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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Aus der Karlsbader Curliste.

Von Franz Wallner.
Krapina, das originellste Bad in Europa. – Eine Curliste von Karlsbad. – Revue der Trinkenden. – Rothschild und sein Secretär. – Ritter vom Königswarter. – Eine mysteriöse Persönlichkeit. – H. Laube. – Hülfen und ein vormaliger Kurfürst. – Escamoteur Hermann. – Ein Meisenfresser. – Der Herausgeber des Bazar. – Charlotte Birch-Pfeiffer. – Küstner und Ascher. – Amerikanische Raubmörder. – Isaak und Estherche.

Tausend und tausend Bücher sind schon über die Frauen geschrieben worden, und doch ist das Thema nicht erschöpft; eben so geht es mit Karlsbad. So viel Tinte darüber geflossen, man entdeckt doch stets neue Vorzüge, ebenso wie bei den Weibern, beide Gegenstände sind eben – veränderlich, und daher die Ansichten darüber verschieden. Wie lange ist es her, daß der Curgast seine Heilungsmethode nach dem Sprüchwort. „Viel hilft viel“ verfolgte, daß man nur dann Erfolg und Wirkung von der Heilquelle hoffte, wenn man eine ungeheure Anzahl des heißen Sprudelwassers in sich hineingegossen und stundenlang in demselben gebadet hatte. Das Alles hat die neuere Heilkunde auf ein vernünftiges Maß reducirt, und selbst ein Gläschen Wein, früher auf der Liste der Genußmittel in einer Reihe mit Cyankali stehend, findet sich jetzt fast bei jedem Mittagscouvert der Curgäste. Wie verschieden überhaupt Heilquellen angewendet werden, ist unglaublich. Ich erinnere mich eines kroatischen Bades, „Krapitta“ genannt, in welchem, allerdings vor einer langen Reihe von Jahren, von den vielen Bauern, die dort Genesung suchten, folgende Procedur angewendet wurde. Im gemeinschaftlichen Vollbade saßen Männlein und Weiblein, wie im Paradiese, mit entblößten Rücken und nackter Umgebung des letzteren, paarweise zusammen. Der Rücken nun war mit einer Reihe der sonderbarlichst aussehenden Instrumente bespickt, nämlich der Bader setzte den Leuten auf den Schröpfschnitt statt der üblichen Schröpfköpfe die luftleeren äußersten Enden von Ochsenhörnern auf, wodurch augenblicklich eine große blutgefüllte Beule in den Raum des spitzigen Apparates emporgezogen wurde. Mit diesen Hornspitzen besäet – ich zählte auf einem Buckel über dreißig – saßen die Ehepaare im Wasser nebeneinander, je zwischen sich, auf einem Brettchen schwimmend, eine riesige Weinflasche, welcher abwechselnd einmal der Herr Gemahl, dann die brave Gattin in langen Zügen zusprach, wobei das weibliche Geschlecht ach eben nicht durch übergroße Mäßigung auszeichnete. Vor dem Badehause stand eine lange Wagenreihe, angefüllt mit riesigen Bettvorräthen. Sobald die letzte Flasche leer und die Blutströme vom Rücken oberflächlich abgewischt waren, lief die ganze Karawane, im Badecostüm primitivster Art, welches manchmal den Festkleidern der Südseeinsulaner nicht viel nachgab, zu ihren Wagen, vergrub sich paar- oder familienweise in die darauf liegenden Betten und jagte mit vollen Zügeln dem heimathlichen Heerde zu. Das war, vor ungefähr zwanzig Jahren, eine Badereise und Vergnügnugstour der Bauern in der Umgebung von Krapitta. ob es seit der Zeit anders geworden ist, weiß ich nicht.

In Petersburg war ich oft Zeuge, wie die armen Besucher der russischen Dampfbäder aus den glühenden Zellen in’s Freie liefen, den dampfenden nackten Körper im Schnee herumwälzten und dann in langen Sprüngen in die heißen Räume zurückeilten. Ländlich, sittlich!

Ich kehre auf dem langen Umweg über Krapitta und St. Petersburg wieder nach Karlsbad zurück.

Kein Curort in Europa erfreut sich in Bezug auf die erzielten Heilresultate eines so wohlgegründeten Rufes als Karlsbad. Die Wunder dieser Segensquellen zeigen sich in jeder Saison den Anwesenden und erneuern sich stets sichtlich vor den Augen derselben; man sieht Personen, oft aus fernen Erdtheilen, ankommen, wahre Todescandidaten, bleich und hinfällig, mit dunkelgelbem, vertrocknetem Antlitz, lebenssatt und hoffnungslos zu den Brunnen schleichen; kaum sind jedoch drei kurze Wochen verflossen, so begegnen wir diesen ehemaligen Leidensgestalten, die ach, uns nicht mehr kenntlich, ja frohe, frische, wohlbehäbige Weltbürger verwandelt haben und nun leicht und sicher hinschreiten in der würzigen Waldesluft, auf Bergeshöhen und im sonnigen Thal. Wie wäre es sonst auch möglich, daß Karlsbad die Concurrenz mit jenen Luxusbädern am Rhein und anderen Orten siegreich bestehen könnte, wo jedes Vergnügen, jede Annehmlichkeit dem Fremden nie geahnte Genüsse bieten, wo das ausgesuchteste Raffinement, die feinste Speculation auf die Börsen derselben jede Lockspeise aufstellt, um die Vögel mit dem goldenen Gefieder in’s Garn zu locken. Die Sirenen aus dem modernen Babylon an der Seine und die Spielbankpächter, sie lassen ihren Lockruf ertönen nach allen Richtungen der Windrose, keine Zerstreuung, kein Vergnügen, kein – Laster existirt, das sich nicht dem fernher Gewanderten, mit oder ohne Maske, zur Verfügung stellte. Dampfschiffe und Eisenbahnen vermitteln den raschen Verkehr und führen die „Vergnüglinge“ im Fluge ihrem Ziele zu. Von all’ dem bietet Karlsbad nichts, nicht einmal Schienenwege erleichtern die verhältnißmäßig sehr unbequeme Reise in das allerdings reizend hübsche, tiefe Thal im Herzen der böhmischen Berge, in dem das nette, reinliche Städtchen liegt. Nur auf die Natur angewiesen, hat der Kranke keine andere Aussicht, als die auf baldige, sichere Genesung und auf die bescheidensten Unterhaltungen.

Dagegen bietet die Natur dem Wanderer die reichste Entschädigung, und außerdem ist in letzter Zeit von Seiten der städtischen Behörde für Karlsbad viel gethan worden. Liefern doch das Spital für arme Kranke, so wie die Stiftung der Frau Elisabeth Roosen für verschämte, mittellose Fremde den Beweis, daß auch die minder glücklich situirte Mehrheit der Gesellschaft hier nicht vergebens an das Mitleid der Wohlhabenden appellirt.

Natürlich sieht es in der Hochsaison hier aus, „als ob die Menschheit auf der Wanderung wäre“. Morgens am Brunnen wogt und wallt es durcheinander, schwatzt es in allen Idiomen der Welt in babylonischem Gewirr. Das Lesen der Angekommenen in der Curliste ist manchmal eine Quelle harmlosester Heiterkeit. Welche Titel hat hier die Eitelkeit und die Naivetät verzeichnet! Da z. B. finde ich einen „Königlich preußischen ‚einjährigen‘ Freiwilligen“, der schon in diesem zarten Alter gezwungen ist, hier die strenge Cur zu gebrauchen; da ist ein letzter Repräsentant des, gleich den Postillons, auf dem Aussterbeetat stehenden Geschlechtes, das einst .so üppig geblüht: ein „Censor“ - aus Rußland natürlich. Eine „Kaiserlich-Königliche Briefträgerin“ wohnt Flur an Flur neben einer „Windmühlensgattin“, hier zeichnet sich mit kurzem Titel ein „Liquidator des Kaiserlich-Königlichen Civilgerichts-Depositenamtes in Wien“, während eine „wirkliche“ Geheimrathsgattin durch diese Versicherung den schnöden Verdacht zurückweiset, als sei sie nicht wirklich die Frau ihres Mannnes. In der nächsten Nähe der gliederreichen fürstlichen Familie von Schaumburg-Lippe finden wir einen „Altsitzer“, eine „Kleinhändlersgattin“ und einen „Branntweinsverschenker“, welch’ letzterem um den Absatz seiner Waare nicht bange zu sein braucht. Ein „Organist und Töchterlehrer“, ein „Präpositus“, so wie eine „Juwelière“ schließen den Reigen derjenigen, deren Bezeichnung in Bezug auf ihre Lebensstellung mir besonders auffiel, obgleich sich diese Blumenlese noch bogenlang ausdehnen ließe.

Den Beweis, welch’ eine enorme Ausdehnung die Versendung des Karlsbader Wassers seit zehn Jahren gewonnen, liefert der Umstand, daß die Zahl der Versendungen mit jedem Jahr um fünfzig- bis sechszigtausend Krüge steigt und im die fernsten Zonen geht.

Der neunundfünfzig Grad Réamür heiße Sprudel, welcher die übrigen warmen Brunnen bis zu achtunddreißig Grad Réamur herab mit dem heilkräftigem Wasser versorgt, ist so recht der Born der Wohlhabenheit für die ganze Stadt, und ich kann mir recht gut das Entsetzen der Bewohner denken, wenn der Fetisch von Karlsbad in übler Laune seine Bande sprengt, den heißen Strahl stockhoch und zischend in die Luft sendet und, dort versiechend, an einer andern Stelle, mitten im kalten Bett der Tepel sich neue gewaltige Bahnen bricht. Im Jahre 1834 fand der letzte dieser großen Sprudelausbrüche statt, und viele Tausende und Tausende von Ellen Leinwand mußten in die neue Oeffnung getrieben werden, bis diese, incrustirt den tief im der Erde siedenden Strom zwangen, wieder seinen alten Weg zu gehen.

Eine Revue der Trinkenden gehört zu den interessantesten Beobachtungen. Sehen wir uns diesen kleinen, schmächtigen Mann mit

klugen deutschen Zügen etwas näher an; er hat das Aussehen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_440.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)