Seite:Die Gartenlaube (1869) 457.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Empfang genommen und expedirt hatte. Nach einigen Fragen. die bereits zum Theil Trauen vorgelegt waren, in Betreff der Zeit, der Identität des Inhaftaten mit dem Überbringer des an v. Dynker abgesandten Briefes etc. fragte der Untersuchungsrichter, ob der Brief verlebt gewesen.

„Der Brief,“ antwortete der Postsecretair, war ordnungsmäßig zugesiegelt, soviel ich damals gesehen haben auch unverletzt und enthielt laut Angabe auf dem Couvert dreitausend Thaler in Cassenanweisungen, Als ich die Schwere wog, war dieselbe vier Loth. Ich bemerkte dem Herrn Trauen, der sehr erregt hereinkam, daß dieses Mal das letzte wäre. daß ich so spät Geldbriefe annähme, daß das Haus Brandt das einzige Geschäft ist, dessen Commis stets erst mit Thoresschluß ankommen. Der Brief ist, wie der Poststempel zeigt, noch an demselben Tage mit dem Nachtzuge abgegangen.“

„Hat Trauen schon früher Geldbriefe gebracht?“

„Vor mehreren Jahren wohl, seit er aber, wie ich gehört habe, erster Commis geworden nicht mehr, wenigstens entsinne ich mich aus den letzten Jahren keines Falles.“

„Ich fragte Sie vorhin, Herr Postsecretair,“ sagte mein College, „ob der Brief verletzt gewesen. Haben Sie sich denselben vielleicht noch näher angesehen, besonders, ob vielleicht in den Siegeln zweifacher Lack zu sehen war?“

„Ich entsinne mich nicht, danach gesehen zu haben.“

„Erkennen Sie dieses Couvert wieder?“ fragte der Gerichtsrath, indem er das von Dynker eingeschickte Couvert überreichte.

„Gewiß, es ist das Couvert des Geldbriefes, den Trauen damals überbrachten, die Siegel sind dieselben wie damals und zeigen auch jetzt, da der Rand des Briefes aufgeschnitten ist, keine Verletzung. Ich muß gestehen, ich bin gar nicht überzeugt, daß das Geld, welches fehlt, aus dem Briefe herausgenommen ist, sondern glaube vielmehr daß Herr Brandt sich geirrt hat.“

„Können Sie vielleicht jetzt, wenn Sie den Siegellack genauer betrachten, wahrnehmen daß eine Uebersiegelung stattgefunden hat?“

„Ich vermag eine solche nicht zu entdecken.“

Der Kaufmann Brandt wurde aufgerufen. Es war ein alter Herr, einfach gekleidet, dem man in seinem Aeußeren nicht den Millionär ansah. Sein Gesicht war edel, seine Stirn massiv geformt, Festigkeit ja ein Anflug von Härte war in seinen Zügen in überraschender Weise mit Gutmütigkeit und Nachsicht vereinigt. Man sah es ihm an, daß es ihm jetzt schwer wurde, gegen den, welchem er von allen seinen Leuten das meiste Vertrauen und väterliche Liebe geschenkt hatte, sein Zeugnis abzugeben. Er erzählte um unwesentlichen Modificationen den Hergang auf dem Comptoir so, wie Trauen ihn berichtet hatten und fuhr dann fort. „Vier Tage später, nachdem Trauen den an Herrn v. Dynker adressirten Geldbrief zur Beförderung auf die Post erhalten hatte, bekam ich von dem Letzteren die Nachricht, daß an der in jenem Briefe angegebenen Summe fünfhundert Thaler gefehlt hätten. Ich rief natürlich zuerst Trauen auf meine Stube, gab ihm Dynker’s Brief zu lesen und fragte ihn, was er davon hielte. Kaum hatte er den Brief gelesen, da warf er ihn auf den Tisch und sagte. ‚Ich mochte lieber wissen, Herr Brandt, was Sie davon halten. Wo das Geld geblieben ist, weiß ich nicht, nur das weiß ich, daß ich den Geldbrief so, wie er mir übergeben worden ist, auch abgeliefert habe.‘ Ich erwiderte ihm, daß ich bereits noch einmal die Casse revidirt hätte, gab ihm die Anzahl der Cassenanweisungen an, welche ich hineingelegt hatte, und bat ihn seinen Leichtsinn einzugestehen. ‚Sie sind jung, lieber Trauen,‘ sagte ich, ‚Sie haben der Versuchung nicht widerstehen können, ich bitte, sagen Sie mir, daß Sie das Geld genommen haben, und ich schenke es Ihnen, da ich lieber den für mich kleinen Verlust erleiden will, als Sie für Ihr ganzes Leben unglücklich sehen. Ueberzeugen Sie sich selbst. Der Brief ist wie Dynker schreibt, mit demselben Gewicht von der Post in Rigow an ihn abgegeben, mit dem er von Ihnen aufgegeben ist; auf der Post kann also nichts aus dem Briefe herausgenommen sein. Vorher aber hat kein Anderer den Brief in Händen gehabt als Sie, Sie haben absichtlich, als ich Sie fragte, was es an der Zeit sei, mir dieselbe eine Stunde zu früh angegeben und trotzdem erst um acht Uhr den Brief auf die Post gebracht. Ich weiß es, der Postsecretair beschwerte sich vorgestern über unsere späten Ablieferungen. Sie müssen sich doch selbst sagen, daß die Verdachtsmomente, welche gegen Sie vorliegen, zahlreich und gewichtig sind.‘ Alle meine Bitten blieben erfolglos, seine Antwort war. ‚Seit sechs Jahren arbeite ich schon bei Ihnen, ohne daß mir etwas zur Last gelegt ist, und wenn Sie mich nach dieser Zeit noch nicht kennen gelernt haben, wenn Sie mir auch dann noch zutrauen können, daß ich etwas begehen könnte, wie das ist, dessen ich jetzt beschuldigt werde, dann muß ich, so sehr ich es auch bedaure, meine Stellung zu Ihnen aufgeben. Ich weiß wohl, daß alle Indicien gegen mich sprechen, ich weiß, daß kein Richter bei solchen Verdachtsgründen mich frei sprechen wird und kann, aber ich kann nicht gestehen was ich nicht gethan habe.‘ Damit drehte er sich um und ging fort. Gesprochen haben wir uns seitdem nicht mehr, obgleich Trauen noch die nächsten Tage bis zu seiner Festnahme und zwar ebenso fleißig wie früher, in meinem Comptoir arbeitete. Alle Versuche von meiner Seite, ihn noch einmal allein zu sprechen, wußte er zu vereiteln.“

„Haben Sie vielleicht in Erfahrung gebracht, daß Trauen Schulden hatte?“ fragte mein College.

„Vielleicht solche, wie sie am Ende jeder junge Mann beim Cigarrenhändler und dergleichen Leuten hat, sonst glaube ich nicht, da er mit seinem Gelde umzugehen und zu sparen wußte.“

„Sie haben auch früher nie etwas bemerkt, das den gegen Trauen vorliegenden Verdacht unterstützen könnte?“

„Niemals,“ antwortete Brandt, „ich habe ihn stets in der Erfüllung seiner Pflichten treu und gewissenhaft gefunden, und wenn ich ihm einmal eine kleine Strafpredigt hielt, so geschah es nur deshalb, weil er schon mehrere Male versucht hat, bevor die nach meiner Meinung nöthige Arbeit vollendet war, sich derselben zu entziehen, was weiß ich, zu welchem Zwecke.“

„Dieses ist vor dem letzten Streiche am 31. Juli also auch schon geschehen?“

„Ja! Ich bin strenge, man sagt zu strenge darin daß Alles, was an einem Tage einläuft, auch an demselben abgefertigt und nichts verschoben wird. Daher kommt es wohl, daß meine jungen Leute manchmal des Abends länger bei mir arbeiten müssen, als die anderer Firmen. Ich habe es von jeher nicht anders gekannt, daß jene aber nicht damit zufrieden sind, läßt sich leicht denken, und nicht nur Trauen, sondern auch die übrigen Comptoiristen haben schon häufig alle möglichen Kriegslisten versucht, um früher aus meinem Geschäft zu verschwinden. Wenn es ihnen gelingt, so lasse ich es hingehen, vorausgesetzt, daß sie am anderen Morgen bevor ich komme, mit der rückständigen Arbeit fertig sind: fasse ich sie aber, dann bekommen sie etwas zu hören, daß sie für einige Zeit alle Lust zu solchen Sprüngen verlieren.“

„Und Sie halten Trauen's Benehmen am Abend des 31. Juli ebenfalls nur für eine solche Kriegslist um in die Gesellschaft bei seinem Freunde zu kommen?“

„Ich hielt es dafür,“ sagte Brandt „bis mir mein Geschäftsfreund Dynker das Fehlen der fünfhundert Thaler anzeigte.“

„Nun die letzte, aber wichtigste Frage, Herr Brandt, die ich Ihnen deshalb obgleich Sie sie eigentlich schon vorhin beantwortet haben, noch einmal vorlege. Wissen Sie mit aller Bestimmtheit daß Sie dreitausend Thaler in den Brief eingepackt haben? Es hängt ja von Ihrer Antwort darauf das Wohl und Wehe eines Menschen ab, und darum bitte ich Sie, überlegen Sie noch einmal ob Sie nicht die Möglichkeit eines Irrthums von Ihrer Seite zugeben können.“

„Ich kann es nicht,“ antwortete der alte Kaufmann etwas zögernd, aber mit fester Stimme, „ich kann es deshalb nicht, weil wohl selten an einem Tage der Inhalt meiner Hauptcasse bestimmter sein konnte, als am 31. Juli. Ich hatte vor drei Uhr Nachmittags dieselbe vollständig geleert, um die Summe festzustellen. Eine Stunde darauf erhielt ich von einem Berliner Hause eine Anweisung auf die hiesige Bank über fünftausend Thaler, die ich von meinem jüngsten Commis holen ließ und beim Empfange in dessen Gegenwart genau nachzählte. Es waren neun Fünfhundert- Thalerscheine, ein neuer und drei alte Einhundert-Thalerscheine und zwei Fünfzig-Thalerscheine, von denen der eine zusammengeklebt war. Ich habe selbst für diese Aeußerlichkeiten ein gutes Gedächtniß. Da ich voraussehe, daß Herrn v. Dynker kleinere Summen lieber sein würden als lauter Fünfhundert- Thalerscheine, so legte ich Abends vier davon in mein Geldspind zurück und packte alles übrige Geld in den betreffenden Brief.“

„Und Sie wissen ganz genau daß Sie fünf und nicht vier Fünfhundert-Thalerscheine hineingelegt haben?“

„Ganz genau.“ –

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_457.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)