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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

weniger Worte eine empfindliche Stelle in der Menschenseele bloßzulegen und sie spielend mit tödtlich scharfem Messer zu verwunden.

Die schöne Excellenz stand starr, sprachlos vor ihrer unerbittlichen Quälerin – die Fieberröthe erlosch auf ihren Wangen, und die feinen Nasenflügel begannen zu zittern. … Das beneidenswertste Verhältniß zwischen den beiden Damen, infolge dessen sie sich mit lächelnder Anmuth zu zerfleischen pflegten, gab Serenissimus oft genug Gelegenheit, seine Ritterlichkeit und Gewandtheit zu entfalten. Er verhinderte auch diesmal den ausbrechenden Zweikampf.

„Sie lieben schöne Steine, Herr von Oliveira?“ fragte er nachdenklich, mit erhöhter Stimme, die sofort Alles umher schweigen ließ.

„Ich bin Sammler, Durchlaucht,“ versetzte der Portugiese – er zögerte einige Secunden, dann sagte er rasch: „Dieser Schmuck aber“ – er deutete nach dem Diadem der Titania– „interessirt mich um deswillen ganz besonders, als ich den gleichen besitze.“

„Das ist unmöglich, mein Herr!“ fuhr die Baronin auf. „Das Diadem ist vor ungefähr vier Jahren nach meiner eigenen, speciellen Angabe umgefaßt worden, und das Pariser Haus, das die Ausführung übernommen, hat sich verpflichtet, die Zeichnung sofort zu vernichten, weil ich vor der Nachahmung gesichert sein wollte.“

„Ich möchte darauf schwören, daß sich die beiden Schmuckstücke hinsichtlich der Form nicht unterscheiden lassen,“ sagte Oliveira ruhig, mit einem halben Lächeln auf den Lippen und mehr zu dem Fürsten gewendet.

„O mein Herr, Sie verbittern mir mit dieser Behauptung eine meiner liebsten Freuden!“ rief die Baronin halb scherzend, halb mit schmelzend klagender Stimme und hob die Augen mit einem unnachahmlichen Ausdruck von Sanftheit und zärtlichem Feuer zu ihm empor – aber sie schrak entsetzt zurück vor der vernichtenden Kälte, dem strengen, unbestechlichen Ernst in den Zügen des Mannes.

„Jutta, bedenke, was Du da aussprichst!“ sagte der Minister verweisend mit heiserer Stimme – aus Lippen und Wangen schien ihm der letzte Blutstropfen entwichen.

„Warum soll ich denn leugnen, daß es mich unglücklich macht, einen meiner hübschesten Gedanken beraubt und ausgebeutet zu sehen?“ frug sie geärgert und impertinent. Sie warf einen feindselig funkelnden Blick nach dem Portugiesen hinüber, der sich urplötzlich aus einem vermeintlichen glühenden Anbeter in einen rücksichtslosen Widersacher verwandelte. „Ich liebe es nun einmal nicht, irgend Etwas zu tragen, das Gemeingut geworden ist! … Ich gäbe Etwas darum, wenn ich mich mit meinen eigenen Augen überzeugen dürfte, in wieweit Ihre Behauptung begründet ist, Herr von Oliveira!“

„Nun, meine Liebe, das ließe sich doch sehr leicht bewerkstelligen,“ meinte die Gräfin Schliersen. „Ich gestehe, daß auch ich ein wenig neugierig bin, in welcher Weise Herr von Oliveira seine Aussage rechtfertigt – das Waldhaus ist so nahe –“

„Wollen Euer Durchlaucht nicht die Gnade haben, das Zeichen zum Beginn der Quadrille zu geben? … Die junge Welt dort steht auf Nadeln,“ fiel der Minister ein; er ging achtlos über den leidenschaftlich hingeworfenen Wunsch seiner Gemahlin und den Vorschlag der Gräfin Schliersen hinweg, als habe er Beides gar nicht gehört. Die Frau mit den klugen Augen und der feinen Zunge streifte mit einem überraschten, beleidigten und stechend forschenden Blick das Gesicht ihres Verbündeten – er erlaubte sich plötzlich, sie zu ignoriren.

„Zu früh, zu früh, lieber Baron!“’ entschied der Fürst ablehnend. „Das Programm schließt mit dem Tanz.“

„Ich fürchte, Durchlaucht, unsere bezaubernde Titania beruhigt sich nicht eher, als bis sie das Corpus delicti gesehen hat,“ scherzte die Gräfin Schliersen. „Wäre es nicht ein pikantes Intermezzo für alle Damen, wenn Herr von Oliveira uns Gelegenheit gäbe, selbst zu entscheiden, ob er Recht hat?“ – Die Dame schien für einen Moment völlig zu vergessen, daß es sich hauptsächlich heute Abend darum gehandelt hatte, den Portugiesen zu stürzen.

„Allzuviel verlangt, theuerste Gräfin!“ meinte Serenissimus achselzuckend und lächelnd. „Bedenken Sie, in welche zweideutige Gesellschaft Herr von Oliveira seine kostbaren Schätze bringen soll. Wir haben da Räuber, Zigeuner, und Gott weiß was Alles für unheimliche Gestalten! … Sie sehen, Herr von Oliveira,“ wandte er sich an den Portugiesen, „ich möchte mich gern Ihrer annehmen; allein Sie haben unvorsichtiger Weise einen Feuerbrand hingeworfen – ich fürchte, es wird Ihnen nichts übrig bleiben, als – den Beweis zu bringen.“

Oliveira verbeugte sich schweigend – der grelle Schein einer Fackel fiel auf sein ruhiges Gesicht und überhauchte die braune Haut mit einer tiefen Blässe. Er nahm eine Karte aus seiner Brieftasche, warf flüchtig einige Zeilen hin und schickte das Blättchen durch einen Lakaien nach dem Waldhause.

„Wir werden die Brillanten zu sehen bekommen!“ jubelten einige junge Damen auf und klatschten in die Hände. Man kam von allen Seiten herbei; auch die schöne Hofdame, die sich bis dahin fern gehalten, erschien am Arm der zarten, blassen Blondine.

„Aber, Herr von Oliveira, Sie verwahren so viel Kostbarkeiten in dem abgelegenen Hause?“ fragte die Blondine und schlug die großen, blauen Augen, die ein äußerst empfindliches Nervenleben verriethen, ängstlich unschuldig zu ihm auf.

Die Gräfin Schliersen lachte.

„Kindchen,“ rief sie, „haben Sie sich das Waldhaus nicht besser angesehen? … Es steckt freilich nicht hinter Palissaden und Gräben, und ich weiß nicht einmal, ob es Selbstentladungsrevolver besitzt – aber es hat ein Etwas, das da warnt: ,Komme mir nicht zu nahe!’ … Die Wände starren von Waffen und Siegestrophäen – ob auch einige Indianerscalps mit unterlaufen, kann ich allerdings nicht mit Bestimmtheit behaupten; allein, wohin man sieht, liegen Tiger- und Bärenfelle – man überzeugt sich auf den ersten Blick, daß die Kugel des Besitzers unerbittlich zu treffen weiß. … Herr von Oliveira, Sie verstehen es aus dem Grunde, Ihre Residenz durch die Macht des Geheimnißvollen zu schützen; es nöthigt uns einen Schauer ab, man nennt ihn: das Gruseln. … Apropos,“ unterbrach sie ihre scherzhafte Schilderung in sehr lebhafter Weise, „ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich heute sogar vor Ihrem Papagei die Flucht ergriffen habe! Sagen Sie mir um’s Himmelswillen, weshalb schreit denn das unheimliche Thier mit seiner haarsträubenden Stimme unaufhörlich: ,Rache ist süß’?“

Nahm die lodernde Fackel eine andere Färbung an, oder war es in der That das Gesicht des Portugiesen selbst, das sich so auffallend verwandelte? Es sah aus, als ob eine Flamme aufsteigend über die Wangen hinzüngele und sich in einem glühenden, quer über die Stirn laufenden, breiten Streifen concentrire.

Oliveira sah einen Augenblick schweigend vor sich nieder, während ihn Alle neugierig und erwartungsvoll anstarrten.

„Das Thier hätte vor Zeiten ein blödes Menschenkind beschämen können, so viel gesellschaftliche Phrasen hatte es aufgefangen,“ sagte er. Er verschränkte die Arme in scheinbar unerschütterter Ruhe über der Brust und ließ seinen ernsten Blick über die Umstehenden schweifen. „Es hat sie merkwürdiger Weise über diesem einen Satz vollständig vergessen. … Sein Herr, der es zärtlich liebte, hat die drei Worte im Delirium fast unausgesetzt wiederholt, ja, mit seinem letzten Athemzuge hat er sie noch einmal herausgestoßen. … An diese drei Worte knüpft sich eine seltsame Geschichte.“

Bei den letzten, geflissentlich langsam gesprochenen und schwer betonten Worten wich das Blut aus der stolzen, düsterdrohenden Stirn – das gelbe Fackellicht übergoß sie wieder mit geisterhafter Marmorweiße.

Die Gräfin Schliersen heftete, ihre klugen Augen scharf fixirend auf das Antlitz, das wohl seinen Ausdruck, nicht aber die stürmisch aufbrausenden und sinkenden Wellen, die vom Herzen aus kreisen, zu beherrschen vermochte.

„Sie mystisiciren uns, Herr von Oliveira,“ drohte sie lächelnd mit dem Zeigefinger. „Sie fordern die weibliche Neugierde heraus, um dann achselzuckend und geheimnißvoll sagen zu können: ,Ich darf nicht!’“ …

„Wer sagt Ihnen das, Frau Gräfin? Ich könnte ohne Weiteres beginnen; aber Sie selbst würden es mir sicher am wenigsten verzeihen, wenn ich, ohne specielle Erlaubnis des Durchlauchtigsten Fürsten, mit meiner Erzählung das Festprogramm störend unterbrechen wollte.“

„Ach, Durchlaucht, eine interessante Geschichte aus Brasilien!“

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