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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Sie thun ihm Unrecht,“ versetzte Demoiselle Benedicte warm, „er hat so offen mit mir geredet … allerdings, er hat mir gestanden, daß sich das Volk rüstet, dem Heere des Kaisers beizustehen, und daß er selbst …“

„Einer der Haupträdelsführer ist … freilich, freilich, wer weiß es nicht – aber dem Heere des Kaisers beizustehen? Glauben Sie ’s nicht, Demoiselle, glauben Sie ’s nicht … es ist Alles Lüge, Lüge, Komödie. Sie sind nicht besser als die Jakobiner auch, sind alle Sansculotten, und sie wollen nur die Waffen in den Händen haben, und hernacher, wenn sie gerüstet und in der Macht sind, dann werden wir’s erleben.“

„Ich weiß von diesen Sachen nichts,“ antwortete Benedicte betroffen; „ich habe nur gehört, daß ein Theil der Landbevölkerung sowohl wie der Bewohner der Städte den Franzosen als Befreiern und Verbreitern freierer und menschlicherer Staatseinrichtungen mit Freude entgegengesehen; daß aber jetzt ein furchtbarer Umschwung in dieser Gesinnung eingetreten; daß die Art, wie die Franzosen ihren Verheißungen durch ihr Auftreten Hohn gesprochen, wie sie geplündert, die Menschen mißhandelt und das Vieh gemartert, aus Frevelmuth der Leute Eigenthum zernichtet und die Altäre geschändet haben, eine tiefe Empörung hervorgerufen hat und daß, wenn die Franzosen geschlagen sind –“

„Geschlagen sind – die Franzosen geschlagen sind!“ fiel hier der Schösser ein, während die Runzeln seines gelben Gesichts in wunderlich zuckende Bewegung geriethen – „als ob die Franzosen geschlagen würden! Die werden nicht geschlagen, ich sag’s der Demoiselle, ich, der dabei war …“

„Bei den Franzosen?“

„Nein, dabei, wenn sie nicht geschlagen wurden; zehn Mal … ein Dutzend Mal …“

„Aber mein Gott, bei Amberg hat doch der Erzherzog …“

„Lügen, Lügen, Possen! Alles nur Vorwand des Rebellenpacks, das losschlagen will. Bin auch Soldat; war bei den Reichstruppen, bei den Ritterschaftlichen, bei den Erzstift-Mainzischen; auf Ehre, wir haben unsre Schuldigkeit gethan; aber geschlagen? geschlagen haben sie uns – immer sie uns! Das läßt sich nicht schlagen! Aber darin hat die Demoiselle Recht – die Empörung, die Rebellion, die Republik, die werden wir haben, sehr bald haben – und den Herrn da drüben, den Herrn Wilderich werden wir an der Spitze sehen … sie mag mir’s glauben!“

„Ich glaube,“ versetzte die Demoiselle Benedicte erregt, „es ist unrecht von Ihnen, so von einem Manne zu reden, dem Sie nichts Bestimmtes vorwerfen können, als daß er eben ein Fremder in dieser Gegend ist.“

„Ein Fremder – ein Wildfremder,“ rief der Schösser aus – „wildfremd mitsammt seinem Kinde!“

„Sammt seinem Kinde? War er verheirathet?“

„Verheirathet? Der? Nichts davon … es ist nichts davon bekannt … aber ein Kind hat er … hat’s bei sich … Jedermann kann’s sehen.“ …

Benedicte wandte ihr Gesicht ab von dem Zucken der Runzeln in des Gestrengen Antlitz und den Blicken voll häßlicher Bedeutung, die auf ihm lagen.

„Was geht’s uns an!“ sagte sie. „Ich glaube, Eurer Gestrengen Ziegen meckern!“

„Ja, ja,“ sagte der Ritterschaftliche, „ich will gehn und ihnen einen Arm voll Laub bringen.“




3.

Während der Schösser davonstelzend dieser friedlichen Beschäftigung nachging und das junge Mädchen sich über ihre Arbeit bückte, und den Hof von Haus Goschenwald der Frieden und die Stille seiner Weltentrücktheit umfing, spielten sich jenseits der Berge, welche seinen Horizont schlossen, desto stürmischere Scenen, desto gewaltsamere Ereignisse ab.

Schon seit dem Morgengrauen war die Heerstraße, die sich durch diese Bergwelt zog, eigenthümlich belebt worden von allerlei kriegerischem Transport. Von Zeit zu Zeit war ein bewaffneter Reiter in der Richtung nach Westen dahergesprengt. Es waren einzelne Fuhrwerke gekommen, belastet mit verwundeten Menschen; andere schienen allerlei geplünderte Habe zu enthalten, große Koffer und Kisten, gefüllt mit weiß Gott welchen Gegenständen, die man eilte, auf der Rückzugslinie des Heeres in Sicherheit zu bringen. Von kleinen Abtheilungen umgeben marschirten Haufen entwaffneter Soldaten in weißen Röcken oder grauen Mänteln; eine starke Abtheilung von Reitern escortirte drei sich folgende Bauernwagen, auf deren jedem eine große eisenbeschlagene Kiste stand – war es die Kriegscasse, die man in Sicherheit brachte? Die solche Transporte escortirende Mannschaft verrieth wenig von dem lustigen Uebermuth französischer Truppen auf dem Marsche; sie sahen abgerissen, müde, verdrossen aus, sie fluchten und wetterten; die Bauern, welche die requirirten Wagen führten, erhielten flache Säbelhiebe, die Thiere auch wohl scharfe, mehrere von ihnen bluteten. Die Republik hatte ihre Heere im Jahre 1796 uniformirt in’s Feld gesandt, es waren nicht mehr die wilden bunten Schaaren, die in den vorhergehenden Jahren das linke Rheinufer überschwemmt; und doch sahen auch diese Truppen bunt genug aus – manch geplündertes Stück hatte zum Ersatz der zerrissenen Montur gedient, neben dem alten Troupier, der im Mantel und in den hohen Stiefeln eines ehrwürdigen Landpfarrers aus der Gegend von Schweinfurt marschirte, wandelte ein junger Sergeant unter dem dreieckigen Federhut eines würzburgischen Cavaliers oder hinkte ein Verwundeter, drapirt in den schwarzen Ordensmantel mit dem weißen Kreuz darauf, der in irgend einer Commende des deutschen Ritterordens erbeutet sein mußte.

Das Gerücht von dem Schauspiel, das die Heerstraße von Würzburg nach Frankfurt darbot, war die Waldthäler rechts und links hinaufgedrungen, auch bis zur Mühle in der Schlucht; die Frau und die Schwiegermutter des Gevatters Wölfle standen eben vor dem Forsthause und redeten auf Muhme Margareth ein … sie solle sie hinab begleiten, sie wollten sehen, was da vorginge … Muhme Margareth schwankte … wo sollte sie den kleinen Leopold lassen unterdeß … bei des Müllers Kindern, das hatte Wilderich verboten – aber der Herr Wilderich war ja nicht daheim … er war um diese Zeit nie daheim, sondern ging seinen Geschäften nach … Muhme Margareth konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie nahm den kleinen Burschen, der an ihre Röcke sich schmiegend neben ihr stand und verwundert über alles das, was die Müllerfrauen erzählten, sie mit seinen großen braunen Augen anblickte, bei der Hand, ihn hinüberzuführen – da riß das Kind sich los und lief mit dem Ausruf: „Bruder Wilderich!“ die Schlucht hinauf.

Wilderich war es in der That, der von Goschenwald zurückkehrend eben daherkam und, als er durch den kleinen Garten vor seinem Hause schritt, mit sehr ernstem Gesicht den Frauen einen Gruß zunickte und zu Margareth sagte:

„Komm mit hinein, Margareth, ich habe mit Dir zu reden!“

„Wahrhaftig,“ flüsterte Margareth zu den Frauen gewendet ihm nach, „der lebt nicht lange mehr, wenn er endlich einmal zu reden beginnt.“

Sie trat ihm nach über die Treppenstufen in die Küche, wo Wilderich seine Waidtasche vom Pflock nahm und sie mit allerlei Gegenständen zu füllen begann, die er aus seinem Zimmer herbeiholte.

„So,“ sagte er dann, „nun braucht nur noch der Sepp zu kommen … bereit wären wir … und bis er kommt, höre fein zu, Margareth, was ich Dir zu sagen habe.“

„Ich hör’ schon zu, Herr Wilderich,“ antwortete Margareth … „Ihr seid Keiner von denen, die so viel sprechen, daß man nicht darauf hört; und wenn Ihr nun endlich sagen wollt, was Ihr eigentlich vorhabt … ich denk’, zu früh ist’s nicht mehr!“

„Just die rechte Stunde, alte Muhme. Und nun sollst Du Alles wissen. Du weißt, wir haben Krieg mit den Franzosen, hier in Franken, in Schwaben und jenseits der Berge, wo der Bonaparte … hast Du von dem gehört?“

„Bonaparte?“ wiederholte Muhme Margareth und schüttelte dann den Kopf. „Nein, von dem hab ich nicht gehört; und was ist mit dem?“

Wilderich ging und holte ein Stück Kreide herbei. Damit machte er einen langen Strich auf dem Anrichtetisch.

„Schau,“ sagte er, „das hier ist der Rhein, der fließt an der Westseite des Reichs. Und hier oben gen Süden, wo ich diesen zweiten Strich mache, da sind die Alpen. Und hier links, diesseits der Alpen, da ist Wien … begreifst Du?“

„In Wien, da ist der Kaiser, das begreif’ ich schon!“ rief Margareth aus.

(Fortsetzung folgt.)
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