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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

wußte nur noch, daß es ein Doppelname gewesen, und er habe wie ‚Bataille‘ geklungen; in Pirmasens hatte man ihn gar nicht darnach gefragt.

„Da blieb denn,“ fuhr Wilderich zu erzählen fort, „für mich weiter nichts zu thun übrig, als mich in mein Loos zu finden und den mir bescheerten Kleinen als mein Pflegekind anzunehmen, für das ich von dem Augenblicke an, wo es das Schicksal in meine Arme gelegt, verantwortlich war; und das war mir nach wenig Tagen keine Aufgabe mehr, sondern nur noch eine Freude. Der kleine Bursche war gar zu hübsch, zu artig, zu zuthunlich, und wenn ich ihn auf den Arm nahm und dachte, wie verlassen er sei und nur mich auf der weiten Gotteswelt als Vater, Mutter und Geschwister habe, so überkam mich eine Rührung und so … nun, was brauch’ ich weiter davon zu reden? Du weißt, wie lieb ich ihn habe …“

„Gewiß, gewiß, wer sollte es nicht sehen,“ fiel Muhme Margareth ganz gerührt ein; „Ihr seid ein braver Mensch, Herr Wilderich – und der Leopold, wenn man auch seine Last mit dem Unrast hat … aber habt Ihr denn gar nichts weiter von dem verfluchten Franzosen, der Euch den Streich spielte, gehört?“

„O doch, schon nach acht Tagen. Es kam ein Brief von ihm an, von Paris aus geschrieben.“

„Ach, er schrieb Euch? Und was stand in dem Briefe?“

„Redensarten – recht höfliche übrigens; ‚ich bitte Sie um Verzeihung, mein Herr,‘ so lautete es ungefähr, ‚wenn mein Mitleid mit dem armen Kinde, das ich Ihnen zurückließ, mich verführte, so grenzenlos Ihre Güte zu mißbrauchen. Das Kind ist nicht meines, es ist mir übergeben worden, aber es ist unendlich viel besser aufgehoben unter Ihrem friedlichen und stillen Dache, in der Pflege einer ruhigen Häuslichkeit, als bei mir, einem jungen Manne, der eine solche Häuslichkeit nicht besitzt und ein bewegtes Leben bald in der Hauptstadt, bald auf Reisen führt. Seien Sie sicher, daß man Ihnen die Last abnehmen wird, sobald es die Umstände erlauben, mit jeder Entschädigung, welche Sie bestimmen werden – und bis dahin erlauben Sie mir, mein Herr, mich zu nennen Ihren u. s. w. 0G. de B.‘“

„G. de B., was heißt das?“

„Ja, was heißt es? Ich weiß es nicht,“ versetzte Wilderich.

„Solch’ ein frecher Franzose!“ sagte Muhme Margareth.

„Im Grunde hatte er Recht!“ bemerkte Wilderich gutmüthig, … „ich denke, das Kind ist besser bei uns aufgehoben, als es bei ihm gewesen wäre – und das ist die Hauptsache doch!“

Muhme Margareth widersprach nicht. Sie blickte nachdenklich in’s Feuer … eine lange Pause hindurch.

„Ach Gott … es ist wohl so!“ sagte sie dann, ihre Haube über den Kopf ziehend … und setzte mit einem Seufzer hinzu: „Wir sind Alle Sünder!“

„Weshalb?“ fragte Wilderich. „Wir thun, was wir können.“

„Aber wir versündigen uns oft in Gedanken …“

„Die schaden Niemand!“

„Aber die Worte …“

„Du meinst, weil Du zuweilen …“

Muhme Margareth nickte heftig mit dem Kopfe und zog die Haube noch weiter in die Stirn …

„Na,“ lachte Wilderich, „laß es gut sein, ich hab’ Dir’s weiter nicht übel genommen; und …“

Er wurde unterbrochen durch den kleinen Leopold, der mit dem Rufe: „der Sepp, der Sepp!“ in die Küche gelaufen kam.

Wilderich sprang auf und ging dem Angekündigten hastig entgegen. Draußen sah er, daß der Forstläufer sehr eilig die Schlucht heraufkam und im Vorübergehen an der Mühle dem Gevatter Wölfle, der eben mit seinem runden Gesichte ein Guckfensterchen in der weißgepuderten Bretterwand seines alten Bauwerks füllte, mit der Hand winkte.

„Die Leute ziehen sich zu Hauf, Förster Buchrodt,“ schrie der Sepp ihm dann entgegen, „bei Rohrbrunn ziehen sie zu Hauf … der Tanz kann anfangen; der Erzherzog hat sie bei Würzburg gestellt und schwarzgelb ist Trumpf geblieben; der Philipp Witt läßt Euch sagen, Ihr sollt hier nach dem Rechten sehn, denn er selbst kann nicht dabei sein hier …“

„Er kann nicht dabei sein? Und weshalb nicht?“ sagte Wilderich.

„Weil er anderswo sein muß. … Die Hauptmasse der Franzosen wälzt sich nordwärts, auf Hammelburg und Brückenau zu; die hat der Witt sich auf’s Korn genommen, in den Wäldern zwischen Hammelburg und Schlüchtern hat er dreitausend Bauern stehen und da will er selbst dabei sein.“ …

„Zum Teufel, und wir hier …“

„Wir hier haben auch keinen schlechten Stand … ein gut Theil strömt über Lengfurt und Heidenfeld in den Spessart herein, der Straße da unten nach … es wird immer lebendiger da … also kommt und vergeßt Euer Pulver nicht … Gevatter Wölfle,“ rief der Sepp dem herankommenden Müller entgegen, „geht und holt Eure Büchse. … Die Jagd kann losgehn – vorwärts, vorwärts, schwarzgelb ist Trumpf, und die Vivelanations soll heut bis auf den Letzten der Teufel holen!“

Der Sepp eilte fort, die Schlucht wieder hinab, und nach wenigen Minuten folgten ihm hastig Wilderich und der Müller, Beide im grünen Jagdkittel, mit ihren Büchsen, und die schweren Waidtaschen über der Achsel.

Margarethe betete ein Ave nach dem andern zur Spessartheiligen, der Mutter Gottes von Rengersbrunn, als sie auf der Schwelle des Forsthauses stehend ihrem Herrn nachblickte, wie er so eifrig davon und der Gefahr entgegeneilte. –




4.

Es war am Mittag dieses Tages; der gestrenge Lieutenant hatte eben die Eßglocke für das Gesinde läuten lassen, aber die zwei Knechte, die unter seinem Befehle standen, waren nicht gekommen; nur Frau Afra, die Beschließerin, und ein Paar erschrockene Mägde drängten sich jetzt um ihn – die Mägde wollten gehört haben, daß man es in südöstlicher Richtung brennen sehe, über Heidenfeld hinaus – einer der Knechte, der am Vormittag oben auf der nächsten hohen Bergkuppe war, sollte es gesehen haben.

„Und wo ist der Caspar, der Schlingel?“ rief der Schösser aus, „weßhalb kommen die Bursche nicht –“

„Sie sind davongelaufen, ihre Büchsen zu holen, die sie im Walde versteckt hatten … die verwegenen Mannen,“ rief Frau Afra.

„Der Tod stand darauf!“ fiel eine der Mägde ein – „die Franzosen hatten den Tod darauf gesetzt, wenn Einer ein Feuergewehr habe … und doch hatte der Caspar wie der Jobst eine Büchse, Gott weiß woher … damit sind sie fortgelaufen, es gehe los, sagten sie, der Förster Buchrodt führe sie an …“

„Und man hört schon die Kanonenschläge … der Botenfritz, der von Lindenfurth kam, hat sie selber gehört,“ rief eine andre aus …

„Und ich sag’ Euch, der Botenfritz ist ein Lügner!“ schrie im zornigsten Discant der gestrenge Schösser von der Höhe seines strack aufgerichteten Kopfes auf die erschrockene Gruppe hinab – „wenn da irgendwo eine Hütte brennt, so brennt eine Hütte – was soll’s? Und Kanonenschläge? Dummheit! Es müßt’ denn sein, die Franzosen schössen Victoria von der Marienburg herab, daß man’s bis hier hören könnte! Sonst nicht! Ich sag’ Euch, die stehen heut’ näher bei Wien als bei uns! Werden sich haben zurückwerfen lassen, daß man’s in Goschenwald hören könnte, wie sie sich mit den Kaiserlichen herumschießen. … Dummheit noch einmal … könnt Gift darauf nehmen, Ihr Weibsbilder, geht zum Essen! Aber wer kommt denn da? Ich glaub’ der Herr Förster ist’s – macht sich seit einiger Zeit nicht just rar, der Herr Förster Buchrodt!“

In der That war es Wilderich, der rasch, erregt und mit geröthetem Gesicht durch das Thorhaus schritt.

„Ich möchte die fremde junge Dame sprechen!“ rief er schon von Weitem.

„Dacht’s mir!“ antwortete der Schösser trocken. „Kann ich’s nicht bestellen?“

„Nein, es ist nicht für Euch, sondern für sie, was ich ihr mitzutheilen habe.“

„Doch nicht, daß es in der Ferne brennt und daß man Kanonenschläge hört?“ sagte der Schösser ironisch … „das wissen meine Mägde allbereits!“

„Es hängt ein wenig damit zusammen,“ erwiderte Wilderich; „ich bitte, zeigt mir den Weg, ich habe Eile.“ …

„Die Demoiselle kommt just,“ rief Frau Afra aus, auf das Portal des Hauses deutend, aus dem die Demoiselle Benedicte in diesem Augenblick hervortrat.

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