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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Der eiserne Doppelgürtel der Union.

San Francisco, am 14. Mai 1869.

Der 10. Mai 1869 war in den Annalen Amerika’s ein bedeutungsvoller Tag; es war der der Vollendung der Pacific-Eisenbahn, jenes gewaltigen eisernen Doppelgürtels, welcher durch die beispiellose Thatkraft der Amerikaner in einem Zeitraum von wenigen Jahren über die Breite dieses Continents geschlungen wurde.

Bereits im Jahre 1862 ward der Plan zum Bau der großen Pacific-Eisenbahn (d. h. der Schienenverbindung zwischen der Atlantischen Küste und der des Stillen [friedlichen, pacific] Meeres von Nordamerika) vom Congreß definitiv festgestellt. Der im Jahre zuvor ausgebrochene und immer größere Verhältnisse annehmende Bürgerkrieg ließ eine engere Verbindung der am Stillen Meere liegenden Staaten und Territorien mit dem Osten doppelt nothwendig erscheinen, sowohl aus commerciellen Rücksichten, als auch um sie im Falle eines Krieges mit den europäischen Seemächten leichter schützen zu können. Zugleich dachte man den Gelüsten einer Trennung vorzubeugen, indem man das Nationalgefühl jener so weit entlegenen Länder durch einen engeren Anschluß an die Mutterstaaten kräftigte.

Der Bau dieser Rieseneisenbahn war aber ein außergewöhnlich schwieriges Unternehmen. Nicht allein die ungeheure Länge der Bahn und die ihrem Bau sich entgegenstellenden natürlichen´ Hindernisse mußte man berücksichtigen; es kam noch der Umstand hinzu, daß fast die ganze Länge der projectirten Eisenbahn durch eine fast nur von feindlichen Indianern bewohnte Wildniß lief und sie sich den zu ihrem Bestehen nöthigen Verkehr erst selbst schaffen mußte.

Um den Bau dieses wichtigen nationalen Werkes schneller zu fördern, ertheilte die Regierung dazu außergewöhnliche Privilegien und gab zum größten Theil selbst die Mittel her, und zwar an zwei Gesellschaften, die Central-Pacific- und die Union-Pacific-Eisenbahn-Compagnie, von denen die erstgenannte von Californien aus, letztere vom Missouri her ihre Linien nach Ost und West bauen und beide sich in der Mitte des Continents vereinigen sollten. Beide Compagnien wurden gleichmäßig von der Regierung durch Landschenkungen und Subventionen unterstützt. Jene beliefen sich auf zwölftausendachthundert Acker pro englische Meile; diese bestanden in nach dreißig Jahren zahlbaren und von der Regierung garantirten sechsprocentigen Obligationen, deren Zinsen aus dem Staatsschatze gezahlt werden sollten, zu der Durchschnittsrate von 28,250 Dollars per englische Meile. Die Regierung nahm als Sicherheit eine zweite Hypothek auf die Bahnen und gestattete diesen eine gleiche Summe in Obligationen, mit Sicherheit erster Hypothek, in ihrem eigenen Namen zu emittiren.

Im Jahre 1863 begann die Central-Pacific-Eisenbahn-Compagnie im fernen Westen den Bau von der Stadt Sacramento aus; die Union-Pacific eröffnete zwei Jahre später ihre Linie bei der Stadt Omaha am Missouri. In den ersten Jahren schritten beide genannte Bahnlinien nur langsam vorwärts. Nach Beendigung des Krieges aber, als das Vertrauen in die finanziellen Kräfte des Landes zurückgekehrt war, ward die Arbeit von beiden Gesellschaften mit frischem Muthe und frischer Kraft fortgesetzt, und in den letzten zwei Jahren war es ein Riesenwettlauf über den halben Continent.

Im April 1868 erstieg die Union-Pacific bei Evans-Paß, fünfhundertundfünfzig englische Meilen westlich von Omaha, 8242 Fuß über dem Meere, den höchsten Punkt auf ihrer Linie. Seitdem hat sie über ein, namentlich in den Felsengebirgen und in dem Hochland von Utah, außerordentlich schwieriges Terrain fernere fünfhundertundsechsunddreißig Meilen bis an das nördliche Ufer des großen Salzsees erbaut, wo sie mit der Central-Pacific zusammentraf. Die Central-Pacific war erst im Juni 1868 im Stande, hundertundsechzig Meilen östlich von Sacramento, von dem Ostabhange des Gebirgszugs der Sierra Nevada in das Flachland am Humboldtfluß hinabzusteigen. Das Ueberschreiten der Sierra Nevada, wo lange Tunnels durch den Granitfels gesprengt werden mußten, war wohl die schwierigste Arbeit im Eisenbahnbau, welche bis jetzt in Amerika vollbracht worden ist. Siebentausendunddreiundvierzig Fuß über dem Meere überschritt die Central-Pacific jenen Gebirgszug. Sobald das Hochland erreicht war, ging’s dagegen mit Riesenschritten vorwärts und in eilf Monaten wurden fünfhundertdreißig Meilen bis zum Verbindungspunkte mit der Union-Pacific vollendet. Promontory Summit, der Punkt, wo die beiden Linien zusammentrafen, liegt eintausendundsechsundachtzig englische Meilen westlich vom Missouri und sechshundertundneunzig Meilen östlich von Sacramento, nördlich vom großen Salzsee.

Wie in Washington City bestimmt worden, wird die Union-Pacific-Eisenbahn-Compagnie die letzten von ihr erbauten dreiundfünfzig englischen Meilen gegen Entschädigung der Baukosten an die Central-P.-E.-E. abtreten und der künftige Verbindungspunkt der beiden Linien nicht bei Promontory Summit, sondern bei Ogden, einer blühenden Mormonenstadt, vierzig englische Meilen nord-nordöstlich von Salt Lake City gelegen, stattfinden.

In den letzten sechszehn Monaten bauten beide Bahnen zusammen eine Wegstrecke von eintausendeinhundertundzwölf englischen Meilen, neunundsechszigundeinehalbe englische Meilen per Monat. Eintausendunddreihundert Meilen dieser Linie liegen dreitausendundfünfhundert Fuß über dem Meeresspiegel, und einhundertsechszig Meilen fünftausend bis mehr als achttausend Fuß über der See. Die Entfernung von Newyork bis nach San Francisco, den Endpunkten der transcontinentalen Eisenbahn, beträgt dreitausendunddreihundert englische Meilen, also mehr als achtundvierzig Längengrade und etwa den achten Theil des Erdumfangs.

Mit gerechtem Stolze blickt Amerika auf die Vollendung dieses gigantischen Unternehmens. In Wolkenhöhe, am Rande gewaltiger Felsabhänge, durch die unzugänglichsten Gebirgsschluchten, über weite Thäler und reißende Ströme, durch die Tiefen des Gebirges hin rast der menschenbeschwerte Dampfzug, durchkreuzt endlos scheinende Wüsten und trägt die Cultur in brausendem, die Ufer weit überfluthendem Strome in das Innere eines Erdtheils, in Gegenden, welche vor Kurzem noch gegen die Civilisation hermetisch geschlossen schienen und nur die Heimath von Indianern, Wölfen, Bären, Büffeln und Antilopen waren.

Für San Francisco namentlich ist die Vollendung dieses Riesenwerks von immenser Wichtigkeit, denn durch die Pacific-Eisenbahn tritt jene Metropole Amerika’s am Stillen Ocean in directe Verbindung mit den älteren Staaten der Union, man kann sagen mit Europa. Sind die täglichen Dampferlinien, welche Amerika mit der alten Welt verbinden, doch eigentlich nichts weiter als riesige Fährboote; der Atlantische Ocean ist so zu sagen zusammengeschrumpft und für den Verkehr kaum noch so breit als z. B. das Mittelländische Meer es in früheren Jahrhunderten war. Aber nicht nur dem Osten und Europa ist San Francisco nahe gerückt. Bereits entsendet es allmonatlich nach dem fernen China und Japan gewaltige Dampfer, und die Zeit liegt nicht mehr fern, wo das große Stille Meer von hier aus, ebenso wie das Atlantische zwischen Europa und Amerika, mit täglichen Dampffähren überbrückt sein wird. San Francisco ist jetzt schon die Hauptwegstation zwischen Europa und den uralten Culturreichen von Ostasien, und die Pacific-Eisenbahn ist die große Schlagader des nordamerikanischen Zwischen-Festlandes.

Wie gesagt, der 10. Mai war der ereignißvolle Tag, an welchem die letzte Schiene auf der großen transcontinentalen Eisenstraße niedergelegt wurde, welche die alte Atlanta jetzt mit dem Stillen Meere verbindet. In der Mitte des Continents, am nördlichen Gestade des großen Salzsees, jenes wunderbaren herrlichen Binnenmeeres inmitten unermeßlicher Wildniß, vollzog sich das welthistorische Ereigniß, und dort standen die Arbeiterheere der Union- (östlichen) und der Central- (westlichen) Pacific-Eisenbahn endlich einander dicht gegenüber. Im Osten waren es meistens Europäer – Irländer und Deutsche –, welche die Bahn gebaut, hier, an der Wasserscheide des Stillen Oceans, Chinesen. Aber Amerikaner hatten jene Arbeitercolonnen geführt, und ihrer nie ermüdenden Energie hat die Welt vor Allem die rasche Vollendung dieses beispiellosen Eisenbahnbaues zu verdanken.

Seit Jahren, und insbesondere während der letzten Monate, hatten die Mitglieder der beiden Arbeiterheere jede Muskel angestrengt,

um es sich gegenseitig an Schnelligkeit im Eisenbahnbau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_406.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)