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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 27.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Verlassen und Verloren.
Historische Erzählung aus dem Spessart.
Von Levin Schücking.


1.

Es war am Ende des August im Jahre 1796.

Die Tage begannen kürzer zu werden und die sinkende Sonne warf lange Schatten in eine stille weltentlegene Schlucht des Waldgebirgs, das man den Spessart oder die „Speßhardt“ nennt, den „Wald der Spechte“, in dem bairischen Kreise Unterfranken und Aschaffenburg.

In dieser Schlucht, durch deren Tiefe ein schmaler und dürftiger Wasserfaden in einem tiefen, felsigen und mit Gerölle ausgepflasterten Bette niederschoß, standen unfern von einander zwei Siedelungen – eine Mühle und ein Forst- oder Waldwärterhaus.

Die Mühle lag ein wenig tiefer, zwischen einem Stück Gartenland und einer kleinen Wiese; das Forsthaus lag einen Steinwurf höher, ein altes, in Bruchsteinen aufgeführtes Gebäude, dessen Schieferdach in der Mitte eingesunken war, so daß der hohe Schornstein wie ein steifer Reiter im Sattel aussah. Vor dem Hause lag ein kleiner Garten, in dem einige abgeblühte Stockrosen und honigduftende Phloxbüsche sich über das verfallene und morsche Lattengitter erhoben, welches das Gärtchen umgab.

Die Eingangsthür zu diesem Gärtchen fehlte – die Zeit hatte sie mit fortgenommen – vielleicht auch Jemand, der sie besser gebrauchen konnte als die Zeit, dem die alten Latten eben recht geschienen, sein Heerdfeuer damit zu nähren. An der Stelle derselben aber zwischen den beiden schiefgesunkenen Holzständern, an welchen sie befestigt gewesen, saß ein anderes zerfallenes und morsches Etwas auf einem niedrigen Schemel, und ein abgenütztes Spinnrad neben sich … eine alte Frau.

Die Frau war jedoch weder mit ihrem Spinnrad, noch auch mit dem hübschen Knaben beschäftigt, der zwischen ihren Knieen stand und sich an ihre vorgebeugte Schulter zurücklehnte, um mit großen braunen Augen die zwei Männer anzuschauen, welche vor der Alten standen; der eine in einer weißbestäubten Jacke und der andere im abgeschabten grünen Rocke, eine weiße Filzmütze auf dem Kopfe und grüne Gamaschen an den Füßen … es bedurfte des Hirschfängers an seiner Seite nicht, um einen Waldwärter oder Forstläufer in ihm erkennen zu lassen.

„Ich kann Euch nicht sagen, wann der Herr Wilderich heimkommt,“ sagte die Alte, den Forstmann ansehend; „wenn Ihr auf ihn warten wollt, so geht in’s Haus; wollt Ihr’s nicht, so sagt mir’s, was Eure Botschaft ist …“

Der Mann mit dem Hirschfänger schüttelte den Kopf.

„Für Euch ist’s nicht, Muhme!“ rief er aus.

„Kann mir’s denken,“ fiel die alte Frau ein … „bin auch nicht begierig darauf, hab’ mir die Neugier längst abgewöhnt … Gott sei gedankt … es ist gar gut, daß ich’s habe – sonst wär’s ja nicht zum Aushalten hier bei dem Herrn Wilderich! Bei dem ist Alles ein Geheimniß; man weiß nicht, wohin er geht, noch woher er kommt, und am wenigsten was es mit diesem Jungen auf sich hat, und wenn er Morgens die Büchse überwirft, dann mein’ ich immer, der geht nicht in den Wald wie ein andrer ehrlicher Förster um der Bäume und um der Holzknechte und des andern wilden Gethiers wegen, sondern um ganz andrer Dinge willen; das steht ihm im Gesichte geschrieben!“

„Nun, und um welcher andern Dinge willen sollte er denn in den Wald gehen, alte Margareth?“ fiel lachend der mehlbestäubte Mann, der mit dem Forstläufer gekommen und diesem mit seinen pfiffigen Augen zublinzelte, ein – „welche andre Dinge als das wilde Gethier sollte er auf dem Korn haben?“

„Das weiß ich nicht, und Ihr, Gevatter Wölfle, werdet’s auch nicht wissen, wenn Ihr auch noch so schlau den da anblickt, als hättet Ihr’s Euch längst an den Stiefeln abgelaufen … was ich weiß, ist nur, daß es ein gar wunderlich Gethu’ und Wesen um ihn ist und ein Hin- und Hergehen mit allerlei Botschaften und ein Heimlichthun, und daß es nimmer viel Gutes zu bedeuten hat; wenn die Männer was treiben, was sie den Frauleuten verbergen, so hat’s nimmer viel Gutes auf sich, und das, Gevatter Wölfle, sagt Eure Frau auch, Ihr könnt’s hören von ihr: der Wölfle, sagt sie, der Schlaumichel, steckt auch mit unter der Decke!“

„Ich weiß, ich weiß,“ rief der Müller sie unterbrechend aus, „was meine Frau sagt, das höre ich schon von ihr selber, Muhme Margarethe, übergenug – das könnt Ihr mir glauben! Aber wenn ich auch mit unter der Decke stecke, wie Ihr Euch ausdrückt, dann meine ich, müßte ich schon davon wissen …“

„Davon wissen? Ihr werdet viel wissen, Euch wird man Alles auf die Nase binden … dem Wölfle! – Wenn Ihr’s wißt, so sagt mir’s einmal: woher ist denn der Herr Wilderich gekommen, und wo ist er daheim, und was will er im Walde hier? Eichkätzchen schießen? Danach sieht er aus! Und was hat’s auf sich mit dem Bamsen hier, dem armen lieben Burschen, der ausschaut, als wolle er jeden Christenmenschen fragen: Sag’s mir endlich einmal, was ist’s und weshalb bin ich hier im Wald, und wo ist meine Mutter, und weshalb bin ich nicht bei der, und wohinaus soll ich laufen, daß ich zu ihr komm’? …“

„Muhme Margareth, Ihr seid dümmer, als ich geglaubt hab’,“ antwortete der Müller Wölfle. „Der Herr Wilderich wird schon wissen, wer und wo die Mutter von seinem Jungen da ist,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_417.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)