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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

einstweilen nach Cincinnati transportirt, wo auch der Locomotivführer Flanders, der den Anschlag der Räuber vereitelt und der bei dem Gefecht einen Schuß in’s Bein erhalten hatte, einige Tage später im Hospital seinen Wunden erlag.

Diese Vorgänge riefen in Seymour und Umgegend eine ungeheure Aufregung und Entrüstung hervor. Jeder rechtliche Bürger fühlte, daß sein Hab und Gut, ja sein Leben keinen Augenblick mehr sicher sei und daß endlich durchgegriffen werden müsse. Dem langsamen und schleppenden Gange der gerichtlichen Untersuchung und der unsichern und ungewissen Entscheidung des Schwurgerichts traute man nicht mehr und man beschloß, die Justiz selber in die Hand zu nehmen, um Ordnung und Sicherheit herzustellen. Es bildete sich in aller Stille ein „Vigilanz-Comité von Jackson County“ und nun begannen Scenen, wie sie F. Gerstäcker in seinen „Regulatoren von Arkansas“ ähnlich schildert. Die drei gefangenen Verbrecher Elliott, Eliston und Jarrell wurden behufs ihrer Processirung in der Nacht des Juli unter polizeilicher Bedeckung von Cincinnati nach Brownstown gebracht. Schon hatten sie Seymour passirt und sich ihrem Bestimmungsorte bis auf etwa drei Meilen genähert. Da plötzlich an der Stelle, wo am 10. der Kampf in dem Expreßwagen stattgefunden hatte, wurde der Zug durch ein Nothsignal, ein rothes Licht, zum Stehen gebracht. Im Nu sprangen von beiden Seiten maskirte Männer empor, überwältigten die Wachen und zogen die drei Gefangenen in's Freie. Diese begriffen sofort, was ihr Loos sein werde, und legten sich auf's Bitten. Alles vergebens. Ihr Flehen prallte an gestählten Herzen ab. Man legte ihnen Stricke um den Hals und vergönnte ihnen fünf Minuten, sich auf den Tod vorzubereiten. Jetzt fingen sie an, Geständnisse und Enthüllungen zu machen, gaben die Urheber vieler begangener Schandtaten an, gestanden ihre Mitbetheiligung an dem Marshfielder Raube und wurden dann alle Drei an einer und derselben Buche aufgehängt.

Am folgenden Tage fand man in Seymour und Umgegend an Gebäuden, Zäunen und Bäumen nachstehende Proclamation:

     „Diebe, aufgepaßt!

Die Aufmerksamkeit aller Diebe, Räuber, Meuchelmörder und Vagabunden und ihrer Helfershelfer, Mitschuldigen und Gesinnungsgenossen wird hiermit auf das Verfahren des Seymour Vigilanz-Comités von letzter Nacht gelenkt. Wir sind entschlossen , bei demselben zu verharren, bis alle oben genannten Classen, ob aus Eingebornen ober Importirten bestehend, für immer aus unsrer Mitte verschwunden sind.

Man hat uns mit Wiedervergeltung gedroht, im Fall wir die Todesstrafe anwenden würden. Darauf erwidern wir: Sollte irgend Einem unsers Comités von unbekannten Personen ein Leid zugefügt oder das Eigenthum eines ehrlichen Mannes nur um den Werth eines Dollars beschädigt werden, so soll jeder diebische Charakter, dessen wir habhaft werden können, am Halse aufgehängt werden, bis er todt ist, ohne zu untersuchen, ob wir gerade die Personen erwischt haben, welche das betretende Verbrechen begingen. Dies bezieht sich nicht blos auf Seymour, sondern auch auf die Linien der beiden Eisenbahnen, so weit unsre Organisation reicht. Gesetz und Ordnung sollen herrschen.

Seymour, Indiana, 21. Juli 1868.

Auf Befehl des Comités.“

Wer die Männer waren, in denen zuerst der Gedanke auftauchte, durch Bildung eines Vigilanz-Comités den frechen Strolchen ihr schändliches Handwerk zu legen, und wer später dem Comité beigetreten und dessen Mitglied geworden, darüber ist ein dunkler Schleier geworfen, der auch wohl schwerlich je gelüftet werden wird. Es scheint, als ob die ersten Träger dieser Idee jeden Einzelnen der gutgesinnten Bewohner von Jackson Co. brieflich aufforderten, zu einer bestimmten nächtlichen Stunde an einem bestimmten Orte zu erscheinen, um die Execution in die Hand zu nehmen, und zwar unter der Androhung, Jeden der Nichterscheinenden als Genossen der Räuberbande anzusehen und demgemäß zu behandeln. Jedenfalls bindet die Mitglieder dieses „Wohlfahrtsausschusses“, die nur larvirt auftreten, ein feierlicher Schwur, besten Bruch schwer geahndet werden möchte.

Wie gesetzwidrig und schaudererregend auch dies erste Auftreten des Comités erscheinen und wie sehr auch das vorberichtete Aufknüpfen der drei Verbrecher einem Morde ähnlich sehen mag: die sogenannten „Männer der Ordnung“ ließen sich in ihrem Vorhaben, Ruhe und Sicherheit herzustellen, durch Nichts beirren und dem blutigen Vorspiel des verhängnißvollen Dramas folgten bald andere, noch grauenvollere Scenen. Alle Schlupfwinkel, Hütten und Wälder wurden sofort nach jener Proclamation durchsucht und die drei bekannten Glieder der Bande, welche bisher noch auf freien Füßen waren, Moore, Sparks und Roseberry, fielen in den nächsten Tagen in die Hände des Sicherheits-Ausschusses. Kaum waren diese drei Männer recognoscirt, als auch ihnen schon der verhängnißvolle Strick um den Hals gelegt wurde und sie an demselben Baum hingen, an welchem ihre Genossen wenige Tage zuvor ihren Frevel gebüßt hatten.

Simeon und Wilhelm Reno erwarteten unterdeß, wie oben berichtet, ihre Procedur im Gefängniß zu New-Albany. Franz Reno und Charles Anderson, welche in Canada ergriffen und verhaftet waren, wurden endlich nach langen Verhandlungen von Canada unter der Bedingung ausgeliefert, daß ihnen ein unparteiischer Proceß gestattet und sie, wenn unschuldig befunden, sofort in Freiheit gesetzt werden sollten. Von Detroit wurden sie über den Eriesee nach Cleveland eingeschifft, aber ihr Schiff gerieth in der Nacht mit einem Dampfer in Collision und versank. Doch - wer hängen soll, ertrinkt nicht. Sie wurden aufgefischt und sollten nun mittels der Eisenbahn von Cleveland nach New-Albany gebracht werden. Der Weg dorthin geht durch Cincinnati und - Seymour. Aus Furcht, das Vigilanz-Comité möchte sich auch dieser Beiden bemächtigen und ihnen ein blutiges Ende bereiten, hatte sich Marie, die neunzehnjährige, bildschöne Schwester der Reno’s, mit reichen Geldmitteln versehen, nach Cincinnati begeben und hier ausgewirkt, daß ihr Bruder Franz und dessen Freund Anderson auf einem anderen Wege mit Umgehung Seymours unter starker polizeilicher Escorte in einer Kutsche nach New-Albany transportirt wurden.

New-Albany, am Ohiosfluß, Louisville gegenüber gelegen, achtunddreißig englische Meilen von Seymour entfernt, ist eine Stadt von etwa sechsundzwanzigtausend Einwohnern, und hier glaubte man das vierblätterige Kleeblatt, Simeon, Wilhelm und Franz Gebrüder Reno, und Anderson in dem starken und wohlbewachten Gefängniß gegen das Einschreiten des Vigilanz-Comités hinlänglich gesichert. Auch lebte Jedermann der Ansicht, das Comité sei des Blutvergießens nun müde und werde nunmehr der richterlichen Entscheidung nicht vorgreifen. Aber es kam ganz anders. Durch geheime Verbindung erhielt das Comité sich über den Gang und Verlauf des Processes stets au fait, und als die Nachricht kam, daß alle vier Gefangenen durch erkaufte Zeugen das Alibi nachgewiesen hätten und daß ihre baldige Befreiung zu erwarten stehe, da gedachte der Sicherheitsausschuß des durch die Bande in Fort Wayne geleisteten Eides und fürchtete mit Recht die Einäscherung der meist aus hölzernen Gebäuden bestehenden Stadt Seymour. Hier galt es nun, das Prävenire zu spielen, und am 12. December vorigen Jahres, früh drei Uhr, kam das Vigilanz-Comité, etwa hundert Mann stark, mit Larven versehen, mit Revolvern und Schlagringen bewaffnet, plötzlich mit einem Extrazug in New-Albany an.

Vom Halteplatz bis zum Gefängniß wurden in nächtlicher Stille Patrouillen aufgestellt, während die Uebrigen mit vorgehaltenen Revolvern und Bleischlingen sich der Wache des Gefängnisses bemächtigten, dem Sheriff, der die Schlüssel zu den Zellen der Gefangenen nicht ausliefern vielmehr durch Flucht sich retten wollte, den Arm zerschossen, die Schlüssel ergriffen, die Zellen öffneten, die vier Gefangenen im Corridor des Gefängnisses aufknüpften und schon nach fünf Minuten blutiger Arbeit mit dem bereit stehenden Extrazuge nach Seymour zurückfuhren.

So waren denn in Jackson Co. in wenigen Monaten zehn Menschenleben dem Vigilanz-Comité zum Opfer gefallen und neue Proclamationen stellten ein beharrliches Fortschreiten auf dem einmal betretenen Wege in Aussicht, bis Seymour und Jackson Co. von allem Diebsgesindel rein und geläutert sei. Vielen Familien, die auch in dem Verdacht einer entfernteren Theilhaberschaft standen, ward brieflich angekündigt, daß sie innerhalb vier Wochen Stadt und County zu verlassen hätten, falls sie nicht dem Strick verfallen wollten, und sie Alle, und noch manche Andere, denen auch wohl das Gewissen brennen mochte, machten sich schleunigst auf und davon. Die Regierung der Vereinigten Staaten schickte nun Geheimpolicisten nach Seymour und Umgegend, die in allerlei Formen und Gestalten auftauchten, um die Urheber und Mitglieder

des Vigilanz-Comités auszuspähen, aber diese waren stets auf der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_378.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)