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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Der Leipziger Buchhandel.

Bei der großen und tiefeingreifenden Bedeutung, welche Leipzig nicht allein für den deutschen, sondern für den Buchhandel aller Länder der Erde gewonnen hat, wird es unseren Lesern gewiß nicht unwillkommen sein, wenn wir vor seinen Augen ein anschauliches Bild von dem Leben und Treiben entrollen, welches in der Metropole des Buchhandels herrscht. Wir werden versuchen, dasselbe mit kurzen, aus dem Leben gegriffenen Zügen zu schildern, und wünschen dadurch manchen unklaren Begriffen entgegenzutreten, welche bei Vielen über den Buchhandel und das, was mit ihm zusammenhängt, verbreitet sind.

Wir haben zunächst darauf hinzuweisen, daß der Anfang von Leipzigs Bedeutung für den Buchhandel namentlich vom Jahre 1765 datirt. In diesem Jahre war es, wo die deutschen Buchhändler durch die immer mehr überhandnehmenden Beschränkungen und Bedrückungen von Frankfurt a. M., dem damaligen Centralpunkt des Buchhandels, verdrängt und namentlich durch die Bemühungen eines Nicolai, Reich u. A. nach Leipzig gezogen wurden. Der Grund zu einem deutschen Buchhändlerverein wurde in demselben Jahre gelegt, und hatte derselbe auch mit vielerlei Schwankungen und Unterbrechungen zu kämpfen, so war er doch die Basis, auf welcher sich 1825 der noch jetzt bestehende Börsenverein der deutschen Buchhändler mit 108 Mitgliedern constituirte. Welche segensreiche Früchte er trug, das wird ein Blick auf das 1836 geschaffene Gebäude „die deutsche Buchhändlerbörse“ lehren, und das wird die Angabe bestätigen, daß der mit 108 Mitgliedern entstandene Verein jetzt gegen 1000 Mitglieder umfaßt.

Und für alle diese Mitglieder bildet Leipzig den Vorort, den Mittel- und Schwerpunkt, um den die buchhändlerische Thätigkeit kreist. An seinen Commissionair in Leipzig schickt der Verleger seine Verlagswerke, damit sie dort in seinem Namen verschickt und nach den einlaufenden Bestellungen expedirt werden. Nach Leipzig schickt der Sortimentshändler alle bei ihm eingehenden Bestellungen auf Bücher, gleichviel ob sie in Deutschland oder im Ausland erschienen sind, damit sie dort für ihn gesammelt und ihm vereint zugesandt werden. Der Commissionair ist es, welcher zur Ostermesse alle Zahlungen für seine Committenten leistet oder in Empfang nimmt, und geben wir hierdurch eine kurze Andeutung über das Wesen des Commissionairs, dieses wichtigen Factors des gesammten Buchhandels, so mögen einige Zahlen sprechen, um die Ausdehnung dieses Geschäftszweiges zu erläutern. Leipzig, welches freilich theilweise nur als Uebergangspunkt, theilweise auch selbst erzeugend, in Betracht gezogen werden muß, versendete 1867 gegen 130,000 Centner Bücher, welches Gewicht im Jahre 1868 wohl ziemlich erheblich überschritten worden sein wird; bedenkt man, daß ein vielleicht ziemlich gleiches Quantum nach Leipzig einwandert, erwägt man ferner, wie oft ein einziger Bücherballen hunderte von Beischlüssen von verschiedenen Buchhändlern aus allen Weltgegenden enthält und wie dabei natürlich alles bis auf das Kleinste sorgsam pro und contra notirt und gebucht werden muß, so wird man einen Begriff von der umfassenden Thätigkeit des Commissionairs erhalten.

Haben wir den Blick zunächst über das Commissionsgeschäft, welches den Verhältnissen gemäß das bedeutendste Deutschlands ist, streifen lassen, so wenden wir uns jetzt zu dem Verlagsgeschäft und haben die Freude, auch auf diesem Zweige Leipzig als Stern ersten Ranges leuchten zu sehen. Der uns zugemessene Raum gestattet nicht, specieller auf Entstehung, Fortgang und die eigenthümlichen Verhältnisse desselben einzugehen, und es mögen deshalb auch hier wieder Zahlen sprechen, um die vorstehende Behauptung zu rechtfertigen. Nach Schürmann’s sehr empfehlenswerther Schrift „Leipzig als Centralpunkt des deutschen Buchhandels“ (Leipzig, G. Reusche), erschienen an Büchern aller Art:

  1789        1859
In Deutschland insgesammt         2115 9095
Davon in Leipzig 355 1582
Davon in Berlin 261 1299

Aehnliche Verhältnisse walten auch heute noch ob[1] und wir ersehen daraus, daß Leipzig seit langer Zeit ein Sechstel und Berlin ein Achtel der deutschen Gesammtproduction vertritt. Berücksichtigen wir dabei, daß eine Weltstadt, wie Berlin, eine große Anzahl speciell für dort berechneter Schriften, Eintagsfliegen und für den Massenabsatz berechneter Schriften hervorbringt, was hier in viel geringerem Grade der Fall ist, so steigt Leipzigs Bedeutung in hohem Grade und beweist zur Genüge, daß es auch in dieser Beziehung den ersten Platz in Deutschland einnimmt. In Bezug auf die Zahl von Zeitungen und Zeitschriften, welche in Leipzig und Berlin erscheinen, figurirt Leipzig zwar erst in zweiter Reihe (hier erscheinen etwa 128, in Berlin 194 Zeitungen und Zeitschriften); man muß aber dabei die nicht geringe Anzahl solcher Blätter in Erwägung ziehen, welche in Berlin Organ der vielen dortigen Behörden sind und in der Regel nichts als amtliche Verordnungen enthalten.

Wir können es an dieser Stelle nicht unterlassen, einen Blick auf die Ausdehnung des Zeitungswesens überhaupt zu werfen, und bitten unsere Leser, uns einen Augenblick nach der Zeitungsexpedition des Leipziger Postamts zu folgen. Treten wir hier am Hauptversandtag (am Freitag) ein, so sind wir gewiß über die kolossalen Massen der heranströmenden Wochen- und Tageblätter erstaunt. Zwölf Ober- und zwölf Unterbeamte sind fast ununterbrochen und heute namentlich bis tief in die Nacht hinein damit beschäftigt, die Zeitungen in die nach Speditionsgruppen geordneten Sortirfächer zu vertheilen, und mehr als 2000 Pakete führen sodann dem leselustigen Publicum nach allen Himmelsgegenden hin den ersehnten neuen Stoff zu. So steht das Leipziger Postamt in so fern einzig in Europa da, als es neben den vielen anderen Blättern von einer Zeitschrift (Gartenlaube) allein eine Auflage von mehr als 28,000 Exemplaren in wenigen Stunden zu expediren hat. Die angestrengteste Thätigkeit erheischt aber der Quartalwechsel, wo während eines kurzen Zeitraumes mehr als 10,000 Bestellzettel aus allen Ecken und Enden Deutschlands einlaufen und in kürzester Zeit expedirt werden müssen.

Doch kehren wir zum Leipziger Verlagsbuchhandel zurück; konnten wir die Zustände und Erfolge desselben als sehr erfreuliche bezeichnen, so mag es uns gestattet sein, hier noch einiger Unternehmungen zu gedenken, welche mit Rücksicht auf die jüngste Vergangenheit der Erwähnung verdienen.

Wir meinen das Erscheinen des funfzigsten Bandes der allgemein bekannten und geschätzten Illustrirten Zeitung von J. J. Weber und das Erscheinen des tausendsten Bandes der Tauchnitz collection of British authors. Wir meinen ferner ein periodisches Unternehmen, welches in seinen Erfolgen bis jetzt unerreicht dasteht, nämlich die von E. Keil herausgegebene „Gartenlaube“, welche jetzt in einer Auflage von 270,000 Exemplaren gedruckt und in allen Theilen der Erde verbreitet und gelesen wird. Nur nebenbei sei hier bemerkt, daß sich der Papierbedarf dieses einzigen Blattes auf 600 Ballen oder 30 Millionen Bogen im Gewicht von 14,100 Centner und einem Geldbetrage von über 200,000 Thaler jährlich beläuft und daß die Druckerei, welche vermittelst Dampfbetriebes 15 Schnellpressen größten Formats, sowie 6 Satinirmaschinen Tag und Nacht nur allein für dieses Unternehmen beschäftigt, mit der Herstellung und dem Druck einer einzigen Nummer über vierzehn Tage zu thun hat.

Nicht zufällig, sondern bezeichnend für Leipzigs literarische Bedeutung ist es wohl auch, daß fast alle bibliographischen Hülfsmittel, die der gesammte Buchhandel täglich benutzt, hier am Orte erschienen sind. Wir zählen dahin außer dem alten Georgi’schen Lexicon und den wohlbekannten Meßkatalogen die großen Bücherlexica von Heinsius und Kayser, die halb- und vierteljährlichen Hinrichs’schen Bücherverzeichnisse, die fünfjährigen von Kirchhoff begründeten allgemeinen Kataloge, sowie namentlich auch die vortrefflichen Engelmann’schen Specialkataloge über fast alle Theile der Literatur. Ebenso bildet das hier erscheinende Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, abgesehen von seinen praktischen Zwecken, den geistigen Tummelplatz für alle den gesammten Buchhandel betreffenden oder zu ihm in engerer oder weiterer Beziehung stehenden Fragen.

Wir können vom Verlagsbuchhandel nicht Abschied nehmen, ohne einen flüchtigen Blick auf diejenigen Gewerbe zu werfen,


  1. 1868 wurden in Deutschland gegen 12,000 Werke, in England in demselben Jahre nur 4300 publicirt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_422.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)