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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

verwerthen sucht. Hier herrscht der belebende Gedanke, von dem allein das Gedeihen der ganzen Anstalt abhängt. Ein Fehlgriff kann unabsehbaren Schaden, eine glückliche Idee noch größeren Nutzen stiften.

In der Person des eben so thätigen als verdienstvollen Doctor Heffter besitzt das genannte Etablissement den geeigneten Mann, der jene durchgreifenden Processe ersonnen, jene großartigen Verbesserungen ausgeführt, durch deren praktische Anwendung die Liebermann’sche Fabrik ihren jetzigen hohen Rang und ihre Bedeutung für den Weltmarkt gewonnen hat. Aus diesen Räumen sind jene neuen Combinationen und Nuancen hervorgegangen, die durch immer neue Abwechslung überraschen, durch Glanz und Schönheit die Sinne reizen und erfreuen, durch ihre Zweckmäßigkeit und Billigkeit die Bewunderung der Sachverständigen erregen. Mit diesen Vorzügen aber noch die Gefälligkeit der Form, die Reize eines geschmackvollen Musters zu vereinigen, ist eine nicht minder schwierige Aufgabe für den denkenden Geist, die von anderen talentvollen Männern gelöst wird.

In jenem imposanten Gebäude, das seine edle Facade der Straße zukehrt, finden, wir die großen Werkstätten für die hier beschäftigten Musterzeichner. In lichten weiten Sälen sitzen die Zeichner und Graveurs, um die leicht skizzirten Entwürfe und Ideen auszuführen, indem sie ihnen eine feste, für die praktische Anwendung geeignete Form geben. Ganz besondere Beachtung verdient dabei jene wunderbare Maschine, die man mit dem Namen „Pantograph“ oder „Pentagraph“ benannt hat; sie beruht auf einer Hebelanordnung, durch deren Wirksamkeit ein einziger Mann im Stande ist, beim Nachführen eines Griffels in den gravirten Linien eines in größeren Dimensionen auf Blech ausgeführten Musters sechs bis vierundzwanzig andere, mit Demantspitzen versehene Griffel in dieselbe Bewegung zu versetzen und zwar durch eine entsprechende Einstellung derartig, daß diese Diamanten das gegebene Dessin in beliebiger Verkleinerung in einen Firnißüberzug der zu gravirenden Kupferwalze so oft nebeneinander einritzen, als es der Rapport des Musters auf der Breite des Stoffes verlangt.

Wird nachher diese Walze einem Säurebade ausgesetzt, so erscheint an den vom Firniß entblößten Stellen durch Aetzung das gewünschte Dessin vervielfältigt. Auch mit Hülfe der vielfach sich abrollenden sogenannten „Molette“ werden die Muster auf die für den Druck bestimmten Walzen übertragen. Alle diese Arbeiten des Zeichnens und Stechens verlangen die höchste Schärfe und Genauigkeit; Gedanken und Aufmerksamkeit müssen durchaus ungestört auf einen Punkt gerichtet sein. Daher die lautlose Stille, welche in dem Arbeitssaale herrscht, nur unterbrochen von dem eintönigen Geräusch der Pantographen und dem Rollen der Krafttransmission. Es handelt sich hier um bedeutende Summen, da der Vorrath an Kupferwalzen und Gravirungen enorme Werthe repräsentirt. Allem die Herstellung eines Dessins, in welchem zwölf verschiedene Nuancen einer Farbe, oder zwölf verschiedene Farben erscheinen sollen, fordert auch zwölf besondere Walzen, deren jede nur zur Herstellung einer Farbe dient, die aber, um den gewünschten Effect zu erzielen, ganz genau mit einander harmoniren und sich ergänzen müssen.

In dem großartigen Complex von Gebäuden, welcher die eigentliche Druckerei enthält, befinden sich außer verschiedenen „Perotinen“ vierzehn Walzendruckmaschinen in fortwährender Thätigkeit. Der Anblick ihrer Arbeit gewährt ein ebenso interessantes als unterhaltendes Schauspiel. Hier bedeckt sich das Gewebe unter der Bewegung des malenden Cylinders mit türkischen Mustern in fünf oder sechs harmonischen Farben; dort zertheilt eine andere Walze den weißen Stoff in die einfachen, gleichmäßigen Felder eines Damenbretts, bei dem die Fehlfarben durch zierliche Schlangenlinien imitirt werden. Eine andere Maschine streut mit unsichtbarer Hand auf die lichte Fläche zahllose kleine Blumen, kleine Blätter, und dort scheint ein neckender Kobold Graupen und Grütze in toller Weise unter einander zu mischen.

Hell und freundlich schimmert jener Kleiderstoff, mit Chromgrün, gefärbt, in zierlichem Muster uns entgegen, und unwillkürlich denken wir uns dazu die schlanke Gestalt, einer reizenden Blondine mit goldenem Haar, blauen Augen und lachenden Rosenlippen, während die strohgelbe Farbe mit den zarten Arabesken gewiß trefflich zu den dunklen Locken – und den feurigen Blicken einer interessanten Brünette passen wird. Gleich einem blutigen Strome quellen aus der Maschine in scheinbar ewiger Wiederkehr endlose rothe Schnupftücher hervor, ausreichend für die Nasen eines ganzen Welttheils. Sie verdanken ihre Farbe dem kräftig schäumenden „Krappbade“, aus dem aber auch alle jene zart nuancirten rosa leuchtenden Zeuge gleich der schaumgeborenen Venus emporsteigen. Unter dem Einfluß der physischen Kräfte, unter dem Rauschen des Wassers, dem Brausen des Dampfes, dem Gähren der chemischen Gewalten entstehen jene Kinder der Mode und des Luxus, womit sich die fernsten Länder und die verschiedensten Stände schmücken. Diese blauen Gewebe sind für den Japanesen, jenes feuerrothe Zeug für den Mexicaner bestimmt; das geschmackvolle Muster wird die zarte Figur einer vornehmen Salondame zieren, und dort das einfache Dessin ein armes Kind aus dem Volke entzücken, während vielleicht eine schwarze Sclavin jene schreienden Farben bewundert und sie mit keinem andern noch so werthvollen Erzeugnisse der launenhaften Mode vertauschen möchte. Hier findet man die Toilette eines Erdballs vereint, jeden Geschmack berücksichtigt, die wunderlichsten Ansprüche in Bezug auf Form und Farbe befriedigt.

Zu diesem Behufe müssen alle Elemente, Natur und Kunst Wasser und Feuer, Physik und Chemie, Capital und Geist sich vereinen, die verschiedensten Operationen sich zweckvoll verbinden. Während das gebleichte und gebeizte Zeug an der einen Seite der Druckmaschine eintritt, verläßt es dieselbe gemustert an der andern, um über Rollen und Cylinder fort zwischen den warmen Dampfplatten getrocknet zu werden. In dem gegenüberliegenden Gebäude wartet schon wieder ein neuer Complex der ingeniösesten Maschinen, um dem bedruckten Stoffe die letzte Vollendung zu geben. Durch Waschen, leichtes Bleichen, Stärken und Bläuen, um die Weiße des Grundes hervorzuheben, durch Trocknen und Glätten wird dem Gewebe noch der äußere Glanz verliehen, um die Käufer anzulocken. Schließlich bestimmt eine selbstthätige Meßmaschine das Maß und die Lage des Stoffes, dem eine eigene Presse das Siegel der Beständigkeit aufdrückt.

Eine fortlaufende Reihe von ineinander greifenden Processen gehört dazu, um das ordinärste und billigste Stück Kattun zu liefern. Wer denkt bei dem Anblick dieser leichten Waare an die, kolossale Anstrengung, die ihre Hervorbringung erfordert! Dafür arbeitet unablässig bei Tag und Nacht die riesige Dampfmaschine mit der Kraft von dreihundertundvierzig Pferden. In vierzehn großen eisernen Kesseln erzeugt, wirkt außerdem der Dampf von siebenzehn kleineren und größeren Maschinen, um die zahllosen Wellen, Räder und Walzen zu bewegen, die sich ohne Aufhören drehen und die verschiedensten Dienste verrichten, zu denen Tausende von Händen nicht ausreichen würden. Hunderte von Arbeitern sind überdies noch mit Färben, Drucken, Zeichnen, Graviren und mit anderen nothwendigen Verrichtungen beschäftigt. In kolossalen Fässern, Kufen und Gefäßen siedet und kocht die Beize, von aufmerksamen Augen beobachtet. Alles muß ineinander greifen und sich gegenseitig unterstützen. Das Ganze aber fordert einen Aufwand von Scharfsinn, Fleiß, Unermüdlichkeit und Sachkenntniß, wovon der oberflächliche Beobachter kaum eine Ahnung haben kann. Nur so ist es möglich, daß in diesen Fabrikhallen täglich tausend Stück Kattun fertig bedruckt geliefert werden.

Dort aber in seinem Comptoir sitzt – der Eigenthümer des Etablissements, von dem der Anstoß dieses großartigen Getriebes ausgeht, und rechnet, grübelt, sinnt und sucht, um neue Absatzwege für seine Waaren zu finden, um den Kampf mit der drohenden Concurrenz bestehen zu können. Sein scharfes Auge überschaut die ganze Erde und dringt in die fernsten Länder, um ihre Bedürfnisse, ihre Forderungen, ihre Ansprüche und ihren Geschmack zu erkunden. Er folgt dem Lauf der Schiffe, er lauscht den Nachrichten, die der telegraphische Draht ihm aus allen Himmelsgegenden bringt. Krieg und Friede, die Baumwollenernte, die Schwankungen des Weltmarkts bestimmen sein Geschick und das der tausend Arbeiter, die in seinen Diensten stehen. Er wägt und erwägt, ob er des Geldes Macht zum kühnen Schachzug entfesseln, ober bis zur gelegeneren Stunde zurückhalten soll. Mit sorgenschwerem Haupte erwartet er die unausbleibliche Krisis, ohne darum den Muth zu verlieren, für alle Fälle gerüstet, gewissenhaft für das Wohl, der zahlreichen Arbeiter besorgt, die auf ihn voll Vertrauen blicken. Stets zur Hülfe bereit, für alle guten Zwecke thätig, für alle humanistischen Bestrebungen opferfreudig, ist der Chef des Hauses Liebermann einer der ehrenwerthesten Repräsentanten der deutschen Industrie, der er zur Zierde gereicht.

G.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_444.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)