Seite:Die Gartenlaube (1869) 387.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

oder in der Residenz zu A. oder unter Gottes freiem Himmel, schwerlich stattfinden wird –“

„Ah –“

„Sie haben gestern auf dem Heimweg von Greinsfeld behauptet, ein frommer Feldherr sei eine Absurdité?“

„Ei, war der Ausspruch so interessant, daß ihn bereits die Damen des Hofes wissen? … Ich habe gesagt, meine Dame, daß mich das beständige Citiren des Namens und der Gnade Gottes im Munde eines Soldaten, der mit Passion Soldat sei, anwidere – das Sinnen auf Mord und Todtschlag der Menschen und wiederum die inbrünstige Hingebung an den, der jeden dieser Hingeschlachteten als Vater liebe, seien für mich unvereinbar; es käme dabei nur ein Drittes heraus: die Frömmelei. … Und was weiter?“

„Was weiter? Aber um’s Himmelswillen, wissen Sie denn nicht, daß Serenissimus mit Leib und Seele Soldat ist, daß er am liebsten alle seine Landeskinder uniformirte?“

„Ich weiß es, schöne Maske.“

„Und auch, daß der Fürst um Alles nicht für unfromm gelten möchte?“

„Auch das.“

„Nun, das mache mir Jemand klar! Ich verstehe Sie nicht, Herr von Oliveira. … Sie haben sich mit einem einzigen Tag am Hofe zu A. unmöglich gemacht“ fügte sie mit sinkender Stimme hinzu.

Die junge Dame war sichtlich traurig und bewegt. Sie legte die Hand an das Kinn und sah mit gesenktem Kopfe auf die Spitze ihres goldgestickten Stiefelchens.

„Sie kennen, wie ich sehe, die Eigenthümlichkeiten des allerhöchsten Herrn so gut wie ich,“ fuhr sie nach einem sekundenlangen Schweigen fort. „Es ist deshalb wohl eigentlich überflüssig, Ihnen zu sagen, daß er nichts thut, ja, fast nichts denkt ohne den Mann mit dem Marmorgesicht und den schlaffen Augenlidern – Sie werden wissen, daß es unmöglich ist, zu seiner Person zu dringen, wenn es dieser Mann nicht will – aber neu ist es Ihnen doch vielleicht, daß derselbe Ihre Audienz bei Serenissimus nicht will. … Sie haben nur noch heute Gelegenheit, den Fürsten von Angesicht zu Angesicht zu sehen – benutzen Sie die Zeit! …“

Es schien, als wolle sie in das Gebüsch zurückschlüpfen, allein sie wandte sich noch einmal um.

„Mein Herr, Sie werden das Maskengeheimniß ehren?“

„Mit unverbrüchlichem Schweigen.“

„Dann leben Sie wohl, Herr von Oliveira!“ Das kam schwach, fast wie ein Seufzer von den Lippen der jungen Dame. Gleich darauf verschwand die reizende Gestalt im Dickicht – nur das purpurrothe Käppchen mit den Perlenbehängen leuchtete noch dann und wann über dem Buschwerk.

Oliveira setzte seinen Weg fort. Hätte die schöne Hofdame noch einen Blick auf dieses entschlossene Gesicht zurückwerfen können, sie würde sich triumphirend gesagt haben, daß ihre Mission nicht ohne Erfolg geblieben sei.

Auf der Waldwiese machte das Erscheinen des Portugiesen große Sensation. Das Durcheinander der Stimmen sank für einen Moment zum Flüstern herab. Die Damen drängten sich in Gruppen zusammen, und ihr Geberdenspiel, die unsägliche Neugierde in den hinüberstarrenden Augen waren in der That nicht minder ausdrucksvoll, wie das unverblümte Bezeichnen eines Gegenstandes, das die Naturkinder mit dem Zeigefinger bewerkstelligen.

Die drei Besitzer des Kammerherrnschlüssels schüttelten dem Ankommenden in sehr biederer Weise die Hand und übernahmen das ermüdende Werk der Vorstellung mit aller Selbstverleugnung und Anmuth der geborenen Cavaliere. Zum Glück für den „interessanten Bewohner des Waldhauses“ wurde der Schwall von Namen, der um seine Ohren flog, wie durch einen Zauberschlag unterbrochen – man stob auseinander und reihte sich bescheiden, in dichtgedrängten Colonnen am Saum des Waldes hin – der Fürst war in Sicht.

Die Meisten von denen, die jetzt ihre Augen erwartungsvoll auf den vom See herlaufenden Weg hefteten, hatten einst mit der Gräfin Völdern verkehrt. Die Herren, fast ohne Ausnahme, waren enthusiastische Bewunderer ihrer Schönheit gewesen und konnten sie nicht vergessen. Freilich waren in ihrer Erinnerung üppige Pracht und das gefährliche Weib identisch – sie hatten die herrlichen Formen nie anders gesehen, als umwogt von Spitzengeweben, oder in strahlender Seidenhülle – und doch, als das Mädchen im züchtigen weißen Kleide am Arm des Fürsten den Festplatz betrat, da klang der Name des längst Begrabenen von allen Lippen.

Seiner Durchlaucht Gesicht strahlte vor Vergnügen über die gelungene Ueberraschung. „Gräfin Sturm!“ berichtigte er mit lauter Stimme die Ausrufungen, indem er auf Gisela zeigte. „Unsere kleine Gräfin Sturm, die sich nur in das traurige Krankenzimmer zurückgezogen hat, um dereinst die Welt als reizender Schmetterling zu überraschen.“

Man drängte sich beglückwünschend um die junge Dame – man beachtete nicht, daß das liebliche Gesicht todtenblaß und kalt blieb, daß die Augen am Boden hingen, als seien die Wimpern thränenschwer – es war reizende Verwirrung und Befangenheit und machte die Erscheinung doppelt anziehend; das Bild des glänzenden, stolz und sicher einherrauschenden Gräfin Völdern erblich neben dieser jugendlichen Anmuth und Verschämtheit. … Niemand sah, wie sich für wenige Sekunden der Bühnenvorhang theilte, wie zwischen den purpurnen Falten eine bleiche zornig gefaltete, diademgeschmückte Stirne und zwei funkelnde schwarze Augen erschienen, die in verzehrendem Haß die vielumworbene Mädchenerscheinung suchten.

„Nun, lieber Baron, was sagen Sie zu diesem ersten Auftreten?“ fragte der Fürst triumphirend den Minister, während er Gisela nach einem Sitzplatz führte.

Die Gesichtsfarbe Seiner Excellenz spielte wieder in’s Grünliche, wie Frau von Herbeck zitternd bemerkte – die steinerne Ruhe der Züge aber erschien tadellos.

„Ich sage, daß ich zu den Skeptikern gehöre, Durchlaucht,“ entgegnete er mit einem kalten Lächeln, „daß ich mich zu dem abgedroschenen, aber unstreitbar wahren Gemeinplatz bekenne: ,Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.’ … Ich traue der Sache so wenig, wie dem Himmel, der uns unfehlbar einen Platzregen in die Illumination schicken wird.“

Der Fürst warf einen besorgten, aber auch undignirten Blick nach dem rücksichtslosen Himmel, an welchem eben der letzte Abendschein verblaßte. Die Ausläufer einiger Wolken, die bis dahin wie ein zartgelb gefärbten Flaum über den Waldwipfeln gehangen hatten, verdunkelten sich plötzlich und nahmen einen bedenklichen Charakter an. Nichtsdestoweniger gab der Fürst das Zeichen zum Beginn des Festes, und mit ihm erbrauste die Jubelouvertüre von Weber aus dem Dickicht – Serenissimus hatte die vortreffliche Hofcapelle aus A. hierher berufen.

Der Fürst ging während des Musikstückes umher und begrüßte seine Gäste. Er kam auch in Oliveira’s Nähe; allerdings verfinsterte sich sofort seine Stirn, und die kleinen, grauen Augen nahmen eine gewisse Starrheit an; allein es mußte eine zwingende Macht in den imposanten Erscheinung des merkwürdigen Fremden liegen, eine Ueberlegenheit, der gegenüber weder Herablassung, noch ein verächtliches Ignoriren möglich war.

Die Gräfin Schliersen, die, eine athemlose Spannung in den Zügen, unfern gestanden hatte, rauschte plötzlich indignirt weiter, und auf dem grünlichen Gesicht Seiner Excellenz erschien jenes verächtliche Lächeln, mit welchem er über die „Schwäche“ seiner fürstlichen Herrn und Freundes hinwegzusehen pflegte. … Man hatte einen Eclat erwartet, man hatte sicher vorausgesetzt, Serenissimus werde wortlos vorüberschreitend den Portugiesen mit jenem starren Blick fixiren, der den Betroffenen in den tiefsten Abgrund fürstlicher Ungnade schleudern, und infolge dessen er sich schleunigst entfernen mußte … und nun vergaß der alte schwache Herr plötzlich, daß dieser Mann ihn schmählich beleidigt hatte – er begrüßte ihn mit einem freundlichen Handwinken und sprach mit ihm, wie mit allen Anderen.

Mittlerweile litt eine junge Mädchenseele tausend Schmerzen. Alle die fremden Stimmen, die mit süßen Schmeicheleien auf Gisela eindrangen, peinigten sie. Hatte nicht ihr Vater gesagt, daß gerade diese Menschen den Verdacht des Betruges ihrer Großmutter gegenüber unerbittlich und geflissentlich festhielten und deshalb das schlimme Gerücht nicht sterben ließen? … Und nun schwärmten sie für „die göttergleiche Gräfin“, die sie alle zärtlich geliebt und tief verehrt haben wollten! … Sie fühlte eine Art von Haß und Erbitterung gegen diese’ Menschen, die sämmtlich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_387.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2021)