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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 26.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Neue Sprüche.
Von Friedrich Bodenstedt.

     Alles Größte ist mir nichtig,
     Dem der Kern des Ew’gen fehlt;
     Alles Kleinste ist mir wichtig,
     Das der Schönheit sich vermählt.




Vielen ward ein trübes Loos,
Die durch Geist erfreun und Witz;
Nur aus dunkler Wolken Schooß
Flammt der Himmel seinen Blitz.




Ich drang aus tiefer Nacht zur Klarheit,
Da Herz und Geist mir Schwingen lieh;
Durch Poesie kam ich zur Wahrheit,
Durch Wahrheit auch zur Poesie.




Klug zu reden ist oft schwer;
Klug zu schweigen meist noch mehr.




Ueberall und allezeit
Machte sich die Dummheit breit;
Das unmenschliche Geschwätz
Straft kein menschliches Gesetz;
Darum sandte Gott die Dichter
Als der Menschheit höh’re Richter,
Nicht zu singen blos wenn’s mai’t,
Wie die Vögel in den Bäumen,
Sondern auch von Zeit zu Zeit
Mit der Dummheit aufzuräumen.




Dieses athemlose Fächeln,
Um Verlegenheit zu decken!
Dieses Wichtigthun, dies Lächeln,
Um die Dummheit zu verstecken!
Doch, gilt’s Andre durchzuhecheln,
Fremde Fehler zu entdecken:
Wie sie da geläufig reden
Ueber Alles, über Jeden!
Sind die Sel’gen auch wie Diese:
Lieber in der Hölle braten
Möcht’ ich, als im Paradiese
Unter solches Volk gerathen!




Wo Edles und Gemeines sich bekriegen,
Wird nur zu häufig das Gemeine siegen,
Weil ihm das schlecht’ste Mittel nicht zu schlecht ist,
Sein Ziel der Vortheil nur und nicht das Recht ist.




Wer voll Vertraun und Glauben ist,
Gilt als ein wunderlicher Christ;
Doch wer von Allen Schlechtes denkt,
Voll Mißtraun Schritt und Blicke lenkt,
Den preisen gern weltkluge Männer
Als Menschenkenner.




Du schüttelst Deinen Kopf und fragst gerührt:
„Hat man Dich wieder einmal angeführt?“
Ja, Freund, so ist’s, und das ist schlimm, allein
Muß denn einmal betrogen sein auf Erden,
So will ich lieber doch betrogen werden,
Als selber ein Betrüger sein.




Reichsgräfin Gisela.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


„Ihro Excellenz hat Recht, entrüstet zu sein, Herr von Oliveira,“ bekräftigte die Gräfin Schliersen hinzutretend mit ihrem boshaftesten Lächeln. „Daß diese wundervollen Thautropfen ohne Tadel sind, kann Ihnen jedes Kind im Lande sagen – es sind ja die berühmten gräflich Völdern’schen Familiendiamanten.… Zu ihrem hohen Ruf aber sind sie eigentlich erst gekommen, seit sich die schöne Völdern mit ihnen geschmückt hat – sie verstand es, Diamanten zu tragen.“ – Sie strich zärtlich über das aschblonde, in einen Silberschein hinüberspielende Haar Gisela’s. „Ich bin sehr begierig, wie diese junge, reizende Stirn unter dem Diadem da aussehen wird,“ setzte sie mit völlig unbefangener harmloser Miene hinzu, und zeigte auf die brillantenen Fuchsien in den Locken der Baronin Fleury.

Diese Frau besaß die Gabe in seltener Weise, mittels

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_401.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)