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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Der Herr Schösser,“ fiel sie ein, „hat endlich den Brief der Aebtissin gelesen und mir die besten Zimmer dort oben“ – sie deutete auf den vorspringenden Flügel des Baus – „eingeräumt; er spricht zwar nur mit den Augen, der Herr Schösser, aber er scheint ein friedlicher, wohlmeinender Herr; auch ist er nicht so abgeneigt, auf eine Frage eine Antwort zu geben, wie es scheint. Man muß ihn nur dabei, die Haushälterin hat es mir verrathen, Eure Gestrengen nennen. Die Zimmer sind recht wohl erhalten, sie haben eine hübsche Aussicht, und ich bin durchaus nicht unzufrieden, sie mit meiner Zelle vertauscht zu haben …“

„Und diese Tracht, die so viel kleidsamer und, wenn ich es zu sagen mir herausnehmen darf, so viel passender für die Demoiselle ist, mit dem schwarzen Habit … in welchem ich mich gar nicht recht Sie anzureden getraute!“

Sie nickte lächelnd.

„Ich war nur Novize, oder auch das nicht einmal so recht im Kloster,“ sagte sie, „… ich trug das schwarze Habit wie eine Art Verhüllung, und ich habe es abgelegt, da es doch nur eine Entweihung desselben wäre, wenn ich es hier vor den Leuten beibehalten und so Parade mit einem frommen und sehr ernsten Berufe gemacht hätte, der meiner Seele ganz fremd ist, für den ich gar nicht würdig genug bin. Es ist sicherlich nicht Eitelkeit, wenn ich Ihnen heute so verwandelt und verweltlicht erscheine – nein, nur Ehrlichkeit!“

Sie sah ihn dabei mit Augen an, aus denen diese Ehrlichkeit hervorleuchtete.

Wilderich gerieth immer tiefer in den Zauberbann dieser Augen, er kam sich dabei, weil er nichts zu antworten, nichts Sinniges oder Kluges vorzubringen wußte und das Roth der Verlegenheit auf seinen Wangen brennen fühlte, entsetzlich hölzern und täppisch vor; er suchte nach einem Schluß der Unterredung und mochte sich doch auch von der Stelle, wo er stand, nicht losreißen.

„Die Kloster-Tracht,“ sagte er nach einer Weile, „würde Sie vielleicht doch besser geschützt haben, wenn der Sturm hier in unsern Waldbergen losbricht.“

„Der Sturm? Sie meinen?“

„Ich meine den Kampf, der sich hier in der Stille vorbereitet. Ich darf es Ihnen ja sagen. Sie wissen, daß die Franzosen oben im Lande zurückgeworfen sind; eine zweite Schlacht, vielleicht in der Gegend von Würzburg, wird hoffentlich ihre Macht völlig brechen und sie zwingen, sich durch die Wälder hier auf den Rhein zurückzuziehen. In diesen Wäldern aber werden sie alsdann vernichtet werden.“

„Mein Gott, Sie sprechen das so bestimmt aus – Sie glauben, der Erzherzog Karl wird sie hier auf dem Rückzuge angreifen …“

„Nicht das. Der Erzherzog Karl wird mit seiner Armee für die Waidmänner des Spessart der Treiber sein, der sie ihnen wie ein gehetztes Wild in den Schuß treibt! Wir sind bereit und gerüstet, sie zu empfangen. Es ist Alles vorbereitet. Wir haben im Stillen für Waffen gesorgt, die Männer im Gebrauch derselben geübt, die Anführer und Rotten aufgestellt, die Punkte, wo die Angriffe erfolgen sollen, bestimmt – warten Sie ein paar Tage, und Sie werden auch hier in Goschenwald hören können, wie’s drüben in den Thälern, wodurch die Straßen ziehen, knattern und knallen wird …“

„Mein Gott, was sagen Sie mir da!“ rief das junge Mädchen erschrocken, „und das soll hier unter meinen Augen vorgehn?“

„Hier – schwerlich! Seien Sie darüber beruhigt! Göschenwald liegt in gerader Linie fast eine Stunde von der Heerstraße entfernt. Sie werden höchstens die Jäger sehn, nichts von der – Jagd!“

„Das ist aber doch fürchterlich … und Sie, Sie selbst?“ versetzte sie, indem sie in das von dem Ausdrucke wilden Muthes und der Kampfeslust glühende Antlitz Wilderich’s blickte.

„Ich selbst – ich bin Waidmann – im Spessart angestellt; durch mein Revier zieht ein gutes Stück der Rückzugslinie des Feindes; möchten Sie da meine Büchse feiern sehn?“

Sie antwortete nicht. Ihre Züge waren bleich geworden.

„Schrecklich ist es aber doch,“ sagte sie dann, mit dem Ausdruck der Angst zu Wilderich aufblickend, „es hat mich so entsetzt, daß ich noch in dieser Stunde wieder aufbrechen und mich weiter flüchten möchte! – Aber wohin, wohin? Ich weiß keinen Winkel auf Erden, der mich aufnähme, wenn ich diesen hier verließe, keinen Winkel, keine Stätte! O mein Gott!“ setzte sie halb wie für sich und den Blick von Wilderich abwendend, um mit ihm in die Ferne hinaus zu schweifen, hinzu, „ich bin ja nun einmal verlassen von Allen, verlassen und verloren! So muß es denn über mich kommen, ich muß es überstehen, so gut es zu überstehen ist!“

„Es thut mir leid,“ versetzte Wilderich bewegt, „daß es Sie so erschreckt, so zittern macht. Hätt’ ich’s Ihnen lieber nicht verrathen, wie wir’s bis heute verborgen gehalten vor aller Welt, außer denen, die’s anging, die den nöthigen Haß im Herzen, die nöthige Kraft in den Muskeln und Sehnen haben, um zu helfen, mit einem heiligen Wetterschlage in das böse Volk, das unser Vaterland höhnt, beschimpft, ausraubt und zertritt, zu fahren! Doch ich dachte, Ihnen dürfte ich’s sagen; mir ist, als dürft’ ich eben Ihnen Alles sagen, Ihnen müßt’ ich Alles sagen … und dann, dann, dachte ich, seien Sie vorbereitet und ängstigten sich nicht, wenn Sie wüßten, daß Alles wohlgeordnet, Alles vorgesehen ist; daß nicht tollkühne Menschen sich um Sie her leichtsinnig in den Untergang stürzen, sondern daß ein überdachter Plan das entschieden eingreifende Handeln des Volkes regelt. Das Volk will zeigen, daß es auch die Waffe zu handhaben versteht und alte Schmach zu rächen weiß, und daß, so viel man auch gethan, seine Kraft, seinen Muth, sein Selbstbewußtsein in dem Modersumpf unsres Reichswesens zu ersticken, diese Kraft doch noch lebendig ist und zu siegen weiß, wenn man ihr nur Raum läßt, sich zu offenbaren. Um das an den Tag legen zu können, hat es sich aber vorgesehen, damit es nicht bei dieser Erhebung eine klägliche Rolle spiele und zum Spotte Derer werde, welche es verachten. Es hat seine Maßregeln dawider getroffen. Es wird kein Kinderspiel werden, sondern ein ernstes Stück Arbeit. Aber fürchten Sie Nichts … es wäre nicht wohlgethan, wenn Sie drum diesen Aufenthalt verlassen wollten, falls Sie so allein stehen in der Welt, wie Sie sagen –“

„Das thu’ ich,“ versetzte das junge Mädchen, zu Boden blickend, „allein, ganz allein!“

„Das ist ein hartes Loos,“ erwiderte Wilderich weich und mit gedämpfter Stimme. „Für ein junges Mädchen doppelt, obwohl es auch die Seele eines Mannes wunddrücken kann, wenn er sich sagen muß: Du bist allein in der Welt, die Deinen sind alle dahin, sind todt, du selbst bist wie ein loses Blatt in diese Thalschlucht, in diese Berge, in diese Welt hineingeweht, ohne daß du weißt, was dich eigentlich dahin bringt; ohne daß das Bewußtsein des Fremdseins in dieser Welt für dich aufhört; ohne daß sich Fäden spinnen zwischen ihr und deinem Gemüth, die dir endlich das Gefühl, eine Heimath zu haben, gäben; ohne daß die alte quälende Empfindung der Herzensleerheit ein Ende fände, und das ewige schmerzliche Träumen von einem Glück, das irgendwo jenseits der grünen Bergwaldkämme im Ost oder im West für dich existiren müsse, je aufhörte …“

„Und ist’s Ihnen so zu Muthe – Ihnen – hier?“ fragte lebhaft das junge Mädchen.

„So ist’s,“ sagte er. „Ich bin fremd hierhergekommen, seit wenigen Monden. Ich bin zu Hause in der Unterpfalz, aus der Gegend von Zweibrücken. Da ist nun Alles französisch drüben. Mein Vater war Forstmeister dort, ein alter Mann, gichtgelähmt, ich durfte ihn nicht verlassen – so hielt ich’s aus – ich sollte sein Nachfolger werden und versah den Dienst für ihn schon seit mehreren Jahren; ich hielt es aus trotz der neuen Wirthschaft dort; als aber mein Vater gestorben, da hielt mich nichts mehr zurück, ich gab meine Stellung und Aussicht auf, und der Kurfürst von Mainz, der jetzt in Aschaffenburg sitzt, gab mir ein vernachlässigtes Revier, sein entlegenstes – dieses hier!“

Das junge Mädchen sah ihn an, ohne zu antworten.

„Sie klagen mit Unrecht,“ sagte sie dann nach einer Weile, „über solch’ ein Lebensloos. – Es giebt härtere. Keine Heimath zu haben ist besser, als eine zu haben, die uns ausgestoßen hat; keinen Kreis verwandter und geliebter Menschen zu besitzen, besser, als in dem, der uns gehört, Hader, Feindschaft und tödtlichen Haß zu wissen!“

Wilderich nickte leise und sinnend auf die Sprechende vor ihm blickend. Ein unendliches Mitleiden mit ihrem Loose erfüllte ihn, da er sofort annahm, daß sie nur von ihrem eigenen reden könne.

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