Seite:Die Gartenlaube (1869) 418.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

und weshalb er ihn zu sich genommen hat und nicht sie. So etwas kann schon passiren, daß ein Mann sich vor den Leuten weniger daraus macht, solch’ ein saubres Pflänzlein bei sich zu haben, als ein armes Frauenzimmer …“

„Ich muß weiter,“ unterbrach der Forstläufer diesen Discurs der zwei Nachbarsleute hier; „ich habe noch ein tüchtig Stück Wegs abzulaufen, bis ich zur Ruhe komm’ heute. Gehabt Euch wohl, Alte, und sagt dem Herrn Wilderich nur, der Sepp sei dagewesen mit einem Gruß vom Philipp Witt und mit guten Nachrichten; der Franzose sei geschlagen und das Weitere solle der Herr Wilderich vom Müller erfahren.“

„Gute Nacht,“ versetzte die Alte mürrisch, „werd’s bestellen!“

Die beiden Männer gingen davon, der Müller, um bald nachher linksab in seine Mühle zu treten, der Sepp, um rasch die Schlucht weiter hinabzuschreiten.

Die Frau stand auf, nahm ihr Spinnrad unter den Arm und an der andern Seite das Kind, das etwa drei oder vier Jahre zählen mochte, an die Hand, und ging über eine alte schief zusammengesunkene Steintreppe, welche der Kleine mit seinen kurzen Beinchen mühsam zu erklettern hatte, in’s Haus.

„So, kleines Herrchen,“ sagte sie dabei, „jetzt gehen wir heim, der Abend ist da, und wir sollen das feine Püppchen ja vor der Nachtluft hüten, so will’s der Herr Wilderich … und dann wollen wir nach dem Süpplein und dem Bettlein schauen …“

„Ich mag nicht in’s Bett, Bruder Wilderich soll mich zu Bett bringen!“ sagte der Kleine sehr bestimmt.

„Ja, ja, Bruder Wilderich soll Dich zu Bett bringen, wie er’s alle Abend thut – komm nur, komm’!“

„Ich mag nicht in’s Haus, ich will auf der Treppe sitzen, bis Bruder Wilderich kommt.“

„Auf der Treppe? Auf den kalten Steinen willst Du sitzen – bist gescheidt?!“

„Ich will aber. Bruder Wilderich hat gesagt, Du sollst thun, was ich will, Muhme!“

„Nun schau’ Einer dieses Kräutlein an,“ sagte die Alte, die Arme in die Seite stemmend, nachdem der Kleine auf der obersten Stufe ihr seine Hand entrissen. „Ob’s D’ hergehst! Kommst gleich herein! Du Rebell, Du nichtsnutz’ger!“

Ich mag nicht. Ich bleib’ hier, bis Bruder Wilderich kommt!“

„So? Nun, dann bleib’ – wart’, ich hole Dir ein Kissen, damit Du nicht auf die Steine zu sitzen kommst, Du Prinz Du!“

Muhme Margareth ging in’s Haus und kehrte gleich darauf mit einem alten ledernen Stuhlkisten zurück, das sie, murrend und scheltend, auf die oberste Treppenstufe legte, um den „Prinzen“ darauf zu setzen. Dann legte sie ihre beiden Hände an seine Schläfe, so daß sie seinen Kopf sich zuwandte, und in die leuchtenden großen, sich auf sie heftenden Augen blickend, murmelte sie:

„Krot, willmuth’ges Du; aber ein lieb’s, lieb’s Geschöpf bist doch! Ach Gott, was wird aus Dir noch werden, in diesem traurigen alten Wald hier – und mit dem ‚Bruder Wilderich‘ da!“

Sie drückte den Kopf des Kleinen zärtlich an sich, und dann ging sie in’s Haus, ihm seine Abendsuppe zu kochen.

Der Kleine saß ruhig und still eine Weile aus seiner Steintreppe, den Blick die Schlacht hinunter gewendet. Die Schatten der Bergwände wurden dunkler und schwerer, die Dämmerung begann die Schlucht zu erfüllen, und Margareth erschien wieder auf der Hausschwelle.

„Komm’, Prinz, Du mußt aber jetzt hinein, Du mußt, es wird dunkel und kalt!“ sagte sie, das Kind an der Hand nehmend, um es in’s Haus zu führen.

„Kommt Bruder Wilderich nicht?“ fragte der Kleine wie ängstlich und dem Weinen nahe.

„Gewiß, gewiß, er kommt schon, komm’ nur herein, Dein Süppchen ist fertig; es wird Dir schmecken, und wenn Du hübsch Alles gegessen hast, dann wirst Du sehen, dann ist der Herr Wilderich da, mit einem Male, und bringt Dich zu Bett.“

Der Kleine ließ sich beruhigt abführen.

Nach einer Pause erschien wieder die Alte auf der Haustreppe. Die Arme in die Seiten gestemmt, blickte sie den Weg hinauf und hinab.

„Wo der heute bleibt!“ murmelte sie. „Es ist doch sonst seine Art nicht, im Walde zu bleiben, bis die Eulen zu Bett gehn. Wenn ihm etwas Böses zustieß, und nachher säß’ ich mit seinem Kinde da! Eine schöne Bescheerung wär’s … Aber nein – da kommt er herauf … ja, ist’s denn Er … der Herr Wilderich … und wen bringt denn der daher?“

Diesen Ausruf der Verwunderung entlockte Frau Margarethe eine Gestalt, welche neben ihrem Dienstherrn die Schlucht heraufgeschritten kam und allerdings eine auffallende Erscheinung in dieser Umgebung war.

Es war eine weibliche Gestalt, und diese Gestalt trug ein schwarzes Gewand und über ihm, breit zu den Füßen niederwallend, ein weißes Scapulier und über eine weiße Haube geworfen eine schwarze Kopfumhüllung, wie sie Klosterfrauen tragen.

„Eine Nonne!“ rief Frau Margarethe aus.

Und dann schossen in Frau Margarethens Kopf sofort die wunderlichsten Voraussetzungen und Unterstellungen zusammen. Der geheimnißvolle Herr Wilderich, und der kleine Prinz, den er vor der Welt sein „Brüderchen“ nannte, und eine Nonne, von dem Herrn Wilderich hier in der Waldeinsamkeit zu dem Forsthause geleitet … das war eine Dreifaltigkeit, welche die bedeutungsvollste Combination erwecken konnte … Muhme Margareth kannte den Weltlauf viel zu gut, die alte erfahrene Margarethe, um nicht sehr schnell diese Combination zu machen!

Sie sah in äußerster Spannung dem nahenden Paare entgegen, das jetzt schon an der Mühle vorüber war … in äußerster Spannung auf die Scene, welche sich an dem Bettlein des eben zur Ruhe gebrachten „Prinzen“ entwickeln würde … Da, wie war das? Der Herr Wilderich wandte ach ja gar nicht seinem Hause zu … und die Nonne auch nicht … sie schenkte dem alten grauen Forsthause nicht einen einzigen Blick … und im Vorübergehen winkte der Herr Wilderich nur mit der Hand und rief:

„Ich komme später, Margareth!“

Die Nonne wandte jetzt ihr Gesicht ihr zu, und winkte so leise mit dem Kopf, daß es gar nicht zu unterscheiden war, ob es ein Gruß für Margareth sein solle oder nicht. Und was noch verdrießlicher, Muhme Margareth konnte nicht einmal mehr unterscheiden, ob die Nonne alt oder jung, schön oder häßlich sei … es war schon viel zu dunkel dazu … Doch jung mußte sie wohl sei; sie trat auf wie ein recht kräftiges junges Ding, und einen weiten Weg mußte sie doch gemacht haben – denn wo gab es ein Kloster hier in der Nähe? – das nächste war sicherlich fünf oder sechs Stunden weit.

Margarethe schaute den beiden Gestalten mit großen verwunderten Augen nach, so weit sie konnte. Herr Wilderich trug ein großes Bündel, die Nonne Nichts. Die Nonne ging nicht neben ihm, sie hielt sich an der anderen Seite des Weges. So schritten sie den Weg aufwärts, bis dieser sich hinter der waldigen Bergseite verlor. Wohin konnten sie in aller Welt da wollen? Jenseits der Höhe lag ein Thal, so abgelegen, so verborgen wie eines in der Welt; wer da wohnte, der konnte sich einbilden, er einsiedele auf einer noch unentdeckten Insel, oder in Amerika, oder in Afrika oder Asien; es wär’ Keiner gekommen, ihm deutlich zu machen, daß er im alten Spessartwalde sitze und nur eine kleine Stunde zu gehen habe, um an die Heerstraße von Würzburg gen Frankfurt und dann auf dieser zu richtig getauften Christenmenschen zu gelangen. Freilich, ein altes Castell lag in dem Thale, rechts auf einem Bergvorsprung; durch eine kurze Allee auf halber Berghöhe ging man darauf zu, rechts ab, wenn man in’s Thal niederstieg; aber das alte Castell war ja seit Jahren von der Herrschaft verlassen; wo die lebte und wie sie hieß, wußte Margareth gar nicht, und es wohnte nur ein närrischer alter Kauz, ein pensonirter Lieuteuant des Contingents des fränkischea Ritter-Cantons zur Reichsarmee darauf, als Verwalter oder Schösser, wie man’s nannte, und seine Knechte und Mägde, und sonst Niemand. Und zu dem bockbeinigen alten Herrn Schösser konnte doch die Nonne nicht wollen!

Das waren die Gedanken, die Fragen, die Veränderungen, mit denen Muhme Margarethe ihre schwere Last und Noth hatte, als sie endlich in’s Haus zurückging und sich dann in dem ersten Raume, der als Eingangshalle, Küche und Wohnzimmer diente, an’s Heerdfeuer setzte, um, die Hände im Schooß, murmelnd in die Holzstamme zu sehen, über der ein brodelnder Topf hing.

Enthielt der brodelnde Topf Herrn Wilderich’s Abendessen, so war dieser ein Mann von großer Anspruchlosigkeit; Margareth verwandte sehr wenig Aufmerksamkeit auf das, was sie braute.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_418.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)