessensten ist, dieser Unterhaltung über das junge Mädchen ein Ende zu machen. Uebrigens werden der Herr Schösser, wie ich besorge, demnächst eine lästigere Einquartierung bekommen, als ein junges Klosterfräulein ist, und ich ersuche Sie, Ihre Gedanken vor der Hand darauf zu wenden. Es ist möglich, daß ich mit einer kleinen Truppe zurückkehre, die Ihnen als Schutzwache für Ihr Haus von Nutzen werden dürfte.“

„Eine Truppe – eine Schutzwache?“ fiel der Schösser erschrocken ein.

„Ja, alter Herr, die Freude, einmal wieder Pulver zu riechen, dürfte Ihnen blühen, bevor die Zeit, seit Sie mit Ihrem wackern Contingent zum letzten Male in’s Feld rückten, um vierundzwanzig Stunden länger ist –“

„Oho, glauben Sie denn wirklich mir altem erfahrenem Manne aufbinden zu können, daß die Franzosen geschlagen würden, und daß Ihr Förster und Holzknechte und was Ihr an Gesindel zusammengetrieben habt …“

Wilderich lachte kurz und trocken auf.

„Gestrenger Herr,“ sagte er, „ich habe nicht Zeit, darüber mit Euch zu streiten. Sorgt nur für Unterkunft und Lebensmittel in Eurem Castell hier, und verpflegt mir meine Leute, haltet die fremde Dame, die Eurer Obhut anbefohlen, wohl im Auge, und – das Uebrige wird Euch die Zeit lehren!“

Damit ging er davon. Die kurze Unterhaltung mit dem gestrengen Herrn hatte ihm genügt, um ihm Zuversicht und innere Ruhe zu geben, und die beste Bestätigung dessen, was ihm sein innerstes Seelenbedürfniß, an Benedicte zu glauben, zugerufen.

Wenn eine so vornehme, so hochstehende Dame, wie die ehrwürdige Aebtissin von Oberzell, das junge Mädchen so warm empfahl, wenn sie sie im Hause ihres eigenen Bruders unterbrachte – konnte dann ein Makel, eine Schuld, ein Verbrechen auf diesem selben jungen Mädchen haften?

Es war undenkbar, es war unmöglich!




5.

Der Schösser stapfte unterdessen unwirsch davon, er ging Frau Afra berichten, daß dieser heillose Mensch, der Förster Buchrodt, ihm angekündigt habe, Haus Goschenwald werde eine Einquartierung erhalten, als er plötzlich stehen blieb und wie schreckergriffen beide Hände von sich streckte.

„Alle Teufel!“ sagte er.

Frau Afra, an der andern Seite des Hofes auf einem umgestülpten Eimer sitzend, um zu warten, bis es dem Gestrengen gefalle zum Essen zu kommen, stieß einen leisen Schrei aus … die Mägde um sie herum riefen auseinanderfahrend: „Da hören Sie’s selber!“

Frau Afra hörte es selber und der gestrenge Herr hörte es auch. Er hörte Kanonenschüsse – unverkennbare Geschützesschläge … eins, zwei, drei – ein halbes Dutzend rasch aufeinander folgend – dann eine Pause – dann auf’s Neue!

Alle Kriegserfahrung des Ritterschaftlichen half da nichts – es war Kanonendonner – in der Ferne mußte ein Gefecht stattfinden, und daß es stattfand, bewies, daß die Franzosen geschlagen seien, daß sie auf ihrer Rückzugslinie durch den Spessart angegriffen wurden.

Und so war es in der That. Die Führer des Aufstandes hatten ihre Leute so lange vom Angriff zurückgehalten, als es möglich war. Ein zu früher Ausbruch der Erhebung hätte die Feinde gewarnt. Sie hätten andere Wege eingeschlagen, wenn sie zu früh erfahren, wie gefährlich und verhängnißvoll ihnen die Waldpässe des Spessart werden sollten.

Denn die Schlacht bei Würzburg war geschlagen, ein zweiter entschiedener Sieg der Kaiserlichen. Die Sambre- und Maas-Armee war halb aufgelöst; in bunt und wild gemischten Massen fluthete sie in die Defiléen hinein, in denen sie keine Gefahr ahnte; hatte sie doch bei ihrem Vorrücken die Entwaffnung des Landes vorgenommen, hatte doch Jourdan’s Proclamation Todesstrafe auf den Besitz von Waffen gesetzt.[1]

Und trotz dieser Drohungen stand das Land jetzt in Waffen, wenn diese Waffen auch freilich gar oft nur die Sense oder die Pike war, in die jede Heugabel, jede Stange sich rasch umwandelt, wenn der Haß eines durch Mißhandlung empörten Volkes losbricht, oder das Holzfällerbeil, das ein etwas längerer Stiel zur besten Hellebarde und so gefährlich wie die schneidigste Streitaxt macht. Und der Feind war ja geworfen – er mochte jetzt mit Todtschießen, Niederbrennen drohen – Jedermanns Hand, jede nervige Faust in den Bergen war wider ihn und jede krampfte sich um ein rächendes Eisen.

Die Schlacht bei Würzburg hatte am 3. September stattgefunden. Die Truppen der Republik, geführt von ihren besten Generalen, dem kühnen, glänzenden und so früh gefallenen Championnet, Bernadotte, Lefèbvre, Grenier, Ney, hatten sich tapfer geschlagen. Der mörderische Kampf hatte lange hin und her gewogt von sieben Uhr an, dem Augenblick, wo der dichte Nebel des Herbstmorgens gefallen, bis um drei Uhr Nachmittags, wo ein von Wartensleben ausgeführtes Cavallerie-Manöver den Ausschlag zu geben begonnen. Vierundzwanzig Schwadronen Harnischreiter hatte er vorgeführt; sie marschirten im verdoppelten Feuer der französischen Artillerie in größter Ruhe auf; vierzehn Schwadronen leichter Reiterei wurden auf ihren rechten Flügel en échelon gesetzt und im Verein mit acht frischen Grenadierbataillonen, die sich an ihren linken Flügel schlossen, führten sie den entscheidenden Schlag.

Jourdan befahl gegen vier Uhr den Rückzug. Die französische Armee vollzog diesen auf zwei Straßen. Ihr Gros bewegte sich nordwärts über Hammelburg, Brückenau, Schlüchtern, um die Lahn zu erreichen. Ein andrer Theil des geschlagenen Heeres warf sich westwärts und folgte der Straße nach Frankfurt durch den Spessart, um sich auf die letztere Stadt zurückzuziehen und dann mit dem Blokade-Corps von Mainz zu vereinigen, das etwa zwölftausend Mann stark unter Marceau’s Befehlen stand.

Die Heerstraße von Würzburg nach Frankfurt lief damals in nordwestlicher Richtung über Heidenfeld, wo sie den Main überschritt, durch stille und wenig bevölkerte Waldthäler nach Aschaffenburg.

Eine zweite Straße folgte von Würzburg bis Gemünden und Lohr dem Lauf des Maines, um von Lohr stark westlich auf Aschaffenburg zuzulaufen. Es ist die Linie, welche jetzt, nur ein wenig mehr nördlich gelegt, die Eisenbahn verfolgt.

Der Erzherzog Karl detaschirte einige Corps zur Verfolgung der nordwärts abziehenden Feinde, die Hauptmasse seiner Truppen dirigirte er westwärts, dem untern Main zu, um die Besatzung von Mainz an sich zu ziehen und sich dann südwärts auf Moreau zu werfen. Die Infanterie sollte über Lengfurt und Heidenfeld und Rohrbrunn der Hauptstraße folgen, die Cavallerie über Bischofsheim und Miltenberg rücken, beide nachdem sie am 4. bei Würzburg gerastet.

Die Verfolgung während dieses Rasttages hatten aber die insurgirten Bauern übernommen. Einzelne Angriffe des empörten Landvolks hatten die republikanische Armee bereits auf der ganzen Rückzugslinie von Amberg her beunruhigt; schlimmer war es geworden am Abend und in der Nacht nach der Schlacht vom 3. September, auf dem Wege bis zum Mainübergange bei Heidenfeld; als die Franzosen im ersten Morgengrauen des 4. den Spessart betraten, fanden sie eine kleine Vendée. Hier wurde der Marsch ein fortwährendes Kämpfen. Die Bauern griffen an zahlreichen Stellen zugleich die wie eine lange Schlange viele Stunden weit sich hinziehenden Schaaren an. Von den Bergseiten herab, hinter Eichen- und Buchenstämmen her knatterte das Feuer in die Bataillone und löste die letzte Ordnung, die sie zusammengehalten, auf; gegen die verwirrten Massen gingen ganze Haufen Bauern mit geschwungenen Piken und Aexten vor; vor dem wuchtigen Angriff

  1. In seiner Proclamation vom 11. Messidor im vierten Jahre der französischen Republik hieß es: „Die Bewohner der Dörfer, Flecken, Städte, welche sich bewaffnet vereinigen würden, werden mit Gewalt zur Niederlegung ihrer Waffen gezwungen, sodann erschossen und ihre Häuser verbrannt werden. Jeder Bewohner, welcher im Lande gefunden wird und ohne Erlaubniß eines Generals oder Oberofficiers Waffen trägt, soll arretirt, verurtheilt und auf der Stelle erschossen werden.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_466.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)