Seite:Die Gartenlaube (1869) 446.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Reichsgräfin Gisela.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

Aus den Zügen des Fürsten war allmählich der harmlose Ausdruck verschwunden. Die kleinen, grauen Augen sahen forschend und mißtrauisch nach dem Mann hinüber, der dort an der Buche lehnend so ruhig, aber auch so entschlossen die Arme über der Brust kreuzte und den flammenden Blick fest auf das durchlauchtigste Antlitz gerichtet hielt – er schien, ihm unheimlich zu werden. … Wie alle schwachen Charaktere, denen der Zufall eine hohe Lebensstellung eingeräumt, war er sehr geneigt, das entschiedene, sichere Auftreten fester Männlichkeit als Mangel an Deferenz zu beargwöhnen, und in dem Punkt vertrug er nichts. Zudem hatte das, was der Mann erzählte, eine verzweifelte Aehnlichkeit mit einer alten, dunklen, halbverschollenen Geschichte, die er um des Ministers willen nicht gern vor all’ diesen sehr wißbegierigen Ohren aufgerührt sehen mochte – ohne eigentliche Motivirung aber konnte er die lebhaft verlangte Pointe der Geschichte nicht unterdrücken; er winkte deshalb ziemlich eilfertig und mit einer nicht gar gnädigen Handbewegung dem Portugiesen, die Erzählung zu beenden.

Oliveira trat vom Baume weg; seine breite Brust dehnte sich unter einem tiefen Athemholen; ein erneuter Windstoß kam daher und, hob die schwarzen Hockenringel auf seiner finsteren Stirn.

„Hier beginnt die Selbstanklage des Mannes, den ich erzählen lasse – er hat schwer gefehlt, aber auch gelitten,“ fuhr er mit erhöhter Stimme fort. „,In jener Nacht, wo der Tod so jäh und unerwartet an Dom Enriquez herantrat, standen der Visconde – ein schöner, stolzer, tapferer Mann – und ich allein an seinem Bett’ – so lautet die weitere Mittheilung des deutschen Arztes. ,Der Sterbende benutzte die ihm vergönnte kurze Frist, um sein Testament umzustoßen – er dictirte uns ein neues. Wir schrieben Beide nach, um ganz sicher zu gehen – sein heiseres, oft von Röcheln unterbrochenes Flüstern war schwer verständlich. … Er ernannte den Chef seines Hauses zu seinem Universalerben, die Frau Marquise aber hatte das Nachsehen; sie erhielt nicht einen Fußbreit Landes, nicht ein Goldstück seines Besitzthums. … Der Sterbende unterschrieb das Schriftstück des Visconde, als das vollständigste und klarste, und wir Beide fungirten als Zeugen. … Er legte befriedigt das Haupt auf das Kissen zurück, um zu sterben – da wurde die Thür des Vorzimmers aufgerissen, dann kamen schleppende Seidengewänder näher; wir kannten diese Schritte nur allzu gut! Der Visconde eilte hinaus, um die Thür zu vertheidigen, und ich – verbarg schleunigst das gültige Testament in meiner Brusttasche. … Draußen sank die schöne Aspasia vor dem Wächter der Thür nieder und schlang ihre weißen Arme um seine Kniee. Das gelbe Haar, das ihr der Sturm auseinandergerissen, schleifte lang nach auf dem Boden; an der Seite des Gesichts aber floß es schmal und roth nieder und ringelte sich über den weißen Hals hin, wie eine kleine Schlange – ein Stein aus niederstürzendem Mauerwerk hatte ihre Stirn gestreift – sie blutete. … Der Visconde vergaß seine Pflicht und Ehre über der rührenden Hülflosigkeit der Bittenden – die Thür flog auf, und die Marquise stürzte an dem Sterbebett nieder. … Dom Enriquez verwünschte sie mit seinem letzten Athemzuge, er ging hinüber mit der Gewißheit, sein Unrecht ausgelöscht zu haben; aber die schöne Aspasia mit dem vor Angst zu Wachs erblichenen Gesicht war doch sein und unser Meister. … Die buntschillernde Schlange umstrickte in weichen, schmeichelnden Windungen den stolzen, ritterlichen Mann, den Hauptzeugen – er erlag dem Dämon – er trat plötzlich in eine Fensternische, wandte dem Zimmer mit Allem, was darin, beharrlich den Rücken und sah unverwandt und angelegentlich hinaus in das nächtliche Sturmgebrause – dann züngelte die Schlange an mich heran und zischte mir leise zu, daß ihr einziges Kind, der Abgott meines Herzens, mein sei, wenn ich geschehen lasse, daß sie das auf dem Tische liegende Schriftstück lese – ich wandte das Gesicht weg; sie ergriff das Exemplar des Testamentes, das ich nachgeschrieben. Mit halblauter Stimme, bebend vor Ingrimm, überlas sie die ersten Paragraphen, die sie in eklatantester Weise verstießen – sie wandte das Blatt nicht um – somit entging ihr das Fehlen der Unterschrift. Grell auflachend ballte sie plötzlich das Papier in den Händen zu einem gestaltlosen Klumpen und schleuderte ihn in die Kaminflamme. … Erst, nachdem die Frau Marquise kraft des ersten Testamentes ihre Erbschaft angetreten, hatte sie die Gnade, mir achselzuckend und satanisch lächelnd die Mittheilung zu machen, daß sie bereits Wenige Secunden vor ihrer tollen Fahrt nach dem Sterbelager des Dom Enriquez ihre Tochter mit einem Ebenbürtigen verlobt habe – ich konnte sie nicht mehr verrathen, ohne den Kopf selbst in die Schlinge zu stecken!’“ .

Ein Gemurmel flog durch den Kreis. Der Portugiese schritt auf den Fürsten zu.

„Das eigentliche gültige Testament des Dom Enriquez aber wanderte mit dem ruhelosen Mann, der auf die Eröffnung der Frau Marquise nicht ein Wort der Erwiderung gefunden hatte, in die Welt hinaus,“ sagte er mit feierlicher Stimme. Er griff in die Brusttasche und zog ein Papier hervor. „Er hat es kurz vor seinem Tode in meine Hände niedergelegt – wollen sich Euer Durchlaucht überzeugen, daß es tadellos in seiner Abfassung ist?“

Mit einer tiefen Verbeugung reichte er dem Fürsten das Papier hin.

Aller Augen hingen in athemloser Spannung an dem fürstlichen Antlitz. Niemand sah, wie der Minister bei dieser überraschenden Wendung mit leichenhaften Wangen anfänglich zurücktaumelte, dann aber sich halb von seinem Sitz erhob und mit vollkommener Hintansetzung des Schicklichen über die Schulter seines fürstlichen Herrn hinweg in das Blatt stierte, das Serenissimus langsam, mit befangenem Zögern entfaltete.

„Ha, ha, ha, mein Herr von Oliveira,“ rief Seine Excellenz heiser auflachend, „Sie gehen in der Mystificirung Ihrer aufmerksamen Zuhörer wirklich so weit, selbst eine schriftliche Beglaubigung Ihrer allerliebsten kleinen Erzählung zu bringen?“

Auch dieser impertinente Ausruf wurde nicht weiter beachtet – der auserwählte Kreis der Hoffähigen hatte ja das seltene, interessante Schauspiel, Serenissimus völlig fassungslos zu sehen. Er hielt das geöffnete Papier einen Augenblick in den leicht bebenden Händen, als traue er seinen Augen nicht. Sein bleiches Antlitz wurde dunkelroth vor Bestürzung – er überflog die erste Seite, dann wandte er das Blatt um und suchte die Unterschrift.

Wenn indeß die lauschende Menge erwartete, nun auch die Namen des Dokumentes von den Lippen zu hören, die sich, wie nach Athem ringend, öffneten, dann irrte sie sich – Serenissimus war nicht umsonst langjähriger Schüler seines diplomatisch gewiegten Ministers gewesen – die Lippen schlossen sich wieder; er legte secundenlang die Rechte über die Augen, dann richtete er sich auf, als erwache er aus einem Traume, legte das Papier mit fieberhafter Hast zusammen und schob es in die Tasche.

„Sehr hübsch – sehr interessant, Herr von Oliveira!“ sagte er in eigenthümlich belegten Tönen. „Ich werde noch einmal darauf zurückkommen – gelegentlich! … Aber wahrhaftig,“’ rief er aufspringend, „Sie haben Recht, liebe Schliersen, es fängt an zu regnen! … Eilen wir, unter das sichere Dach zu kommen! Hören Sie, meine Damen, wie es in den Wipfeln saust und braust? … Schnell, schnell! … Fackeln voran!“

Es sah aus, als werde in eiliger Hast ein Zigeunerlager abgebrochen. Alles rannte durcheinander; die Damen suchten nach Shawls und Mantillen, die Herren nach ihren Hüten. … Außer Seiner Durchlaucht und der Gräfin Schliersen spürte zwar noch Niemand auch nur einen der ominösen fallenden Regentropfen; dennoch traf man alle Vorkehrungen, die gefährdeten Toiletten in Sicherheit zu bringen.

Während des allgemeinen Tumultes versuchte Gisela, wieder in die Nähe des Fürsten zu kommen, der scheinbar harmlos plaudernd mit der Gräfin Schliersen noch einen Augenblick inmitten der Wiese verweilte. Seine kleinen, grauen Augen hatten nach dem Durchlesen des Dokumentes das Gesicht der jungen Gräfin gestreift – sie verhehlte sich nicht, daß der Blick mißtrauisch forschend und vorwurfsvoll gewesen sei – hatte sie doch durch ihr leidenschaftliches Hervortreten und ihre Fragen verrathen, daß sie um das Geheimniß wisse. … Ihr Gesicht brannte in einer dunklen Fieberhitze – sie war in einer unbeschreiblichen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_446.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2022)