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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

,Goschenwald – das liegt in meinem Revier – ich bin der Revierförster von Rohrbrunn – wenn Sie nach Goschenwald wollen, so ist es just auch mein Weg – mein Forsthaus liegt in der Schlucht am Wege nach Goschenwald - so stotterte ich abgebrochen heraus … ,Wie weit es ist? Es wird zu weit sein, daß Sie es noch bei hellem Tage erreichen – wenn Sie ermüdet sind, heißt das, ehrwürdige …‘ ich verschluckte verlegen das Wort: ehrwürdige Mutter … solch ein junges Geschöpf? ich ward ganz roth dabei.

Sie blickte noch einmal zu mir auf – diesmal flüchtiger; dann, nach ihrem Bündel fassend, sagte sie:

‚So will ich weiter gehn, wenn Sie mir den Weg zeigen wollen.‘

Ich griff nach ihrem Bündel, es ihr zu tragen, und sie ließ es mir. Weiter zu reden wagte ich gar nicht, ich wußte nicht, wie ich sie anreden solle, aber sie selber begann nach einer Pause wieder:

‚Ich war Novize im Kloster Oberzell,‘ sagte sie. ,Es kam die Nachricht, daß die französische Armee geschlagen und im vollen Rückzuge sei; die ehrwürdige Mutter Aebtissin kündigte uns an, daß wir allesammt das Kloster verlassen und uns zu unseren Verwandten flüchten sollten. Ich habe keine Verwandte, und so gab mir die Aebtissin ein Schreiben an den Herrn Schösser von Goschenwald, weil dies Haus verborgen und abseits von der Heerstraße liege.‘

‚Und den Weg von Oberzell bis hierher haben Sie zu Fuß gemacht?’ fragte ich verwundert.

,Nicht ganz,‘ sagte sie; ,bis Heidenfeld fuhr ich mit zwei älteren Schwestern, die von da aus das Mainthal weiter hinauf reis’ten.’

,Dann blieb Ihnen doch eine gute Strecke zu Fuß zu machen übrig, bevor Sie bis hierher kamen,‘ versetzte ich.

‚Ich bin auch müde,‘ versetzte sie; ‚aber es wird ja gehen. Wenn man muß, geht Alles!’

„Ich war recht linkisch und einfältig,“ fuhr Wilderich zu erzählen fort, „ich wagte nicht, ihr meinen Arm anzubieten, als es nun in unsre Schlucht hinein und bergaufwärts ging; noch auch ihr von dem Wein zu bieten, den ich in meiner Waidtasche trug – ich ging ganz kleinlaut neben ihr her, wohl eine halbe Stunde lang. Ich weiß nicht, ob das vielleicht sie muthiger und mittheilsamer machte; denn sie begann nun zu sprechen. Sie fragte, in wessen Dienst ich stände, und ob ich Haus Goschenwald und die Menschen, welche dort wohnten, kenne, und dann, erzählte sie von dem Aufruhr und dem Schrecken der guten Nönnchen, als die Nachricht gekommen, die sie wie eine Schaar aufgeschreckter Tauben aus ihrer stillen Clausur fortgetrieben, wie die frommen Gottesbräute so hastig gepackt und kopflos durcheinander gelaufen und nach Fuhrwerk geschrieen, und wie die jüngeren sich ’s lachend gefallen lassen und die älteren geweint und gejammert – und das Alles, wie sie ’s schilderte, hatte so etwas, wie soll ich sagen, nichts Lächerliches, es war gar natürlich und selbstverständlich aber wie sie ’s erzählte, mußte ich doch ein paar Mal lachen, und es war mir, als ob das junge Mädchen trotz ihres Novizenthums und ihres schwarzen Habits doch vor dem Klosterwesen und Nonnenthum nicht den geringsten Respect habe!“

„Und dann?“ fragte Margarethe.

„Dann,“ versetzte Wilderich, „kamen wir hier am Hause vorüber und ich sagte ihr, daß ich hier wohne – allein mit Euch, Margarethe, des vorigen Revierförsters Muhme, die schon dem alten Manne lange, eine treue Pflegerin gewesen – das Haus sei alt, und das Revier groß – der Dienst sei schwer, wenn man aber dabei groß geworden und von Jugend auf dazu dressirt, so halte man’s schon aus … und da sagte sie: ‚wenn auch das Haus verfallen genug aussehe, so sei es doch mein Haus, und wenn der Wald, den ich zu hüten habe, auch weit und groß sei, so sei es doch der schöne, stille, freie Wald, in den keine Menschen mit ihrer Noth und ihrem Leid kämen, keine Menschen mit ihren bösen und verderblichen Leidenschaften – es sei doch Jeder glücklich, der ruhig und geachtet am eigenen Heerde leben könne und das Schicksal der Heimathlosen und Ausgestoßenen nicht kenne! Das sagte sie mit einem Tone, einem so traurigen und ergreifenden Tone, daß ich gar nicht wußte, was ich darauf antworten sollte – es hat mir seitdem gar nicht aus dem Kopfe herausgewollt, was für ein Schicksal es sein kann, das sie so jung in’s Kloster getrieben, daß sie jetzt sich eine Heimathlose und Ausgestoßene nannte. Ich war von dem Augenblick an so betroffen und kleinlaut, daß ich nicht mehr wagte, irgend eine Frage an sie zu stellen … Sag’ mir um Gotteswillen, Margareth, wer kann sie sein, was kann sie erlebt haben, daß sie mit so traurigen Augen in die Welt blickt, mit so traurigen Worten redet? Mein Gott, was muß ihr angethan sein, daß sie einem armen Teufel, der, wie ich, in der öden Einsamkeit dieser Waldschlucht in solch einem schiefgesunkenen Malepartus sitzt, beneidet … und dabei so jung, so schön, so bezaubernd schön? …“

Bezaubert hat sie Euch, so viel ist gewiß. Aber was kann ich davon wissen?“ rief Margarethe achselzuckend aus; „Ihr habt mir ja noch nicht einmal das Ende der Geschichte erzählt.“

„Meine Geschichte ist zu Ende – ich brachte sie bis nach Goschenwald. Erwartet war sie da nicht. Auf der Brüstung der, alten Steinbrücke vor dem Thorbau saß der alte Schösser in seiner rothen Lieutenantsuniform, die er nie ablegt; er saß steif und gerade da, der Zopf stand ihm hinten vom Kopfe ab, just so weit, wie vorn die irdene Tabakspfeife, die er im Munde hatte und aus der er blaue Dampfwolken blies, so beharrlich und still für sich hin, als ob er das Abenddunkel zurecht rauchen müsse und die Schatten der Nacht ohne seine blauen Wolken nicht fertig würden. Die Nonne trat an ihn heran, zog schüchtern und leise redend einen Brief hervor und gab ihn dem Alten, er sei von der hochwürdigen Frau Aebtissin von Oberzell. Der Schösser besah ihn von allen Seiten; dann steckte er ihn in die Tasche und sagte, es sei zu dunkel, um ihn zu lesen – dabei blieb er steif und reglos sitzen und sah uns an, bald den Einen, bald die Andere.

‚Aber es scheint,‘ sagte ich, ‚die Demoiselle rechnet darauf, in Goschenwald Aufnahme zu finden …‘

‚Die Aebtissin ließ es mich in der That hoffen,‘ fiel sie ein.

‚Bis anhero haben wir dieses ihr auch nicht verweigert!’ versetzte der Schösser, geradeaus in seine Dampfwolken blickend. ‚Trete die Demoiselle nur ein. Es soll für sie gesorgt werden.‘

Das junge Mädchen sah schweigend zu mir auf und gab mir die Hand – es war ein stummer Dank für meine Begleitung. Dann ging sie in’s Thor hinein – ich wandte mich heimwärts; der alte Schösser blickte uns Beiden nach, so gut es geschehen konnte, ohne den Kopf zu wenden, mit dem bloßen Hin- und Herwerfen der Augen. – Und damit hast Du das letzte Ende der Geschichte.“

„Das letzte Ende?“ sagte Margarethe. „Ihr seht nicht ganz danach aus, Herr Wilderich, als ob Ihr selber so dächtet – wenn diese wunderliche Nonne in Goschenwald bleiben sollte, so habt Ihr den Weg dahin wohl nicht zum letzten Mal gemacht!“

„Möglich,“ antwortete Wilderich lächelnd, „ich muß doch morgen sehen, ob der alte Lieutenant endlich auch hineingegangen, oder ob er noch immer wie versteinert auf der Brücke sitzt.“

(Fortsetzung folgt.)




Der letzte Liebesdienst.

„Leb’ wohl, Mariechen! Deine Wänglein so bleich
Sind gewiß bald roth im Himmelreich,
Wenn Du droben mit goldigen Flügeln kannst fliegen
Und die lieben Englein in Schlummer Dich wiegen.
Ach, daß Du schon todt, so ein jung jung Blut!
Und wir waren, wie Dir, keinem Kinde so gut!“

Das Mädchen spricht’s mit dem Blumenstrauß.
Wie heilig ist’s heut in dem Lehmwandhaus!
Weil eine Blume der Tod gepflückt,
Wird ganz mit Blumen die Todte geschmückt. –
Sei’s, weinende Mutter, Dein Trost im Gemüth:
Auch Deine Blume hat geblüht!

H. v. C.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_420.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2022)