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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Ansehen und unumschränkter, schändlich gemißbrauchter Macht emporzusteigen. … Noch einmal hoffte der Einsame in Südamerika, den seine glühende Liebe für die Tochter jenes ränkevollen Weibes bis in den Tod begleitet hat, auf Glück – es war da, wo Graf Sturm heimging. Herr von Eschebach wollte nach Deutschland zurückkehren – aber da stand bereits Seine Excellenz der allmächtige Minister wieder, streckte seine Hand aus und führte die schöne Wittwe heim.“

„Aha – da kommt des Pudels Kern!“ rief der Minister mit hohlem, klanglosen Auflachen. „Mein Glücksstern hat den scheelen Neid, die im Finstern schleichende Bosheit gegen mich herausgefordert!“

„Excellenz, sagen Sie lieber, die Entrüstung darüber, daß das Böse so viele Jahre lang triumphiren durfte!“ sagte der Portugiese mit starkem Nachdruck und sprühenden Augen. „Seit jenem Augenblick hat Herr von Eschebach Sie allerdings verfolgt, wie der Jäger das einmal aufgespürte Wild. Er hatte über Millionen zu gebieten – sie haben ihm tausend Wege erschlossen, Sie in Ihrem geheimsten Thun und Treiben zu belauschen – er hat Ihre intimsten Beziehungen in Paris und in den Bädern den Spielhöllen – gekannt, und wenige Tage vor seinem Tode bin auch ich zur Kenntniß aller dieser Einzelnheiten gekommen. Doch das sind in der That Ihre Privatangelegenheiten, und sie gehören nicht hierher. … Dagegen ist es mit nichten Ihre Privatsache, wenn Sie das Besitztum Ihrer Mündel veruntreuen, wenn Sie die ihr gehörigen Juwelen für achtzigtausend Thaler verkaufen und einen werthlosen, imitirten Schmuck dafür eintauschen. … Es ist ferner ebensowenig Ihre Privatsache allein, daß Sie hier auf unrechtmäßig erworbenem Boden stehen – Sie haben das weiße Schloß nie gekauft – es war der Preis für Ihren Verrath am Fürstenhause!“ …

„Teufel!“ schrie der Minister auf. „Sie plündern mich bis auf’s nackte Leben!“ Er fuhr mit beiden Händen nach dem Kopfe. „Ha, ha, ha! Und lebe ich denn wirklich noch? … Ist es wahr, daß der erste, beste Glücksritter daherkommen und mir vor Eurer Durchlaucht Augen die nichtswürdigsten Verleumdungen ungestraft in das Gesicht schleudern darf?“

„Widerlegen Sie diese Verleumdungen, Baron Fleury!“ sagte der Fürst mit scheinbar äußerer Ruhe.

„Euer Durchlaucht verlangen in der That von mir, daß ich mich herbeilasse, die Anklagen dieses Abenteurers zu entkräften? … Es fällt mir nicht ein – ich stoße sie verächtlich mit dem Fuße weg, wie einen Stein, den man mir in den Weg geworfen!“ rief der Minister mit heiserer, aber ziemlich fester Stimme – seine Frechheit und Zuversicht wuchsen wieder; es hatte Etwas wie ein schmerzliches Bedauern in Serenissimus Ton mitgeklungen. „Durchlaucht, ich setze den Fall – ich sage nur – gesetzt, es träfe mich in Wirklichkeit hie und da ein Vorwurf – liegen nicht in der anderen Wagschale so viele Verdienste um das Fürstenhaus, daß ein längst verjährtes Unrecht darüber vergessen werden könnte? … Sollte es nicht schwer in das Gewicht fallen, daß ich den Glanz der Dynastie zu mehren verstanden habe wie keiner meiner Vorgänger? Daß ich wie ein Schild vor ihr stehe und den Steinhagel auffange, den die Schlechtgesinnten, die Demokratie nach den Traditionen Ihres edlen Hauses schleudert? Daß ich dem Zeitgeist nie gestatte, auch nur mit einem Finger an die geheiligten Rechte des Herrschers zu rühren? … Ich bin Euer Durchlaucht getreuester, uneigennützigster Rathgeber in den Beziehungen zu Ihrem Lande, wie in den intimen Angelegenheiten der fürstlichen Familie –“

„Sie sind es nicht mehr,“ unterbrach ihn der Fürst mit schwerer Betonung.

„Durchlaucht –“

Der Fürst wandte ihm den Rücken, trat in die Fensternische und trommelte mit den Fingern heftig auf den Scheiben.

„Bringen Sie mir Gegenbeweise, Baron Fleury!“ rief er in das Zimmer zurück, ohne sich umzuwenden.

„Ich werde nicht verfehlen, Euer Durchlaucht,“ stammelte der Minister, buchstäblich zusammenbrechend. Er griff mit unsicher tappender Hand nach dem Thürschloß und taumelte hinaus in den Corridor.


30.

Am unteren Ende des Ganges erschien in diesem Augenblick Gisela. Die Besorgniß, daß der Fürst doch vielleicht einen anderen Rückweg einschlagen könne, hatte sie endlich die Treppe hinaufgetrieben – sie wollte ihn im Corridor erwarten; denn sie sagte sich mit Recht, daß sie nicht mehr in seine Nähe gelangen würde, wenn er wieder im Tanzsaale, inmitten seiner Gäste sei.

Der Minister brach bei Erblicken seiner Stieftochter in ein höhnisches sichern aus – es war, als gäbe sie ihm die Besinnung zurück.

„Du kommst ja wie gerufen, Goldkind! … Gehe nur hinein, da hinein!“ rief er und zeigte mit dem Daumen über die Schulter nach dem eben verlassenen Salon zurück. – „Liebchen, Du hast mich gehaßt vom Grunde Deines Herzens, mit der ganzen Kraft Deiner störrischen Seele –ich weiß es, und jetzt, wo unsere Wege sich trennen für immer und ewig, kann ich mir die Genugthuung nicht versagen, Dich wissen zu lassen, daß die Antipathie gegenseitig gewesen ist. … Das erbärmliche, eigensinnige Geschöpf, das mir die Gräfin Völdern hinterlassen, war für mich ein Gegenstand des Abscheues – ich habe stets nur mit innerem Widerstreben den kleinen, kranken Körper berührt, den man ,meine Tochter’ nannte. … So – nun sind wir quitt! Und nun gehe da hinein und sprich: ,Mein lieber Papa hat mich à tout prix in’s Kloster stecken wollen, weil ihm nach meinem Erbe gelüstete!’ Ich sage Dir, das wird einen Knalleffect geben, einen Knalleffect“ – er schnippte wie wahnwitzig mit den Fingern in die Luft „Im Uebrigen waren Deine geistreichen Argumente gegen das Klosterleben völlig überflüssig – wir hätten uns den Streit um des Kaisers Bart ersparen können, Gräfin Sturm – ein Anderer hat die fatale Angelegenheit ungleich gelungener zum Auftrag gebracht! … Ha, ha, ha! Ich hatte mir die letzte gräflich Völdern’sche Physiognomie so allerliebst im Nonnenschleier gedacht! … Armensuppen brauchst Du nun auch nicht zu kochen. Du kannst getrost und ungenirt über die Wiesen laufen, wie Du Dir idyllischer Weise gewünscht, und behältst auch ein ganz respectables Stück Himmel über Dir – aber merke Dir wohl: nur den Greinsfelder Himmel, in Arnsberg schüttle Dir nur den Staub von den Füßen, wie Seine Excellenz der Minister binnen wenigen Augenblicken auch thun wird!“

Er stierte vor sich hin, als steige erst jetzt die ganze entsetzliche Zukunft mit ihrer niederschmetternden Wucht vor ihm auf, während Gisela sprachlos vor Schrecken und Abscheu zurückwich und sich an den nächsten Fenstersims anklammerte.

„Ja, ja, Alles fort, Alles fort!“ stieß er heiser hervor. „Die gräflich Völdern’schen Dorfinsassen und ihre Abgaben, und die Wildbraten in den Wäldern und die Karpfen in den Teichen, Alles, Alles wieder hochfürstlich! … Bei Dir verfängt das freilich nicht – gelt, meine Kleine? Du bist zufrieden, wenn sie Dir Milch und Schwarzbrod lassen. … Aber sie, sie! Da liegt sie drunten, die schöne, erhabene, heilige Großmutter, und hält ein Crucifix, das sie ihr in die weißen Hände gedrückt haben – ha, ha, ha! Der schönen Helena, die schnurstracks nach dem Blocksberg gefahren ist, ein Crucifix! … Wenn sie aufwachen und das elende Papier sehen könnte! Sie würde es mit den Zähnen zerreißen und den Boden zerstampfen mit ihren Füßen – sie würde – wie ich – nur Eines haben für Alle, für Alle: ihren Fluch!“ …

Er lief an dem jungen Mädchen vorüber, nach der Treppe zu und stieß ein gellendes Hohngelächter aus – es hallte schauerlich von den engen Wänden des Corridors wider und mußte wohl auch schreckhaft in den Salon mit den violetten Plüschvorhängen dringen. Die Thür wurde geöffnet und der Fürst sah heraus.

Der Minister war bereits im Treppenhause verschwunden; Gisela aber lehnte mit schlaff niedergesunkenen Händen, die Augen voll Entsetzen nach dem Fliehenden gerichtet, wie erstarrt an der Wand.

Der Fürst schritt geräuschlos auf sie zu und legte seine Hand leicht auf die Schulter der Zusammenfahrenden. Ein furchtbarer Ernst lag auf seinem schmalen Gesicht – es schien binnen einer halben Stünde um fünfzehn Jahre gealtert zu sein.

„Kommen Sie herein, Gräfin Sturm,“ sagte er freundlich, wenn auch jene zärtliche Güte, mit welcher er sie sonst anzureden pflegte, aus Ton und Antlitz verschwunden waren.


(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_463.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2021)