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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Ich glaube Herr College, wir haben dieses Mal einen tüchtigen Denkzettel empfangen. So eben erhielt ich nämlich einen Brief von dem Ortsvorstande in Rigow, worin mir geschrieben wird, daß der Post-Expedient Krause mit einer ziemlich bedeutenden Summe der dortigen Postcasse durchgegangen ist. Bei der Nachsuchung in seiner Wohnung hat man auch ein Petschaft mit dem Namen Brandt gefunden, welches vorläufig noch dort aufbewahrt wird. Verhält sich wirklich Alles so, woran eigentlich gar nicht zu zweifeln ist, dann ist Trauen doch unschuldig.“

Und Traun war unschuldig. Wahrscheinlich hatte Krause, da er sehr häufig Geldbriefe an Dynker von Brandt expedirt hatte, sich das Petschaft nach den Siegeln stechen lassen oder auch selbst gemacht, und dann die Zeit vom 1. bis 3 August, in welcher der Geldbrief mit dreitausend Thalern an Dynker in Rigow lag, dazu benutzt den Brief zu öffnen. Durch den darüber geschmolzenen Siegellack hatte dann der Briefe vielleicht zufällig dieselbe Schwere erhalten, die er am Aufgabeorte hatte, und es war dadurch jeder Verdacht einer Unterschlagung durch die Post abgelenkt worden.

Was aus Krause geworden, habe ich nie erfahren können. Trauen wieder bei der Gesellschaft in seine unverdienter Weise verlorene Stellung einzuführen, übernahm der alte Brandt. Etwas anderes nahm Trauen nicht an, er wies alle seine glänzenden Anerbietungen, um ihn zur Rückkehr in seine alte Stellung zu bewegen, zurück, und steht jetzt hochgeachtet und angesehen in der Geschäftswelt meiner Vaterstadt als selbstständiger Kaufmann da.

H.




Die Seehunde des deutschen Meers.

Eine Badeerinnerung.

Der wochen-, ja monatelang auf das kleine ostfriesische Eiland Spiekeroog gebannte Curgast pflegt wohl oft und gern dem Treiben der Robben zuzuschauen, die sich dort häufig in den Fluthen der Nordsee herumtummeln. Besonders gut kann man hier zur Ebbezeit diese großen Flossensäugethiere beobachten, während deren sie, meist in Gruppen von sechs bis acht Stück auf der dem Badestrande gegenüber befindlichen Sandbank sich einen Ruheplatz suchen. Die Entfernung zwischen Strand und Sandbank beträgt nur etwa fünf- bis sechshundert Schritt, und so kann man von ersterem aus die dort ruhenden Thiere recht deutlich erkennen.

Sehr amüsant ist es zuzusehen, wenn die großen Burschen an einer steil abfallende Stelle der Platte (wie die durch Steine bewehrte Oberfläche einer Sandbank heißt) landen. Dunkel fast schwarz, entsteigt das Thier der grünen Fluth nachdem es sich vorher einigemale vorsichtig umgesehen; unbeholfen und schwerfällig den dicken Körper vorwärts schiebend, erklimmt es die steile Sandbank und legt sich dann oben behaglich nieder. Nun reckt und streckt es sich im Sonnenschein, häufig die Flossen seines „ersten Versuchs“ von Hinterfüßen auseinander spreizend und den Kopf bald in die Höhe bald niederwärts biegend; oder es rutscht wohl auch auf dem weichen feuchten Sande herum. Ist nur erst Einer gelandet so folgen seinem Beispiele bald andere, größere und kleinere, je nach dem Alter, bis eine ganze Herde beisammen ist, meist sechs bis acht, zuweilen aber auch bis zwanzig Stück. Das Wasser aus dem triefend nassen Körper läuft allmählich ab, die Sonnenstrahlen trocknen das Fell, und so verwandelt sich die anfangs dunkle Farbe des Thieres bald in ein helleres Grau, bis es endlich, und besonders ist dies bei recht alten Robben der Fall, weiß, ja im Sonnenschein fast silberglänzend erscheint.

Als ich zum ersten Mal eine solche Heerde dort erblickte, war ich anfangs im Zweifel, ob es nicht Kühe von der Insel seien, die auch vorzugsweise schwarz und weiß aussehen, bis mich der nähere Augenschein eines Besseren belehrte. Versucht man durch Geräusch oder drohende Bewegungen die Thiere hinwegzuscheuchen, so gelingt dies nicht so leicht – gar zu gern ruhen sie im warmen Sonnenschein auf dem weichen Sande der mühsam erklommenen Platte – sobald jedoch ein Boot heranrudert oder ein Schuß fällt, fliehen sie, anfangs, so lange sie auf ebenem Boden sich fortbewegen, ziemlich langsam vorwärtsrutschend, wie ein Mensch auf Knieen und Ellenbogen zugleich, dann aber sehr behend am steilen Ufer der Sandbank hinabgleitend und rasch untertauchend in der schützenden Fluth.

Erst nach minutenlanger Dauer und meist in ziemlicher Entfernung erscheint dann das Thier wieder an der Oberfläche des Wassers, um Athem zu schöpfen, gewöhnlich jedoch nur, um alsbald von Neuem zu verschwinden.

Bei diesen Manövern kam nur selten eines der schlauen und vorsichtigen Thiere dem von Spaziergängern belebten Strande zu nahe, sie schienen es recht gut zu wissen, daß mancher von diesen eine Flinte trug und eifrig darauf bedacht wart ihnen den Garaus zu machen. Als eifriger Jagdliebhaber wünschte auch ich nichts sehnlicher, als eines der fremdartigen Seeungeheuer zu erlegen, um das Fell als Trophäe mit heimzubringen und dann meine Großthaten den staunenden Jagdfreunden im heimatlichen Gebirge haarklein zu berichten, die ja zumeist nur ein Stückchen Seehundsfell auf den Schulränzchen ihrer Kinder gesehen hatten. Allein fruchtlos war mein Bemühen; so oft ich auch bei beginnender Ebbe mit scharf geladenem Gewehr am Strande auf und nieder wandelte, nie ertappte ich einen Seehund hier, immer lagen sie auf der unerreichbaren Sandbank, oder schwammen in deren Nähe herum.

Glücklicher als ich war ein junger Herr v. K., welcher ganz unverhofft einen jungen, am Strande ruhenden Seehund überraschte und den eilig fliehenden durch einen wohlgezielten Schuß tödtete. Hierdurch angefeuert verdoppelte auch ich meine Bemühungen, und schließlich nicht ohne Erfolg.

In besonders dazu ausgerüsteten Schiffen segeln alljährlich viele Robbenjäger, oder richtiger Robbenschläger, in die öden Regionen des arktische Eismeeres und machen dort, wo schaarenweis die Seehunde auf den Eisfeldern lagern, oft ungeheure Beute. So kehrte während meiner Anwesenheit auf Spiekeroog ein solcher Grönlandfahrer nach viermonatlicher Reise zurück, beladen mit viertausendvierhundert Robben und überdem vier todten und zwei lebenden Eisbären. Viele Spiekerooger Insulaner hatten solche Expeditionen mitgemacht und betrieben auch in den heimathlichen Gewässern der Nordsee eifrig den hier allerdings weit weniger lohnenden Seehundsfang.

Einen vorzüglichen Ruf als geübter Seehundsjäger besaß namentlich Kleyhauer jun., der Capitän der Schaluppe „Bismarck“. Da er während der Saison für gewöhnlich die Badegäste vom Dampfer „Roland“ nach der Insel abholte, außerdem sein Schiff häufig zu Vergnügungstouren in die Nachbarschaft benutzt ward, hielt es schwer, ihn zu einem mehrtägigen Jagdzuge zu bewegen. Endlich siegte wiederholtes Zureden, mehr noch sein eigener Jagdeifer, und bald hatten wir auch in der Person eines jungen Forsteleven aus Oldenburg noch einen Reisegefährten gefunden.

Mein gefälliger Wirth, der Capitän Sanders, gleichfalls ein berühmter Seehundsjäger, gab sich viele Mühe, um uns das „Huxen“ zu lehren, d. h. die Bewegungen der Seehunde nachzuahmen um dieselben anzulocken und zu täuschen. So mußten wir denn im Sande vor dem Wirthshause zur Belustigung der anderen Badegäste auf Knieen und Ellenbogen kriechen und rutschen, dabei den Kopf recke und drehen, die Beine aus- und übereinander spreizen etc. Ich entlief ihm aber bald aus der Schule, theils weil die ungewohnten Bewegungen sehr ermüdeten, namentlich aber, weil ich so wenig Geschick entwickelte, daß ich schier daran verzweifelte, daß mich je ein Seehund für seinesgleichen halten werde. Capitän Kleyhauer billigte dies; er meinte wir könnten nötigenfalls einen Jungen in einen Kartoffelsack stecken und diesen „huxen“ lassen, doch wolle er schon selbst die Seehunde anlocken; dagegen drang er entschieden darauf, daß wir uns mit einer Schifferkleidung versahen. weil die Thiere weit mehr Scheu vor einem gewöhnlichen Rock, als vor der Jacke eines Schiffers hätten.

Wie schon oft vereinigte auch der Abend vor unserer Abreise eine größere Gesellschaft in Sander’s Hotel zu Krabbensalat mit Wein, Spiel, Gesang und Tanz, da meldete der Fuhrmann, daß der Wagen unser harre, und diesmal versuchten die Damen vergebens, uns von der nach ihrer Ansicht so gefährlichen Fahrt auf der alte gebrechlichen Schaluppe zurückzuhalten. Mich reizte ganz besonders, wie eben jeden Jäger, die Gefahr, daher mußte man sich für diesmal begnügen, mit uns auf ein frohes Wiedersehen anzustoßen – und fort ging es durch Nacht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_459.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)