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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

deutschen Namen auch nur für eine Secunde abzulegen. … Aber ich hatte eine Mission zu erfüllen, welche die größte Vorsicht erheischte. … Ich mußte mit Euer Durchlaucht in unmittelbaren, längeren Verkehr treten, und wußte doch, daß die strenge Handhabung der Etikette am Hofe zu A. einem Bürgerlichen diesen Verkehr nie gestatten würde –“

„Und wie sehr diese chinesische Mauer um die Person unseres allerhöchsten Herrn am Platze ist, beweisen Sie in diesem Augenblick schlagend, mein sehr vortrefflicher Herr Ehrhardt!“ fiel der Minister mit satanischem Hohn ein. „Es würde Ihnen in der That nie gelungen sein, Serenissimus mit diesem Schwindel“ – er zeigte auf das Testament in der Hand des Fürsten – „zu mystificiren, wenn Sie Ihren ,lieben, ehrlichen deutschen Namen’ beibehalten hätten … Durchlaucht,“ wandte er sich achselzuckend an seinen fürstlichen Herrn, „wünscht irgend Einer Ihrer Getreuen die Besitzungen und Einkünfte des fürstlichen Hauses zu vergrößern, so bin ich’s – mein ganzes bisheriges Wirken mag für mich sprechen – aber ich müßte mich selbst mit Blindheit schlagen, ich beginge die schreiendste Unterlassungssünde, wenn ich nicht das erbärmliche Machwerk in Ihren Händen für ein Falsificat erklärte! … Mein Herr Ehrhardt, mein sehr verehrter Herr Demokrat, ich durchschaue Ihre und Ihrer löblichen Partei Absichten nur allzu gut! Mit diesem Testament suchen Sie der Schaar, die den Thron ihres Herrn in unwandelbarer Treue umsteht, der Aristokratie, einen Schlag in das Gesicht zu versetzen – aber hüten Sie sich – ich stehe da und gebe den Schlag zurück!“

Wohl flammte der verhängnißvolle Streifen auf der Stirn des Portugiesen wie ein Feuermaal auf, wohl zuckte es in der geballten Rechten, als wolle sie schmetternd niederfallen – aber Berthold Ehrhardt war nicht mehr jener heißblütige Student, den einst nur der tiefernste, heißgeliebte Bruder in die Schranken der Selbstbeherrschung zurückzuführen vermochte – er war in diesem Moment das erhabene Bild mächtiger Willenskraft und moralischer Stärke – die gehobene Rechte sank, und sein flammender Blick glitt ernst messend an der schmächtigen Gestalt des Ministers nieder.

„Seine Durchlaucht wird im Laufe meiner Mittheilungen erfahren, weshalb ich jedwede Satisfaction Ihrerseits verschmähe,“ sagte er gelassen.

„Unverschämter –“ fuhr der Minister auf.

„Baron Fleury, ich bitte dringend um Mäßigung,“ rief der Fürst und streckte ihm gebietend die Hand entgegen. „Lassen Sie den Mann reden – ich will mich selbst überzeugen, ob wirklich die Umsturzpartei, der Haß – “

„Die sogenannte Umsturzpartei in Euer Durchlaucht Lande hat mit dieser Angelegenheit nichts zu schaffen“ – warf der Portugiese ein – „wenn aber Euer Durchlaucht von Haß sprechen, so kann und darf ich ihn nicht leugnen, meinen tiefen, unauslöschlichen Haß gegen diesen Mann!“ Er zeigte auf den Minister, der abermals verächtlich auflachte. „Ja, ja, lachen Sie!“ fuhr der Portugiese fort. „Dieses Hohngelächter hat mich begleitet, als ich aus dem Vaterlande floh; es hat in meinen Ohren gegellt, wohin ich auch meinen flüchtigen Fuß setzen mochte – im lauten Geräusch der Städte und in der tiefen Stille der Einöden! … Wohl kam ich mit heißen Rachegedanken über das Meer zurück – die glühende Sonne des Südens, aber auch die Mittheilungen eines schwer hintergangenen Mannes hatten sie allmählich zum lodernden Brand angefacht. Das Blatt dort“ – er zeigte nach dem Testament – „sollte auch Zeugniß ablegen gegen den Mann, der meinem armen Bruder sein Kleinod hohnlachend entrissen, der das Maß des Elends über zwei unschuldige Menschen ausgeschüttet hat, weil ihm nach des Urias Weib gelüstete – ich sage es noch einmal, ich bin zurückgekommen, einzig und allein, um zu rächen! … Diese Flamme ist erstickt in meiner Brust, – eine edle Stimme, ein unschuldiges Geschöpf hat mich zu überzeugen gewußt, daß sie unrein sei. … Wenn ich jetzt noch meine Mission consequent durchführe, das heißt mit anderen Worten, wenn ich Sie stürze von dem Gipfel Ihrer absolutistischen Herrlichkeit, so geschieht es einzig, um eine Geißel meines unglücklichen Vaterlandes zu vernichten.

Der Fürst stand wie vom Donner gerührt vor dieser unglaublichen Kühnheit, der Minister aber machte eine tigerartig rasche Bewegung nach der Klingel, als stehe er in seinem Bureau, und draußen vor der Thür die Häscher.

Ein kaltes Lächeln glitt bei diesem Anblick um die Lippen des Portugiesen. Er zog abermals ein Papier, ein kleines, vergilbtes, zerknittertes Blättchen, hervor – es bebte auf und nieder – man sah, die Hand zitterte doch, die einen Beweis nach dem anderen für eine schwere Schuld beibrachte.

„Euer Durchlaucht,“ wandte er sich mit bedeckter Stimme an den fürstlichen Herrn – „in der Nacht, da Prinz Heinrich im Sterben lag, ritt ein Mann nach A., um den Fürsten an das Lager des Verscheidenden behufs einer Versöhnung zu holen. … Greinsfeld lag zwar abseits, aber der Reiter verließ doch die Chaussee nach A. und ritt hinüber nach dem Schlosse, wo ein großer Maskenball abgehalten wurde. Bald darauf trat ein Domino an die Gräfin Völdern heran und drückte ihr diesen Zettel in die Hand – er entfiel später dem Busen der Gräfin, als sie am Bett des Prinzen niederstürzte – Herr von Eschebach hob. ihn auf und nahm ihn in Verwahrung –“

In diesem Augenblick stürzte der Minister, bar aller Fassung, auf den Portugiesen zu und suchte ihm das Papier zu entreißen, allein an diese gigantische Kraft durfte er sich nicht heranwagen – ohne zu wanken, mit einer einzigen Bewegung schleuderte der gewaltige Mann den heimtückischen Angreifer weit von sich und überreichte dem Fürsten den Zettel.

„Prinz Heinrich liegt im Sterben“ – las Serenissimus mit wankender Stimme – „will sich mit dem fürstlichen Haus versöhnen, eilen Sie – sonst Alles verloren – Fleury.“

„Schuft!“ stieß der Fürst hervor und schleuderte dem Minister den Zettel vor die Füße.

Aber noch gab sich der Mann mit der ehernen Stirne nicht verloren. Er war bereits wieder Herr über sich selbst – er hob das Papier auf und überlas es – freilich hatte diese Stimme voll Aufregung etwas Lallendes.

„Wollen Euer Durchlaucht wirklich einen treuen Diener Ihres Hauses auf eine solche elende Denunciation hin verurtheilen?“ fragte er mit der Oberfläche der linken Hand auf das Papier schlagend. „Ich habe den Zettel nicht geschrieben – er ist gefälscht – ich schwöre es – gefälscht –“

„Gefälscht, wie die gräflich Völdern’schen Familiendiamanten, die Ihre Frau Gemahlin trägt?“ fragte der Portugiese ruhig.

Drüben im Nebenzimmer wurde ein Poltern laut – dann hörte man fern eine Thür schmetternd in’s Schloß werfen.

Der schlimmste Zeuge gegen den Minister war sein Gesicht – es war entstellt bis zur Unkenntlichkeit; dennoch wehrte er sich mit der Verzweiflung eines Ertrinkenden.

„Ueberzeugen sich Euer Durchlaucht noch immer nicht, daß Sie es mit einem Ehrlosen zu thun haben?“ stammelte er. „Gehören meine Privat- und Familienverhältnisse, die er mit einer solchen unglaublichen Frechheit zu besudeln sucht, vor dieses Forum?“

Der Fürst wandte sich ab – es mochte ihm unerträglich peinlich sein, in das fieberisch zuckende Antlitz seines langjährigen Günstlings und Beherrschers zu sehen, der, völlig verlassen von Geist, Witz und einer beispiellosen Zuversicht, auf so klägliche Weise nach einem letzten Halt griff.

„Bleiben Sie bei der Sache, Excellenz!“ sagte her Portugiese unerschüttert. „Es fällt mir nicht ein, Ihre Privat- und Familienverhältnisse zu berühren; obwohl ich nicht leugnen kann und darf, daß ich auch auf diesem Gebiet nicht fremd bin.“ –

„Ach, es hat Sie interessirt, die Tiefe meines Portemonnaie und die Länge meiner Wäschzettel kennen zu lernen?“ Der Minister versuchte noch einmal, mit diesen Worten seinen gewohnten hohnvollen sarkastischen Ton anzuschlagen – er klang von den angstbleichen, bebenden Lippen nur um so widerlicher. Der Portugiese ignorirte den beißenden Einwurf vollständig.

„Sie haben in Herrn von Eschebach einen unversöhnlichen Feind gehabt,“ fuhr er gelassen fort. „Ihn hat das begangene Unrecht aus der Heimath fortgetrieben; er ist trotz seiner erworbenen Reichthümer ein armer, unglücklicher, einsamer Mann geblieben und hat auf fremder Erde sterben müssen. Auch an Herrn von Zweiflingen haben sich Verrath und Treubruch schwer gerächt – er ist schmählich untergegangen. … Nur Sie, der das Signal zu jenem abscheulichen Betrug gegeben, der Sie, als getreuer Helfershelfer der Gräfin Völdern, die ersten Knoten des Netzes geschlungen haben, in das die zwei Bethörten gelockt worden sind – Sie haben sich mit beiden Füßen auf Ihr Verbrechen gestellt, um von da aus, Staffel für Staffel, nach Ehren,

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