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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

that nicht länger anders gut, der Melodienstrom drang mächtiger aus der jungen Seele heraus, als die Dogmatik hinein, das von je sang- und klangvolle Leipzig that das Uebrige und zum schönsten Glück winkte ihm noch die Fürstin von Rudolstadt, sich lieber für die Stellung ihres Kammersängers, als ihres Hofpredigers, vorzubereiten. Von dieser seiner huldvollen Gönnerin unterstützt, genoß er in Dresden den Unterricht des berühmten Kammersängers Francesco Ceccarelli aus Foligno, bis er selbst als ein solcher mit dem Jahre 1810 in Rudolstadt einziehen konnte.

Das Saalthal von Rudolstadt ist wegen seiner Anmuth bekannt; hat es doch unsern ernsten Schiller bis zum Verlieben und Verloben entzückt. Methfessel verwandelte es in ein musikalisches Wonnemeer, in welchem er fröhlich und frei über alle Thüringer Berge und Thäler schwamm. Nur ein Mal wäre er beinahe eingefangen worden, und zwar – seines Titels wegen! Es war just zur Rheinbundszeit, als Methfessel auf einem musikalischen Ausflug vor Hildburghausen ankam. Da das Bataillon im napoleonischen Dienst auswärts war, so stand die Land-Miliz Wache. Ein Mann mit der sogenannten Salzmetze dieser Truppe auf dem Kopf fragte am Thor unsern Wanderer nach Namen und Stand! „Methfessel, Kammersänger aus Rudolstadt,“ lautet die Antwort. – „Kammersänger?“ wiederholt der Mann; so was ist ihm noch nicht vorgekommen. Er ruft den Corporal, der das Verhör wiederholt. Dieselbe Antwort, dasselbe Staunen. „Was? Kammersänger? Ihne wolln mr die Späßle vertreib’! Marsch auf die Schloßwach’!“ commandirt der Corporal. Während sich aber die nöthige Begleitungsmannschaft aufstellt, überlegt er sich doch die Sache noch einmal. Mit großen Schritten auf und abgehend murmelt er: „Kammerdiener, Kammerhusar, Kammerjungfer, Kammerjäger, Kammermusicus – Kammersänger“ – und „Jo jo – me hattere – es gittere doch!“ (Ja ja, man hat deren, es giebt deren doch) ausrufend, entläßt er die Miliz und gestattet dem wie ein Kobold lachenden Methfessel seinen Einzug in Hildburghausen.

In Rudolstadt war es auch, wo die große Zeit der deutschen Erhebung ihn selbst zum ewig unvergänglichen Theil seines Kunstwirkens erhob: zu jenem Liederschatz, welcher, wie der deutsche Student nirgend in der Welt seines Gleichen hat, ebenso unser alleiniges Ureigenthum ist: das deutsche Commersbuch, das sich von allen anderen Gesang- oder Liederbüchern geistlicher und weltlicher Art so gründlich unterscheidet, wie sein Titel es gründlich bezeichnet. Nur wer weiß, was ein „Commers“ zu bedeuten hat, weiß das große Verdienst zu würdigen, welches Methfessel durch dieses „Commersbuch“ sich nicht blos um die gesammte deutsche Studentenwelt, sondern auch um dasjenige Philisterium erworben hat, welches aus bemoosten Häuptern besteht. Die ewige Jugend mit ihrer Vaterlands- und Freiheitsliebe, ihrer Liebeslust und Freundschaftsbegeisterung, ihrer Ehrenverfechtung bis zu dem tollsten Humor des Trinkgelags, dies Alles klingt und singt aus dem Buch heraus und selbst noch im ältesten Herzen wider. Methfessel selbst nennt sein Commersbuch (Vorrede zur fünften Auflage) „eine Frucht der deutschen Burschenschaft in Jena, jenes merkwürdigen, unvergeßlichen Vereins, mit dessen hervorragendsten Führern, Wesselhöft, v. Binzer, Horn, Riemann und Möller mich innige Freundschaft verband“.

Damals herrschte in jeder Beziehung noch Wahrheit im Lied. Man sang nicht blos um zu singen, sondern man verlangte einen innern Grund dazu und für die jeweilige Veranlassung das angemessene Wort. In einer verräucherten Kneipe oder im gasstrahlenden Concertsaal vierstimmig den „deutschen Wald hoch dort droben“ anzustimmen, – das war unseren Tagen vorbehalten. Jetzt singt man „Hinaus in die Ferne!“ und rührt sich nicht vom Platz dabei. Als Methfessel dieses sein Dicht- und Tonwerk zum ersten Male sang, schritt er mit der Guitarre im Arm den „Freiwilligen“ voran, welche aus Rudolstadt in den Befreiungskrieg zogen.

Es war eben eine jugendlichere Zeit. Wir müssen als Zeugen dafür Spohr’s Selbstbiographie citiren welche Folgendes erzählt: Im Frühling 1818 wanderten fünf Männer von honnettem Aeußern mit dem Ränzel auf dem Rücken die Bergstraße hinauf über Heidelberg zum Mannheimer Musikfest: es waren Spohr und Methfessel mit drei Thüringer Freunden. Methfessel hatte die Guitarre an der Seite hängen, und jeder der drei Thüringer trug ein Waldhorn auf dem Ranzen. Wo sie durch ein Dorf oder Städtchen kamen, da bliesen sie, spielten und sangen, von einem Schweife jubelnder Zuhörer gefolgt, stiegen auf die Burgen, ließen sich Essen und Trinken hinaufbringen und ihre Rundgesänge und Hornfanfaren in das weite blühende Land hinaustönen. Auf dem Heidelberger Schlosse, wo Methfessel besonders durch seine komischen Lieder ergötzte, die er meisterhaft zur Guitarre sang, wurden sie erkannt und von einer Deputation des Heidelberger Gesangvereins eingeladen, die Neckarfahrt nach Mannheim auf dem festlich geschmückten Schiffe des Vereins mitzumachen. Da begannen dann die fünf Wanderer ihr Blasen und Singen aufs Neue, bis sie in Mannheim landeten und dort als Ehrengäste begrüßt wurden. ‚Ja sogar eine Wohnung in einem Privathause wurde mir angetragen‘ fügt Spohr hinzu. Er lehnte aber dankend ab und schlief mit seinen Freunden auf der Streu, weil es in den überfüllten Wirthshäusern keine Betten mehr gab. – „Dies,“ so bemerkt hierzu Riehl in seiner wohlthuenden Charakteristik des Alten, „war in derselben Zeit, wo Spohr nach dem Erscheinen des Faust und der Zemire auf der Höhe seines Ruhms stand und Methfessel seiner größten Popularität sich erfreute. Wie anders pflegen jetzt unsere gefeierten Componisten zu den Musikfesten zu reisen! Sie können darum wohl noch Lieder vom Wandern singen, aber kein Lied, welches jeder Wanderer singt.“

Troubadourfahrten, wie die erzählte, ferner die mit dem Clarinettvirtuosen Joh. Sim. Hermstedt aus Langensalza, die durch gemeinsame Aufführung der von Methfessel componirten Stücke für Clarinette und Guitarre ein Triumphzug für Beide wurde, eine Rheinreise und Zusammenkünfte mit Spohr, Romberg, Weber mochten ihm endlich das Rudolstädter Leben zu engbegrenzt erscheinen lassen. Zwar wies er, auf Bitten des Hofs, einen Ruf als Operndirector in Prag zurück, konnte aber einige Jahre später einer Einladung nach Hamburg um so weniger widerstehen. Die Glanzpunkte seines Hamburger Lebens waren die Gründung der ersten Liedertafel Norddeutschlands und – in demselben Jahre, 1825 – sein gemeinsames Auftreten mit „Deutschlands erstem Improvisator“, das ich in dem Artikel mit dieser Ueberschrift (Jahrgang 1867, Seite 809) bereits geschildert habe.

O. L. B. Wolff und Methfessel – welche Schicksalsgenossen! Zu Freudenbringern geboren, Beide ausgestattet mit herzengewinnender, geistiger und körperlicher Anmuth, Beide hoch begabt für die seltene Kunst augenblicklichen Producirens und mit redlichem Fleiß jeder in hohem Grade ausgebildet in seiner Kunst – welch’ irdisches Glück mußte, bei kluger Benutzung solcher schafferüstigen Kraft, Beiden zum Schutz für ein sorgenfreies Alter sich ansammeln! Aber freilich – vom Dichten und vom Trachten erfordert jedes eine ganze Seele für sich, und darum ist der Poetenseufzer so gerecht:

Ihr Trachter in Ehren,
Uns Dichtern auch wären
Die sorgenumnachteten
Augen zu lichten,
Wenn die für uns trachteten,
Für die wir dichten.

Da Beide dem Troubadourleben ihre Zukunft nicht anvertrauen mochten, so griffen Beide nach dem noch jetzt sogenannten „sicheren Brod“ einer Anstellung. Zur selben Zeit (1832), wo Wolff nach Jena zog, um dort nach wenigen Jahren öffentlicher Ehre und häuslichen Glücks nach und nach zu verkümmern, ging Methfessel als Hof-Capellmeister nach Braunschweig und dort einem schließlich nicht besseren Schicksal entgegen.

Methfessel’s Tüchtigkeit in seinen musikalischen Leistungen steht für uns außer Zweifel, seine Thätigkeit als Operndirigent fand Anerkennung und seine Compositionen, namentlich für Männergesang, dem bis zu seinem Ende sein ganzer Geist gehörte, haben seinen Namen nicht aus dem Gedächtniß der Zeitgenossen verschwinden lassen. Damit können wir hier abschließen, um ungestört den Mann selbst noch ein wenig zu genießen.

Auch sein äußeres Leben gestaltete sich freundlich; er fand an der jugendlichen Sängerin Louise Emilie Lehmann eine in Liebenswürdigkeit mit ihm wetteifernde Gattin, die ihn mit zwei Töchtern beschenkte. Aber viel zu kurz war die reine Freude: schon im Jahre 1842 nöthigte ihn ein schweres Gehörleiden zur Niederlegung seines Amtes; eine geringe Pension trat an die Stelle der bisherigen Einnahme. Sein Fleiß und Ruf brachte wohl etwas

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