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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

zuvorzuthun und ihre respectiven Linien, ehe sie zusammenträfen, möglichst weit nach Westen und nach Osten vorzuschieben. Auch lag es im Interesse der beiden rivalisirenden Compagnieen, vor dem Zusammentreffen der beiden Linien so viele Meilen ihrer Bahn als möglich fertig zu bringen, da die Vereinigten Staaten ihre Obligationen und Landschenkungen nach der von jeder Gesellschaft vollendeten Wegstrecke berechneten. Jeden Abend blitzte der Telegraph seit Monaten das Resultat der Tagesarbeit über die Länge und Breite des Continents, das namentlich in San Francisco mit fieberhafter Aufregung gelesen wurde, da Californien es als einen Ehrenpunkt ansah, sich vom Osten nicht besiegen zu lassen.

Die Schwierigkeiten, welche sich dem raschen Fortbau der Eisenbahn entgegenstellten, waren fast unglaublich. Die Schwellen mußten auf den Ebenen und in den baumlosen Wüsten, welche die Bahn durchschnitt, aus Entfernungen von hundert und mehr Stunden an Ort und Stelle gebracht werden, sowohl mit Wassermangel als mit dem Herbeischaffen von Feuerungsmaterial zum Bedarf für die Locomotiven hatte man zu kämpfen; die riesigen Felsengebirge mußten überschritten, lange Tunnels durch den Granit der Sierra gesprengt werden; Schneestürme unterbrachen im Winter wochen- und monatelang die Arbeit, und in der Sierra Nevada überdachte man die Bahn auf einer Strecke von nicht weniger als zweiundzwanzig englischen Meilen, um die Lawinen abzuhalten. Auf den Ebenen zwischen dem Missouri und den Felsengebirgen wurden die Arbeiter an der Union-Pacific oft durch Angriffe feindlicher Indianer beunruhigt, welche sich dem Bau der Eisenbahn durch ihre Jagdgründe mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln widersetzten. Die Büchsen auf der Schulter rückten die Arbeiter zum Tagewerk aus und waren nicht selten gezwungen, die Picke und Schaufel mit dem Feuerrohr zu vertauschen, um ihre wilden Feinde von der Bahnlinie zu vertreiben. Nachts wurden Vorposten ausgestellt, als ob man sich im Kriege befände.

An jedem Morgen brachen die nach vielen Tausenden zählenden Arbeiterheere ihre Zeltlager ab und transportirten ihre beweglichen Städte, wie sie vorschritten, per Roß und Wagen mit sich. Schwellen und Schienen, das ganze massenhafte Material zum Eisenbahnbau, wurde, als die Bahnen vorschritten, von Ost nach West täglich an die Fronte nachgeschafft. Alles dieses mußte in einer Urwildniß vollbracht werden, wo zum Lebensbedarf, außer den schwer beizukommenden Büffeln und Antilopen, absolut gar nichts vorhanden war.

In der Schnelligkeit des Eisenbahnbaues trugen die Chinesen an der Central-P. noch in der letzten Woche dieses Riesenwettlaufes über einen Continent über ihre kaukasischen Rivalen an der Union-Pacific-Eisenbahn den Sieg davon. Diese konnten sich rühmen, sieben Meilen eines nagelneuen Bahngeleises als Maximum einer Tagesarbeit gelegt zu haben, wogegen fünftausend gezopfte Söhne des blumigen Reiches der Mitte, mit einem Enthusiasmus, als ob die Eisenbahn direct nach Peking gebaut würde, am 28. April in elf Stunden etwas über zehn englische Meilen (etwa zwei und eine Viertel deutsche) fertig brachten, und gleichzeitig das ganze Inventarium des Eisenbahnbaues, Schwellen und Schienen, unzählige Wagen und Karren, Schmiedewerkstätten, Gerätschaften aller Art, ihre Küchen, Häuser, Zelte, Betten Lebensmittel, Feuerholz etc. mitforttransportirten.

Die Legionen mit Picke und Schaufel, welche am 10. Mai an dem nördlichen Ufer des großen Salzsees in der Wildniß aufeinanderstießen, waren in letzter Zeit allerdings bedeutend zusammengeschmolzen, da viele Arbeiter keine Beschäftigung mehr an den Bahnen fanden, als die noch zu bauende Wegstrecke täglich mehr und mehr zusammenschrumpfte; aber immer noch war es ein imposanter Anblick, der sich dem Zuschauer an jenem Tage dort zeigte.

Noch standen die letzten weißen Zelte der zusammengeschmolzenen Arbeiterheere auf den mit graugrünem Salbeigestrüpp bewachsenen Hügeln, Rosse und Reiter jagten hin und her, zahlreiche Fuhrwerke standen an der Bahnlinie und Freude und Jubel scholl himmelan. Im Süden lag der schimmernde Spiegel des großen Salzsees, mit silbernen Schaumwogen seine romantischen Gebirgsinseln umschließend, und jenseits desselben, im Südost, hoben die bläulichen Wasatchgebirge ihre schneegekrönten Gipfel hoch in den klaren Aether.

Von Ost und von West kamen die Eisenrosse hergesprengt und hielten nahe einander gegenüber, sich mit der gellenden Stimme des Dampfes begrüßend. An dreitausend Zuschauer, worunter mehrere Damen, hatten sich hier in der Wildniß zusammengefunden, um der Vollendung des großen Werkes beizuwohnen. Chinesen in ihrer Nationaltracht, Europäer und Amerikaner aus allen Theilen der großen Union drängten sich fröhlich untereinander, und alle Racenvorurtheile schienen vergessen zu sein. Die Hauptingenieure, die Directoren und Präsidenten der Central- und der Union-Pacific-Eisenbahn, sowie die mehrerer östlichen Bahnen, angesehene Personen aus Ost und West, sogar ein Mormonenapostel und zwei Mormonenbischöfe waren zugegen.

Nevada sandte einen schweren Silbernagel, Arizona einen zweiten, aus Eisen, Silber und Gold verfertigten Nagel, Californien die letzte Schwelle aus einheimischem Lorbeerholz und einen langen Goldnagel, womit die letzte Schiene der Pacific-Eisenbahn befestigt werden sollte. Chinesenarbeiter von der Central-P. brachten die letzte Schwelle von californischem Lorbeerholz an die für sie bestimmte Stelle, Angestellte von der Union-Pacific legten die letzte Schiene darauf nieder, und um die Mittagsstunde fielen die letzten Hammerschläge auf den Goldnagel.

Der dienende Blitz hatte es übernommen, die letzten Hammerschläge gedankenschnell nach allen Hauptstädten der Union zu tragen, denn der Silberhammer, den man dazu gebrauchte, war mit dem elektrischen Draht verbunden.[1]

In den großen Städten des Ostens wurde der ereignißvolle Tag überall mit Glanz und Enthusiasmus gefeiert; namentlich in Chicago war die Feier eine überaus großartige. Willkomm-Telegramme wurden im Laufe des Tages zwischen vielen Städten des Ostens und San Francisco ausgetauscht.

In San Francisco und in Sacramento fand die Hauptfeier bereits am 8. Mai statt, an welchem Tage, wie zuerst bestimmt war, die letzte Schiene an der Pacific-Eisenbahn gelegt werden sollte.

Der Aufschub der Feier bei Promontory Summit am großen Salzsee ward durch ein tragikomisches Intermezzo veranlaßt. Durant, der Vice-Präsident der Union-Pacific-Eisenbahngesellschaft, war mit einem Gefolge von Directoren, Contractoren und anderen

hohen Herrschaften von Omaha unterwegs, um an der Feier

  1. Die deutsche Presse hat der amerikanischen längst die Schilderung des großen Telegraphenfestes nacherzählt, welches mit dieser Feierlichkeit verbunden war. Da jedoch der geschilderte Augenblick zu den großartigsten der Weltgeschichte gehört, so halten wir es für unsere Pflicht, ihn nach dem Wortlaute der New-Yorker Handels-Zeitung vom 13. Mai auch der Gartenlaube einzuverleiben.
         „Es war mit der Zeremonie eine Telegraphenfeier verbunden, welche etwas in hohem Grade Anregendes hatte. Die Arrangements waren so getroffen, daß jede Bewegung aus jenem obscuren Punkt des Erdkreises sofort über das ganze Land telegraphirt wurde, sodaß das ganze Volk Zeuge dessen sein konnte, was dort im engsten Kreise stattfand. Die Einrichtung war, daß der Telegraphendraht an den letzten Bolzen befestigt wurde, und daß die Hammerschläge auf diesen, in jeder Telegraphenstation gefühlt, der Welt das Geschehene im gleichen Moment verkündeten. Omaha war der Centralpunkt dieses großartigen Arrangements; von dort wurden rings in der Runde die Befehle ausgetheilt. Der Vorsteher des Telegraphendepartements in Washington setzte den Draht mit einer Glocke in Verbindung. Jene Glocke mußte von den Hammerschlägen auf dem zweitausendvierhundert Meilen entfernten Promontory Summit getroffen und in Bewegung gesetzt werden! Das Signal wurde gegeben: ‚Macht euch bereit!‘ Washington, Neworleans, Chicago, Boston etc. antworteten: ‚Wir sind fertig!‘ Es war nach zwei Uhr. Auf den Telegraphenbureaux herrschte dieselbe Spannung, welche man unmittelbar vor dem Eintreffen einer Sonnenfinsterniß empfindet. Einige wurden ungeduldig und richteten Fragen an Omaha. Von dort erfolgte die Antwort: ‚Seid ruhig. Stört den magnetischen Kreis nicht, sondern wartet den Hammerschlag ab.‘ Um zwei Uhr siebenundzwanzig Minuten, nach der Washingtoner Zeit, sagte Promontory Summit: ‚Beinahe fertig. Die Hüte ab! Es wird gebetet!‘ Unwillkürlich gehorcht ein Jeder, dem das Signal kund wird. Tiefes, feierliches Schweigen. Um drei Uhr vierzig Minuten lautet das Wort: ‚Das Gebet ist zu Ende, der Bolzen soll eben überreicht werden!‘ Chicago erwidert: ‚Der Osten ist bereit!‘ Promontory Summit spricht: ‚Fertig! Gleich kommt’s! Dreimal wird gezuckt vor den Hammerschlägen!‘ Das Signal erfolgt, Eins, Zwei, Drei! Eine Pause von einigen Minuten. Und dann fühlt man die Hammerschläge im Osten, im Westen, im Norden und im Süden, die Glocke in Washington klingt, einmal, zweimal, dreimal! Die Fahnen steigen empor, die Kanonen donnern, und hier läutet das Glockenspiel des Trinitythurmes: ‚Nun danket Alle Gott!‘ Der Moment wird allen denen unvergeßlich sein, welche an der Feier betheiligt waren. So bildet die Völkerfamilie Einen harmonischen Körper, dessen Nervensystem die Fäden des elektromagnetischen Telegraphen repräsentiren, und was im entlegensten Winkelchen geschieht, das beseelte Ganze kann es spüren und empfinden.“
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_407.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)