Seite:Die Gartenlaube (1869) 411.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Ihm hat die Gartenlaube (Nr. 25, Jahrgang 1868) dafür das verdiente Denkmal gesetzt.

Wie in Jena wurde auch auf den anderen Universitäten die Burschenschaft aufgelöst; und nur mit innigem Behagen glaubte die Reaction den verhaßten Bund deutscher akademischer Jugend gänzlich und für alle Zeit vernichtet. Sie täuschte sich. Man kann (um mit den Worten Palmerston’s zu reden) Ideen nicht mit Kartätschen niederschmettern, man kann sie auch nicht durch Bundestagsbeschlüsse vernichten. Was nicht mehr aufflammen durfte, glühte doch unter der Asche fort.

In Jena folgte noch an jenem oben geschilderten denkwürdigen Abende der bisherige Burschenschafts-Vorstand der Aufforderung seines Mitgliedes Robert Wesselhöft, in dessen Wohnung die Stunden der Nacht zu Berathungen über das Verbindungswesen der nächsten Zukunft zu benutzen. Dort beriethen sie, bis der Morgen graute, wie trotz der zerbrochenen Form der burschenschaftliche Geist und die burschenschaftliche Sitte zu retten, zu bewahren, zu befestigen sei. Wenige Monate später, am 4. Juni 1820, zog der Rest der alten Burschenschaft hinauf auf die sogenannte Wölmse bei Jena und verband sich unter dem Namen „Germania“ mit Wort und Handschlag, die Grundsätze der alten Burschenschaft treulich und energisch aufrecht zu erhalten.

Hörschelmann, derselbe Hörschelmann, der (jetzt Superintendent zu Tonndorf) am 18. October 1867 beim Wartburgfest-Jubiläum vom Treppen-Altan des Landgrafenhauses die kernigen Worte sprach – er war es, der damals die Eröffnungsrede hielt und jetzt in Erinnerung daran uns schreibt: „Wenn ich zurückdenke an jene Zeit, fließt mir das Blut immer wieder rascher durch die Adern und ich höre meines Herzens Schläge.“ – Fast gleichzeitig entstanden auch in Berlin, Erlangen, Heidelberg, Leipzig etc. neue Burschenschaften heimlich wieder. Wohl war diese Heimlichkeit ein Hinderniß für die edle patriotische Sache und mit deren eigentlichstem Wesen unvereinbar; – wohl hatte ein Haupt jener heimlichen Jenaer Burschenschaft vollkommen Recht, als es im Jahre 1821 seinem Freunde in das Album schrieb: „Wie kann ich des Lichtes Werke in der Finsterniß vollziehen? unser erstes Streben möge nach Oeffentlichkeit gehen, denn nur in der Oeffentlichkeit kann ein kräftigeres Leben emporkommen,“ – wohl ist auch eben durch den Mangel der Oeffentlichkeit die Burschenschaft in einzelnen Perioden hie und da vom einfach patriotischen Standpunkt auf den Standpunkt einseitiger Partei gedrängt worden; – trotzdem, trotz alle dem und trotz der achtjährigen Dauer der hochnothpeinlichen Mainzer Inquisition, trotz der servilsten und verfolgungssüchtigsten Demagogenriecherei, trotz Zuchthaus und Verbannung hat die deutsche Burschenschaft ihre große, heilige Mission erfüllt, hat als Trägerin des Gedankens der nationalen Einheit das Volk in immer weiteren, weiteren Kreisen mit den Ideen vaterländischer Einheit und Freiheit befruchtet und so allmählich (wie Freund Hofmann in seinem Jenaischen Jubiläums-Festlied es so treffend bezeichnet) „das ganze Volk der deutschen Erde zu einer großen Burschenschaft“ gemacht.

Sie hat es in ihren großen edeln Festen, dem Burschenschaftsjubiläum 1865 und den unvergeßlichen Eisenacher Octobertagen 1867 bethätigt, und die ganze gebildete Welt hat es anerkannt. Es ziemt sich, jetzt, im Jahre 1869, des feierlichen Actes zu gedenken, in welchem vor fünfzig Jahren der patriotische Bund der deutschen akademischen Jugend aufgelöst wurde, und auch zu einem äußern Zeichen der Erinnerung und Sympathie ist den Gliedern und Freunden der Burschenschaft Gelegenheit gegeben. Ehrt man das Andenken des treuesten, des edelsten Burschenschafters wegen seiner Treue zur Burschenschaft, so ehrt man diese selbst. Einer der edelsten, treuesten Burschenschafter war aber Karl Hermann Scheidler. Am 8. Januar 1795 zu Gotha geboren, zog er, ein achtzehnjähriger Jüngling, als freiwilliger Jäger in den Befreiungskrieg, studirte dann in Jena die Rechte. Im Winter 1814 zu 1815 reichten sich auf dem Jenaer Markt Scheidler, Riemann und Dortü die Hand zur Gründung des patriotischen Bundes, der am 12. Juni 1815 erstehen sollte. Scheidler war es namentlich, der im Verein mit seinem lieben Freund Riemann die Veranstaltung des Wartburgfestes betrieb; er wurde Oberanführer des Ganzen, trug das Jenaische Burschenschwert dem Auge voran, leitete am 19. October die freie Burschengemeinde und schuf durch seine Aufforderung jene Versöhnung der Parteien, jene freundschaftliche Einigung, aus welcher die allgemeine deutsche Burschenschaft sich erst gestaltete.

Nach Beendigung seines Studiums in Jena und Berlin trat er in den preußischen Staatsdienst, mußte denselben aber nach einigen Jahren in Folge einer aus dem Felde mitgebrachten fortwährend zunehmenden Harthörigkeit wieder aufgeben, betrat 1821 in Jena die akademische Laufbahn als Docent der Philosophie und der Staatswissenschaften und erlangte im Jahre 1826 die Professur. Ueber einhundert Werke und Aufsätze in literarische Zeitschriften hat er seitdem geschrieben, und in allen, allen hat er für politische und religiöse Freiheit, für Aufklärung und Charakter-Fortbildung der Jugend, für ein veredeltes deutsches Universitätsleben mit ganzem vollen Herzen und mit den Waffen eines klaren, scharfen Geistes wacker gekämpft. Mit derselben Wahrheits- und Freiheilsliebe sprach er vom Lehrstuhl zur akademischen Jugend und stand mit ihr in treuem, liebevollem Verkehr. Diese Treue, diese Frische zeigte er noch im Greisenalter. Beim fünfzigjährigen Jubiläum der deutschen Burschenschaft 1865 war er der Erste im Festausschuß, und als die Wartburgfahne, das vielverfolgte schwarz-roth-goldene Banner deutschen Einheitsstrebens, sich unter dem jauchzenden Zuruf von tausend Alten und Jungen zum ersten Mal wieder entfaltete, wurde im großen Festzug Scheidler (begleitet von den Jugendfreunden, jetzt Jubilaren Horn und Riemann) ihr Träger. Doch dies sollte zugleich der letzte helle Sonnenblick seines Lebens sein, die Gedächtnißfeier des Wartburgfestes sollte er nicht mehr erleben, – tief betrauert von Jugend und Alter, von Docent, Student und Bürger, von jedem Vaterlands- und Freiheitsfreund, starb er am 22. October 1866 und ruht auf dem Jenaer Friedhofe. Ihm ein einfach-würdiges Grabdenkmal, „gewidmet von der deutschen Burschenschaft“, auf seine Ruhestätte zu setzen, ist die Idee, welche, aus den Kreisen der Wartburgfestgenossen hervorgegangen, bereits in Nähe und Ferne warme Theilnahme gefunden hat. Selbst aus Buenos Ayres ging ein Beitrag ein von „einem alten enthusiastischen Jünger dieses vaterländischen Burschenvereins, dem man mit Fug und Recht die Begründung der Einigung Deutschlands, soweit sie kürzlich zur Ausführung gelangt ist, zuschreiben darf, und dem von unparteiischen Geschichtsschreibern in der Zukunft gebührendermaßen noch weit mehr Anerkennung gezollt werden wird, als es bisher geschehen ist und namentlich eben jetzt geschieht“. Der Anfang ist also gut! So sorgt denn, ihr alten und jungen Burschenschafter im Norden und Süden Deutschlands und ihr Treuen jenseit der Alpen und des Meeres, daß die Worte, mit welchen Friedrich Hofmann in seiner Weihedichtung zu unserm Wartburgfestbuche dieses Denkmal begrüßt, recht bald zur Wahrheit werden:

Hier ist das Grab. Hier schließe
Den Kreis der Burschen Schaar,
Das alte Banner grüße
Ihn, der sein Führer war.
Ihm, unter dieser Erden,
Schwört hoch und hehr auf’s Neu’:
„Wenn Alle untreu werden,
So bleiben wir doch treu!“ – –

Der deutschen Mannestugend
Gilt diese Huldigung:
Daß Dein Bild uns die Jugend
Erhalte deutsch und jung!
Und ist der Kranz der Trauer
Verwelkt mit seiner Zeit:
Des Ehrenkranzes Dauer,
Das sei die Ewigkeit!

Gewiß, ein solch ehrendes Denkmal auf dem Grabe des größten, treuesten Burschenschafters wird auch das schönste, sinnigste Zeichen des Andenkens an die verhängnißvollen Stunden vor fünfzig Jahren sein. Die Mahnung zu Beiträgen (zu deren Empfangnahme die Brüder Dr. Robert und Richard Keil in Weimar sich bereit erklären) geht nicht nur an die ehemaligen und jetzigen Burschenschafter, sondern auch an jeden Freund der Burschenschaft, an die „große deutsche Burschenschaft“. Sie ergeht auch an euch, ihr deutschen Brüder in Oesterreich! Ihr gehört zu uns, wie wir zu euch! Und giebt euch nicht die Entwickelung der Burschenschaft und des Burschenschaftsgeistes, des nationalen Einheitsgedankens selbst die beruhigendste, tröstlichste Hoffnung?

Das Haus mag zerfallen –
Was hat’s denn für Noth?
Der Geist lebt in uns Allen,
Und unsre Burg ist Gott!



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_411.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)