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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

hatte und mit kluger Hand leitete. Leo selbst sagt, daß die Julirevolution mit dem „grimmen Ernst“, den sie gemacht, in gewissem Grade ein Wendepunkt in seinem Leben sei. Allein es ist zu schwer zu erkennen, was von dieser Revolution ihn zur innern Einkehr getrieben haben sollte. Standen doch die Pietisten jener Zeit der Julirevolution nicht einmal so feindselig gegenüber, und die belgische Septemberrevolution hatte sich bei vielen sogar einer gewissen Gunst zu erfreuen, vielleicht wegen der Mitwirkung der Jesuiten. Die Julirevolution mag in irgend einer Weise den Boden für Gerlach’s Saat gelockert haben, aber für die unmittelbare Veranlassung der Erleuchtung Leo’s mögen wir sie nicht ansehen.

Dieser fand, einmal in den pietistischen Kreis eingetreten, natürlich fromme Brüder genug, die sich des verloren gewesenen und wiedergefundenen Schäfleins mit sonderlicher Liebe annahmen. Der frühere weltkinderliche Umgang wurde dagegen abgebrochen, und es liegt ganz in Leo’s Natur, daß er nun mit Schroffheit und Ungestüm den ehemaligen Genossen gegenüber als Verfechter seiner neugewonnenen Anschauungen auftrat.

Von den vierziger Jahren an konnte Leo ruhiger und unter mehr begünstigenden Verhältnissen seine politischen und religiösen Ansichten sich fortbilden lassen, und namentlich waren der katholisirenden Richtung jetzt förderlichere Bedingungen gegeben. Wenn er, wie wir gesehen, schon viel vom Katholicismus hielt, als er noch in der Verblendung wandelte, so ist nicht zu verwundern, daß er nach seiner Erleuchtung immer mehr für denselben erwärmt wurde. Und das konnte er nun so unverhohlen an den Tag legen, daß nicht wenige Protestanten meinten, er sei heimlich längst katholisch geworden, und daß die katholischen Propagandisten bis in die neueste Zeit große Hoffnungen auf ihn gesetzt haben.

Wir mögen an diesem Punkte bequem ein wenig inne halten, um mit Ruhe einen Blick auf Leo’s ganze Persönlichkeit zu werfen. Leo ist ein Mann von mittlerer Größe und so wohlgewachsen, daß er ohne Nachtheil für seine Erscheinung Decennien lang den historisch gewordenen blauen Frack mit gelben Knöpfen tragen konnte. Sein wohlgebildetes Gesicht wird vortheilhaft durch die schwärzlichen Haare gehoben, mit denen die dunkelbraunen Augen vollkommen harmoniren. Diese Augen geben dem ganzen Antlitz einen entschieden geistreichen Ausdruck, aber es glüht auch in ihnen der Zorn über die gesammte andersdenkende Menschheit, der nicht minder durch die leicht zusammengepreßten Lippen angedeutet wird. Der sich auf die eigene Subjectivität steifende Zorn, die Bereitschaft jede von der seinigen abweichende politische oder religiöse Meinung hitzig zu bekämpfen, erscheint uns in der That so sehr als das eigenthümlichste Wesen Leo’s, daß wir glauben möchten, er könnte gar nicht existiren als der er ist, wenn ihm alle Gelegenheit benommen wäre, mit glühendem Eifer gegen allerhand ihm gegenübertretende Elemente loszurennen. Der Subjectivismus ist so stark in ihm vorherrschend, daß er in allen seinen Kämpfen eigentlich weniger im Sinne und Geiste der Partei, die ihn zu den Ihrigen zählen konnte, gestritten hat, als nur in seinem eigenen; sich einer Partei recht eigentlich einzuordnen, wobei doch immer ein theilweises Unterordnen des eigenen Willens unter das Gesammtwollen einer Allgemeinheit vorausgesetzt werden muß, das ist ihm gar nicht möglich und er hat es auch nie gewollt. Dieses gänzliche Gestelltsein auf seinen eigenen Sinn würde auch nie zulassen, daß Leo ein wahrer Katholik sein könnte; sein ganzes Katholisiren beruht wesentlich auf seinem Zorn über den protestantischen Rationalismus, der ihn dem Gegensatze zutreibt; wenn der Katholicismus ihn wirklich mit seinen Schranken umgäbe, so würde sein hier und dort angestoßener Subjectivismus ihn sicher zu demselben Zorne gegen die ihm entgegentretenden Partien des Römerthums anreizen. Seine Zornmüthigkeit hat denn auch oftmals jene zum Theil berühmt gewordenen Ausdrücke hervorgerufen, die wohl nicht eigentlich so böse gemeint sind, wie sie sich ausnehmen: die Worte vom „skrophulösen Gesindel“, vom „frischen fröhlichen Krieg“ und andere. Verglich er doch auch in seinem Zorne die hohen Potentaten Europa’s mit faulen Karpfen, die der muntere Hecht Louis nach weisem Rathschluß der Vorsehung etwas in Bewegung setzen müßte. Seinem Wesen sind derbe Ausdrücke überhaupt zusagend, und er liebt solche auch in gewöhnlicher Rede anzuwenden.

Aus seinem eigenmüthigen Ungestüm folgt nun ganz natürlich, daß er vielfach in Inconsequenzen gerathen ist, indem er entweder ihm äußerlich entgegengebrachten Anreizungen nachstürmte, oder je von den verschiedenen Standpunkten seiner innern Entwickelung aus über alles Vorkommende, für sich selbst immer endgültig, aburtheilte. Denn er selbst ist sich seiner Inconsequenz bewußt geworden, seit er sich von der „demagogischen Narrheit“ losgemacht hat. Diese Unbeständigkeit findet selbst äußerlich ihren Ausdrunck in seiner vielmals geänderten Orthographie, die ihm stets auf dem richtigen Grunde beruhte.

Diese eigenthümliche Art Leo’s klar zu zeigen ist vielleicht nichts geeigneter, als jener gegen Ende der dreißiger Jahre mit der höchsten Leidenschaftlichkeit geführte Kampf gegen die „Hegelingen“. Hier, wo es ihm die Verfechtung der politischen und der religiösen Interessen zugleich zu gelten schien, ließ er, von seinem stürmischen Eifer hingerissen, seinem innern Drange, seinem ganzen Subjectivismus, ohne allen Rückhalt freien Lauf. Hier hat sich seine Zornmüthigkeit in ihrer ganzen Fülle offenbart. Seine Streitschrift „die Hegelingen“ ist so unerschöpflich an wilden Schimpfreden, die weit über das von den Homerischen Helden gebrauchte Maß hinausgehen, daß, wenn man nach längerer Zeit wieder und noch einmal hineinblickt, man jedesmal auf’s Neue über die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit dieses Redeschmuckes in Erstaunen geräth. Und das war eine Schrift des gereiften Mannes, nicht eines noch in unfertiger Gährung brausenden Jünglings. Wir müssen uns hierbei eine Vergleichung Leo’s mit Luther erlauben. Luther behauptete bekanntlich verschiedenen Gegnern gegenüber sehr häufig ganz Entgegengesetztes: was er zum Beispiel im Streite mit den Papisten aufs Heftigste bekämpfte, das vertheidigte er eben so leidenschaftlich, wenn er es mit „Sectirern“ und „Rotten“ zu thun hatte. Aehnliches gesteht Leo von sich selbst willig zu: daß er mancherlei sogenannte Aeußerlichkeiten der katholischen Kirche gegenüber den Protestanten (er meint natürlich nur die „strohtrockenen“ Rationalisten) vertheidige, dagegen „eifernden Katholiken“ deren Werth streitig mache. – Aber solcher Wechsel im Bejahen und Verneinen tritt bei Leo häufig auch, je nach dem augenblicklichen Bedürfniß, viel jäher ein. So hebt er z. B. irgendwo in den „Hegelingen“ hervor, daß er zu Gunsten des Katholicismus und der Jesuiten geschrieben habe, und an einer andern Stelle daselbst spricht er von einem „jesuitischen Schandsatz“, den er natürlich einem Gegner in die Schuhe schiebt. Einmal erklärt er wieder die Abstammung von jüdischem Geschlechte, die ein Gegner bei ihm gewittert zu haben meint, für etwas sehr Erhabenes und bedauert, sich ihrer nicht rühmen zu können, und anderswo weiß er drei Widersacher, die er erst mit christlichen Namen genannt hat, nicht schärfer zu treffen, als indem er sagt, sie könnten vielleicht auch „Jekef, Schmuel und Levi“ heißen.

Daß in jener Streitschrift sehr viel denuncirt wird (dabei aber das Denunciren immerfort den Gegnern vorgeworfen), daß sogar der Censurbehörde ein Wink mit ganzem Arme gegeben wird – oder eigentlich der betreffende Censor wegen Nichterkennens der hinter Hegelingischen Phrasen verborgen lauernden Gefahr für Staat und Religion denuncirt wird –, das wollen wir gern weniger Leo’s Individualität zur Last legen, als dem Einflusse der staatlichen Atmosphäre, in welcher er damals athmete, die Schuld daran beimessen – noch standen ja Menschen wie Tschoppe in Geltung! Aber das erscheint der Eigenart Leo’s ganz angemessen, daß er am Schlusse einer solchen Streitschrift sich in ein brünstiges Gebet ergießt; sein hitziger Subjectivismus läßt ihn nicht zweifeln, daß der Herrgott bei dem Gezänk mit den Hegelingen eben so tief interessirt ist wie er selbst.

Von seinen wissenschaftlichen Leistungen können wir hier nur wenig erwähnen. Hat er auch seit 1831 nur im Geiste politischer und religiöser Reaction geschrieben, so kann doch von keiner Seite her geleugnet werden, daß er in seiner Entwickelung der Verfassung der lombardischen Städte, in seiner jüdischen Geschichte – von der er sich freilich losgesagt –, dann in der Geschichte des Mittelalters, in der Geschichte der italienischen Staaten, wie in seiner Universalgeschichte Anerkennenswerthes geleistet hat. Im Interesse seiner historischen Forschungen unternahm er auch sprachliche Studien über das Altsächsische, Angelsächsische, Keltische u. a., und war hier eigentlich bahnbrechend. Freilich war das für ihn ein besonders günstiges Feld, wo er, ohne leicht auf Widerspruch zu stoßen, seinen eigenen Ansichten und Eingebungen unbeirrt nachgehen konnte.

Als Universitätslehrer hat Leo zahlreiche Zuhörer gehabt, die, durch seinen lebendigen Vortrag angezogen, sich um ihn sammelten. Aber eine historische Schule hat sich um ihn nicht gebildet. Für einen solchen Erfolg war seine Eigenthümlichkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_438.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)